
Corona-Fälle: Die Deutschschweiz kriegt die Kurve nicht – neue Massnahmen dürften bald folgen
Es ist eine Zahl, die Martin Ackermann nicht gefallen haben dürfte: Der Bund hat am Donnerstag 4455 neue Corona-Fälle gemeldet. Das sind mehr oder weniger gleich viele wie vor einer Woche. Damit bestätigt sich ein Trend, der seit ein paar Tagen erkennbar ist: Die Corona-Kurve sinkt nicht mehr so, wie sie das sollte. Und schon gar nicht so, wie man sich das bei der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes vorstellt.
Deren Präsident, Martin Ackermann, hatte im November davon gesprochen, dass die Schweiz eine Halbierung der Fallzahlen alle zwei Wochen anstreben müsse – und als Fernziel unter 500 tägliche Neuinfektionen im neuen Jahr vorgegeben. Noch am 24. November, bei seinem letzten Medienauftritt, war die Schweiz laut Taskforce-Chef Ackermann auf Kurs, die Entwicklung «erfreulich».
Der Bundesrat schaut genau hin
Das nächste Etappenziel lautet nun: Unter 2000 Fälle am 10. Dezember. Doch diese Marke rückt gerade in weite Ferne. Denn zuletzt hat sich der R-Wert, jene Zahl also, welche die Dynamik der Pandemie abbildet, wieder erhöht. Laut der neuesten Zahlen der ETH Zürich beträgt er derzeit 0,91.
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Damit die Fallzahlen sich alle zwei Wochen halbieren, wäre aber ein R-Wert von unter 0,8 notwendig. Gesundheitsminister Alain Berset sagte bei einem Auftritt in Baselland, die Situation entwickle sich nicht so, wie man das erwartet habe. «Und das macht uns Sorgen», so der Bundesrat.
Lange waren die Kantone in der Romandie die Sorgenkinder. Doch unterdessen hat sich das Bild gewandelt. Derzeit ist der R-Wert in verschiedenen Deutschschweizer Kantonen zu hoch. In manchen – unter anderem Aargau, St. Gallen, Solothurn und Thurgau – liegt er gar über der Marke von 1. Das heisst konkret, dass die Fallzahlen dort sogar wieder leicht steigen. Auch Zürich, der grösste Kanton, bewegt sich nur knapp unter dieser Grenze.
Die Westschweizer Kantone, die von der zweiten Welle hart getroffen wurden, haben dagegen dank strikter Massnahmen ihren R-Wert massiv gesenkt. In Freiburg, Genf und der Waadt liegt er derzeit gar unter 0,7; die Fallzahlen sind dort in den letzten Wochen massiv gesunken.
Das Westschweizer Rezept hat also funktioniert. Das hat man auch in Bern registriert. Bundesrat Berset sagte zwar am Donnerstag, es sei nicht die Aufgabe des Bundes, den Kantonen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Doch die Regierung beobachtet die Situation mit Sorge, wie aus bundesratsnahen Kreisen zu hören ist. Der Bundesrat habe die klare Erwartung, dass die Deutschschweizer Kantone nun reagierten und von sich aus Massnahmen ergriffen, heisst es aus einem bürgerlich geführten Departement.
Als eine Art Warnschuss kann man vor diesem Hintergrund eine Verordnungsänderung interpretieren, die der Bundesrat diese Woche in die Vernehmlassung gegeben hat. Er will den Kantonen neu vorschreiben, dass sie zusätzliche Massnahmen zu treffen haben, wenn dies die epidemiologische Lage erfordert. Auf das Festlegen von Grenzwerten verzichtet er aber noch – und lässt damit den Kantonen viel Spielraum.
GDK-Präsident Engelberger hofft, dass Kantone handeln
Lukas Engelberger ist der Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz. Er sagt, die aktuelle Entwicklung sei «nicht gut genug». In seinem Kanton, Basel-Stadt, hat die Regierung kürzlich etwa Bars, Restaurants und Fitnessbetriebe geschlossen, weil die Fallzahlen wieder anstiegen. Und damit auf ähnliche Massnahmen wie die Westschweizer Kantone gesetzt.
Engelberger sagt, ein Stück weit habe die Deutschschweiz vom Romandie-Effekt gelebt, aber dieser schwinge jetzt aus. Vor diesem Hintergrund würde Engelberger es begrüssen, «wenn auch andere Deutschschweizer Kantone, in denen die Fallzahlen steigen oder der R-Wert zu hoch ist, über weitere Massnahmen nachdenken».
Zumindest der Kanton Graubünden dürfte diesen Schritt schon am Freitag wagen. Am Donnerstag ist durchgesickert, dass dort die Restaurants zwei Wochen lang schliessen sollen. Begründet wird das mit dem zu hohen R-Wert. Auch andernorts könnte bald neue Massnahmen folgen. Viele Kantone wollen zuerst abwarten, welche Massnahmen der Bundesrat morgen beschliesst. Und dann über weitere Schritte entscheiden. Das teilen auf Anfrage zum Beispiel Schaffhausen und Thurgau mit – zwei Kantone mit hohem R-Wert. Das gilt auch für Solothurn. Dort beurteilt man die Lage als «sehr angespannt». Schon am Montag will der Regierungsrat entscheiden, wie es weitergeht.
Darüber entscheidet der Bundesrat am Freitag
Die Landesregierung berät heute über eine weitere Anpassung der Covid-19-Verordnung. Zu den geplanten Änderungen konnten die Kantone bis am Mittwoch Stellung nehmen. Am meisten zu reden gegeben haben die geplanten Einschränkungen für Skigebiete. Je nach Variante sollen Skigebiete nur noch zwei Drittel der Gäste des Spitzentags der letzten Wintersaison oder 80 Prozent des täglichen Besucherdurchschnitts während der Altjahres- und Neujahrswochen der letzten fünf Jahre einlassen dürfen. Die Einschränkungen sollen vom 18. Dezember bis zum 20. Januar gelten. Die bürgerliche Mehrheit des Nationalrats rief den Bundesrat am Donnerstag per Erklärung dazu auf, auf die Einschränkungen zu verzichten. Trotz des Widerstand dürfte der Bundesrat neue Regeln für die Skigebiete erlassen, heisst es aus einem bürgerlichen Departement. Darüber hinaus sollen bis vor Weihnachten bei privaten Treffen und am gleichen Tisch nur noch Mitglieder aus zwei Haushalten zusammenkommen dürfen. Ebenfalls auf der Traktandenlisten stehen eine Home-Office-Pflicht und eine Ausweitung des Fernunterrichts. (cbe)