Das Dilemma der Freizeit-Profisportler

Im Gartencenter Lengnau sind sie stolz auf ihren Simon. Simon, das ist Simon Huwyler. In der Zurzibieter Grossgärtnerei macht sich Huwyler im 60-Prozent- Pensum die Hände als Landschaftsgärtner schmutzig, den Rest seiner Zeit widmet sich Huwyler dem Handball. Beim TV Endingen in der Nationalliga A ist er unumstrittener Abwehrchef. Die handballerischen Leistungen Huwylers, sie machen dem Betrieb Freude. Vor kurzem aber sorgte Huwylers Sportlerdasein für die ein oder andere Sorgenfalte bei seinem Chef.

Vor rund einem Monat empfing der TV Endingen GC Amicitia. Huwyler stand im Einsatz, er warf drei Tore, man gewann das Spiel 25:23. Wenige Tage später wurde bekannt, dass ein Spieler bei den Zürchern mit Covid-19 infiziert war. Alle, die auf dem Matchblatt standen, mussten in Quarantäne – auch Huwyler. Für den 29-Jährigen kam es einem Arbeitsunterbruch gleich: Gärtnern lässt sich nicht vom heimischen Wohnzimmer aus. 

Paul Hediger ist Geschäftsführer im Gartencenter Lengnau und Huwylers Vorgesetzter. Angesprochen auf den zehntägigen Ausfall seines Schützlings stösst er einen leisen Seufzer aus. «Das war nicht lustig für uns», sagt er und schiebt ein rhetorisch gemeintes «aber was willst du machen» hinterher. Die Situation sei nun mal speziell, er habe auch Verständnis dafür. «Ich hoffe einfach, dass es nicht noch einmal vorkommt.»

Der Fall legt offen, dass Huwyler streng genommen gar kein Profisportler ist, wie auch die anderen seiner Kollegen beim TV Endingen nicht. Den Grossteil des Einkommens verdient er nicht im Sport, sondern aus einer beruflichen Tätigkeit. «Wir betrachten uns als Amateurverein», sagt Endingens Geschäftsführer Christian Villiger.

Eine weitere Quarantäne ist nicht unwahrscheinlich

Und doch setzen die Surbtaler die Meisterschaft fort. Während der Amateur- und Breitensport bis Ende Jahr ruht, machen die NLA-Handballer weiter. Die Nationalliga A gilt als professionelle Liga, das hat das Bundesamt für Sport unlängst entschieden. Gleiches gilt für die höchsten Ligen im Volleyball, Basketball und im Unihockey. Neben Endingens Ligakonkurrenten Suhr Aarau beschäftigen im Aargau und im Kanton Solothurn also auch die Volleyballer von Volley Schönenwerd, die Basketballerinnen der Alten Kanti Aarau und die Unihockeyspieler von Wiler-Ersigen dieselben Probleme.

Bis Ende Dezember sind im Schweizer Handball noch zehn Runden zu gehen. Da sich die Corona-Fallzahlen auf hohem Niveau halten, muss man damit rechnen, dass weiterhin ganze Teams in Quarantäne geschickt werden – trotz verschärfter Schutzmassnahmen wie der Einführung von Schnelltests. Ein Szenario, das durchaus plausibel erscheint, wenn man sich vor Augen hält, wie viele der Spiele Woche für Woche im Fussball und im Eishockey verschoben werden. Dass sich Arbeitgeber wie Paul Hediger Sorgen machen, ist verständlich.

Wie unterschiedlich die Spieler indes von der Quarantäneregel betroffen sein können, verdeutlicht das Beispiel von Huwylers Teamkameraden Christian Riechsteiner. Der Captain der Endinger ist in der Buchhaltung beim Energiekonzern Axpo tätig. Grossfirma statt KMU, Schreibtisch- statt körperliche Arbeit. Riechsteiner hat Glück: Sein Job erlaubt ihm, im Homeoffice zu arbeiten – auch in Selbstisolation. Klar, nach dem Spiel gegen GC Amicitia gab es Sprüche von den Arbeitskollegen. «Aber das war verschmerzbar.» Riechsteiner war ja trotzdem per Videocall für die Chefs erreichbar.

Ein Arbeitgeber will gar das Training verbieten

Auch Riechsteiner kennt die Problematik nur zu gut. «Wir  werden als Profis angesehen, aber sind es irgendwie ja doch nicht», sagt er und bringt das Dilemma auf den Punkt. Riechsteiner spricht davon, als Handballspieler zwischen zwei Steinen in einer Mühle zu stecken. Ein Stein sei der Sport, der andere die Arbeit. Gehe ein Stein kaputt, funktioniere die Mühle nicht mehr. Weil er in einer privilegierten Lage ist, kann Riechsteiner offen darüber reden. Andere Sportler können das nicht.

Hört man sich bei anderen NLA-Vereinen im Aargau und Solothurn um, wird einem schnell bewusst: Das Thema ist heikel, das Verhältnis zwischen Klubs und einigen Arbeitgebern angespannt. Niemand mag sich recht exponieren, man will den Spielern nicht noch grösseren Kummer bereiten. Auch Marcel Siegenthaler, Sportchef bei Wiler-Ersigen, hält sich zurück, Namen zu nennen. «Zum Schutz der Spieler», wie er sagt.

Dennoch erzählt er von einem Beispiel, das zeigt, inwieweit sich die Situation verschärfen kann. Nachdem ein Spieler von Wiler-Ersigen bereits das zweite Mal in Quarantäne musste, hatte sein Betrieb offenbar genug: Er schickte dem Verein  einen Brief. «Darin steht, dass sie dem Spieler verbieten wollen, an den Trainings teilzunehmen», sagt Siegenthaler. Wie man als Klub darauf reagieren soll, weiss er noch nicht.

Arbeitsrechtsexperte sieht kein Problem für Sportler

Klar ist: Wer Kontaktsport betreibt, setzt sich einem erhöhten Risiko aus. Daran, in Quarantäne zu müssen oder selbst am Coronavirus zu erkranken. Trotzdem darf ein Arbeitgeber seinem Angestellten nicht untersagen, weiterhin Sport zu machen, meint Anwalt und Arbeitsrechtsexperte Markus Leimbacher. «Es geht den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an, was sein Mitarbeiter in der Freizeit tut.» Aber: Die Angestellten seien verpflichtet, die berechtigten Interessen des Arbeitgebers zu wahren. Das heisst: Ein Chef kann an seinen Angestellten appellieren, sich vorsichtig zu verhalten. Ein Ausfall durch eine verordnete Quarantäne sei für die Unternehmen natürlich mitunter schmerzhaft, sagt Leimbacher. Wie ein Arbeitgeber auf Dauer damit umgehe, sei seine Sache. «Vielleicht fragt er sich, ob er das Arbeitsverhältnis auflösen soll.»

An solche Optionen verschwendet Paul Hediger keinen Gedanken. Ihm liegt es fern, Simon Huwyler irgendetwas zu verbieten. «Simon passt selber genug auf, das muss ich ihm nicht noch zusätzlich sagen.» Alles andere liege nun einmal nicht in ihrer Hand – weder in Huwylers, noch in seiner. Hediger wünscht sich auch, dass der Kreisläufer seinem Verein weiterhin in der Meisterschaft helfen kann. «Endingen hat schon genug zu kämpfen.» Da ist der Chef also ganz Sportsmann.