
Das ist wohl der einzige Scheidungsplaner der Schweiz
Manfred Schneeberger ist wie ein Schnupperlehrling in einer mechanischen Werkstatt – er demontiert sorgfältig, macht eine Auslegeordnung und kann die Teile anschliessend nicht mehr zusammensetzen. Das wird von ihm aber auch nicht erwartet. Und bei ihm geht es um Menschen; Menschen, die vermählt sind, oder besser gesagt: in Bälde waren. Manfred Schneeberger ist wohl der einzige Scheidungsplaner der Schweiz.
Und das in einer Zeit, in der jede dritte Ehe in die Brüche geht. Die Zahl der Scheidungen hat zwar in den letzten Jahren abgenommen, 2017 waren es schweizweit fast 15 900, fünf Jahre zuvor 17 500. Im Kanton Luzern liessen sich 2017 634 Paare scheiden, vierzig weniger als fünf Jahre zuvor.
Wie eine Hochzeit soll auch eine Scheidung gut geplant sein, findet Schneeberger. «Paare wollen sich auf eine gute Art trennen.» Nur, die Vorzeichen bei einer Scheidung sind anders: Scheiden wird als Synonym für Scheitern verwendet. Darin vermischen sich Wut und Schuldgefühle. Wenn Paare zu ihm ins Büro nach Luzern kommen, ist wenigstens noch ein Funken Harmoniebedürftigkeit vorhanden. Ansonsten hätte der Weg direkt vor Zivilgericht geführt. «Wenn beide Anwälte nehmen, sind sie beide Verlierer – zeitlich und finanziell», sagt Schneeberger, der für eine Beratungsstunde 180 Franken verlangt.
Seit sechs Jahren ist er selbstständiger Mediator. Weil er viele Anfragen von Scheidungswilligen erhalten hatte, gab er sich den Namen Scheidungsplaner. Er verbindet damit die Aufgaben eines Anwalts und eines Mediators. Anders gesagt: Schneeberger sucht zusammen mit dem Paar einen Kompromiss bei den Unterhaltszahlungen, Kinderbelangen und bei der Aufteilung des Vermögens, anschliessend setzt er die Scheidungskonvention für das Gericht auf. So weit, so einfach. «Im Unterschied zum Anwalt kümmere ich mich aber auch um das Emotionale», sagt Schneeberger. Gewisse Fälle gehen dem Scheidungsplaner nahe, vor allem, wenn es um Kinder geht. «Kinder gehören nicht in das Spiel.» Das Grundproblem sei die Kommunikation, sagt Schneeberger. Deshalb sieht er sich auch eher als Dolmetscher und nicht als Mechaniker. Auf eine Berufsbezeichnung lässt sich Schneeberger sowieso nicht reduzieren. Er ist nebenbei Bewegungstherapeut, Persönlichkeitstrainer und ü60-Model.
Oder einfacher ausgedrückt: Schneeberger ist ein Optimierer. Das war er bereits als Finanzplaner, das war er als Fitnesstrainer, das war er als junger Sportler. Um bei einem Ehepaar eine Vertrauensbasis zu schaffen, erzählt er meistens zuerst von seiner Vergangenheit. Was in seinem Leben nicht optimal lief, ist die Scheidung. Eine «Kampfscheidung», die zur Folge hatte, dass er seine Kinder lange Zeit nicht sehen konnte. Das wünscht er niemandem.
Scheidungsprozesse, die er begleitet, können zwischen wenigen Stunden und einem halben Jahr dauern, abhängig davon, wie kompliziert die Geschichte ist; ob er zuerst jemanden von der Mediation oder sogar von der Scheidung überzeugen muss. Zu 99 Prozent melden sich Frauen bei ihm. Seine Erklärung: «Sie haben sich lange Zeit für die Familie zurückgenommen. Wenn die Kinder aus der Schule sind, treten auch ihre Bedürfnisse wieder in den Vordergrund.» Dann gibt es ein erstes Zweiergespräch. Männer hingegen würden vielfach erst zu spät begreifen, was los ist. Sie seien eher therapieresistent und lösten Probleme lieber alleine.
Seine Analyse konstruiert Schneeberger aus der Erfahrung mit seiner Klientel. Ein einziges Paar, das bei ihm in der Beratung war, kam wieder zusammen. Obwohl er nicht versuche, eine Beziehung zu retten. Bei zwei der rund Hundert Paare, die er beraten hat, ist die Mediation im Nichts verlaufen. Schneeberger berät vor allem Paare zwischen 40 und 60 Jahren, die in der Stadt oder der Agglomeration wohnen. Es sind aber auch jüngere und ältere sowie Paare, die in ländlichen Gebieten wohnen, darunter. Das älteste Paar, dem er zur Scheidung verhalf, war 76 beziehungsweise 68 Jahre alt. «Um sich zu trennen, ist man nie zu alt», sagt Schneeberger. Gerade in ländlichen Gebieten hätten Menschen nach wie vor Angst vor der Stigmatisierung, weiss er aus Erfahrung. «Die Scheidungsrate wäre viel höher, wenn alle den Mut hätten.» Und so ist Schneeberger eigentlich nicht nur Dolmetscher und Optimierer, sondern auch Motivator.