
Das grüne Gewissen muckt auf
Von einem Grünrutsch oder einer Klimawahl war nach den nationalen Wahlen letzten Herbst zu lesen. Die Grünen haben 17 zusätzliche Sitze im Nationalrat geholt und sind seither die viertstärkste Kraft. Auch im Aargau haben sie ihren Wähleranteil um 4,3 Prozent auf 9,8 Prozent ausbauen können. Für einen zweiten grünen Sitz in Bern hat es aber nicht gereicht. Der zusätzliche Sitz ging an die Listenpartnerin, die SP.
Seit dem Grünrutsch bei den nationalen Wahlen ist viel passiert. Die Coronakrise hat die Klimakrise in der öffentlichen Debatte in den Hintergrund gedrängt. Das Anliegen der Klimabewegung hat aber nicht an Dringlichkeit verloren. Das hat sich letzte Woche gezeigt, als die Klimajugend den Bundesplatz in Bern besetzte. Auch im Aargau gab es – trotz Corona – wieder Klimademos. Das Thema beschäftigt viele Menschen und es beeinflusst, wem sie bei Wahlen ihre Stimme geben.
Aussichtsloser Kampf gegen bürgerliche Mehrheit
Im Aargau haben die Grünen bei den letzten Grossratswahlen verloren. Lag der Wähleranteil 2008 noch bei 8,9 Prozent (13 Sitze), kamen die Grünen 2012 noch auf 7,4 und 2016 auf 7,1 Prozent. Aktuell politisieren zwei Frauen und acht Männer für die Grünen im Grossen Rat. Damit gehört die Fraktion zu den kleinen. Das wollen sie ändern, wie Parteipräsident Daniel Hölzle sagt (Interview rechts). Die Partei will mehr Einfluss im Grossen Rat und mit Christiane Guyer einen Sitz im Regierungsrat holen. Sie wäre nicht die erste Grüne in der Regierung. Von 2009 bis 2016 hatten die Grünen mit Susanne Hochuli eine Regierungsrätin. Nach ihrem Rücktritt verlor Links-Grün den zweiten Sitz. Für Daniel Hölzle ist das der grösste Misserfolg der Grünen im Aargau.
Mit dem simplen Slogan «Unser Klima. Deine Wahl» versuchen die Grünen, ökologisch bewusste Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Damit zeigen sie: Wir sind das grüne Gewissen des Kantons und räumen der langfristigen Erhaltung unserer Lebensgrundlagen Priorität ein.
Der Klimaplan der Grünen Schweiz ist radikal: Bis 2040 sollen die Emissionen auf netto null reduziert werden und danach soll die Schweiz klimapositiv werden. Das heisst, es sollen mehr Emissionen aus der Atmosphäre entnommen werden, als ausgestossen werden. Das wollen die Grünen mit verschiedenen Massnahmen erreichen, zum Beispiel über energetische Sanierungen von Gebäuden, den Ausbau der Elektromobilität und der erneuerbaren Energien oder die Einführung von Mobility Pricing. Was die politischen Gegner als Utopie bezeichnen, finden die Grünen angesichts der drohenden Klimakatastrophe dringend.
Im Grossen Rat scheitert die Fraktion mit ihren Anliegen regelmässig an der bürgerlichen Mehrheit oder sie sieht sich gezwungen zähneknirschend einem Kompromiss zuzustimmen, um nicht eine unheilige Allianz mit der SVP eingehen zu müssen. Dafür hat die Partei ausserhalb des Ratsbetriebs einen ersten Pflock eingeschlagen: Mitte Juni haben sie – zusammen mit der SP und Verbänden der Baubranche – die Klimaschutzinitiative eingereicht. Diese verlangt, dass der Kanton mehr Geld für energetische Häusersanierungen bereitstellt.
Auffallend ist auch die Beharrlichkeit der Fraktion. In der Budgetdebatte stellen die Grossrätinnen und Grossräte jeweils zahlreiche Anträge für mehr Mittel im Bereich des Klimaschutzes. Von leicht genervten Seufzern in der rechten Ratshälfte lassen sie sich dabei nicht beirren.
Kennzahlen Grüne Aargau
Slogan: Unser Klima. Deine Wahl
Wähleranteil Grosser Rat: 7,1 %
Sitze Grosser Rat: 10
Wähleranteil Nationalrat: 9,8 %
Anzahl Nationalrätinnen: 1
Regierungsrat: 0
«Mehr Frauen, Junge und Vielfalt»
Daniel Hölzle ist seit 2016 Präsident der Grünen Aargau. Der Zofinger sitzt seit 2013 im Grossen Rat und stellt sich zur Wiederwahl.
Welcher Wähleranteil und wie viele Sitze sind Ihr Ziel am 18. Oktober?
WirwollendiezehnProzentknackenundstreben15Sitzean.
Bei den nationalen Wahlen waren die Grünen die Gewinner. Stimmt Sie dieser Erfolg zuversichtlich?
Ich gehe davon aus, dass wir weiter im Aufwind sind. Die Umweltthemen wie Klima, Pestizide und sinkende Biodiversität sind weiterhin in den Köpfen, und politisch gab es noch keine Lösungen. Die Menschen wollen aber Lösungen, und wir Grünen können die bieten.
Letzte Woche haben Klimaaktivisten den Bundesplatz besetzt. Finden Sie diesen zivilen Ungehorsam legitim?
Ziviler Ungehorsam war schon immer ein Mittel, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Die Aktion verlief friedlich und die Geschichtsschreibung wird zeigen, dass es durchaus legitim ist. In 50 Jahren wird man sich fragen wie die Politik die Probleme einfach verdrängen konnte.
Welches war der grösste Erfolg der Grünen Aargau in den letzten vier Jahren?
Die Mehrheit des Grossen Rates ist dermassen rückwärtsgewandt, dass man auf dem parlamentarischen Weg kaum richtige Erfolge erreichen kann. Die guten Resultate bei den Nationalratswahlen sind aber sicher ein Erfolg und zeigen, dass die Bevölkerung unsere Kompetenz bei den Umweltthemen anerkennt. Damit wir im Aargau vorwärtsmachen können, braucht es einen progressiveren Grossen Rat. Weniger alte graue Herren und mehr Junge, mehr Frauen und mehr Vielfalt – nicht zuletzt auch in der Regierung mit Christiane Guyer.
Welches war der grösste Misserfolg?
Der Verlust unseres Sitzes in der Regierung. Es braucht in der heutigen Situation unbedingt eine Person in der Regierung, die sich stark für die Interessen der zukünftigen Generationen einsetzt. Das spüre ich derzeit wenig.
Was ist Ihr grösstes Projekt im Aargau?
Den Menschen aufzuzeigen, wie dringend die Bewältigung der Klimakrise ist und welche Kosten uns erwarten, wenn wir weiter herumlauern und auf der faulen Haut sitzen.
Warum soll man die Grünen wählen?
Grün wählt, wer in 30 Jahren kein schlechtes Gewissen haben will. Wer die Umweltprobleme erkennt und handeln will. Grün wählt man aber auch, wenn man sich für die Kultur, die Bildung und für starke soziale Auffangnetze einsetzen will. (nla)