
Das Kokain kam per Post aus Uruguay – Aargauer Vater muss 3,5 Jahre ins Gefängnis
Eine Pfütze aus Wasser, Schweinefett und ein paar vergammelten Rüebli – so beschreibt Andi (Alle Namen von der Redaktion geändert) die tägliche Essensration während seines Gefängnisaufenthaltes in Uruguay. 2013 wurde der Schweizer in Südamerika verhaftet und sass 22 Monate hinter Gitter.
Der gelernte Koch und Hotelier besitzt ein Hotel in Ecuador. Ein Traum, den er sich mit Hilfe einer Schadensersatzzahlung aus einem Unfall erfüllt hatte. Aktuell wird das Hotel von seinem Vater geleitet. Er erzählt den Aargauer Oberrichtern, wie es zur Verhaftung kam:
«Ich hatte in Ecuador ein zweites Geschäft aufgemacht und mich dafür stark verschuldet. Als ich nicht zahlen konnte, musste ich untertauchen.»
Sein Leben sei damals bedroht gewesen, «mit diesen Leuten ist nicht zu spassen», sagt er.
Er wurde nach Peru geschleust, wo er sich sechs Monate lang in einem Hotelzimmer versteckt haben soll: «Ich hatte manchmal nur einen Beutel Chips, von dem ich mich drei Tage lang ernähren musste», schildert er abenteuerlich. Dann habe man ihn mit einem Koffer, dessen Inhalt er nicht gekannt haben will, nach Europa geschickt. Andi – so seine Schilderung – wurde von den Leuten, denen er Geld schuldete, gezwungen, den Drogenesel zu spielen. Er wurde dabei verhaftet.
Freundschaft zu Drogenschmugglern sei nur zum eigenen Schutz gewesen
Im Gefängnis dann, habe er lediglich versucht, zu überleben. Er freundete sich mit hochrangigen Drogenschmugglern an – darunter Javier und Antonio – sass mit ihnen zusammen und schmiedete gemeinsame Pläne für künftige Geschäfte. «Ich musste so tun, mein Leben hing davon ab.» Diese Schmuggler genossen im Gefängnis hohes Ansehen. Ein Schutz für Andi: «In diesem Gefängnis werden täglich 2,4 Menschen umgebracht. Ich musste einmal Blut vom Boden wischen, weil einem Insassen die Gedärme rausgeschlitzt wurden.»
Doch seine Pläne über Drogenschmuggel seien alles nur Fassade gewesen, will Andi den Richtern wahr machen. Sein Ziel: Die geknüpften Kontakte sollten ihm nach seiner Haft erhalten bleiben, damit er sich ein Autoimportgeschäft aufbauen konnte, behauptet er heute. Doch als Andi aus der Haft entlassen wurde, flüchtete er zurück in die Schweiz.
Er ist sich keiner Schuld bewusst
Der Aargauer wohnte nach seiner Rückkehr in die Schweiz im Keller eines Freundes. Er konsumierte in geselliger Runde mit alten Bekannten Kokain und Alkohol. Da hatte einer seiner Freunde die Idee, mit dem Schmuggel von Drogen Geld zu verdienen. «Ich wollte ihm helfen, wieder auf die Beine zu kommen.» Abgesehen davon habe er ja eigentlich nichts getan, rechtfertigt sich der Beschuldigte.
Andi stellte den Kontakt zu seinem ehemaligen Gefängnisgenossen Javier her und überwies diesem Geld. Javier schickte anschliessend 180 Gramm Kokaingemisch in drei Postsendungen von Uruguay in die Schweiz an die Adresse von Andis Freund. Das Briefzentrum Zürich-Mülligen fing das Kokain ab.
Zoll beschlagnahmte im Coronajahr deutlich mehr Drogen
Wie die Statistiken der Eidgenössischen Zollverwaltung zeigen, wurden im Ausnahmejahr 2020 trotz teils geschlossener Grenzübergänge und reduziertem Flugverkehr deutlich grössere Mengen an Betäubungsmitteln beschlagnahmt.
Stellte die Eidgenössische Zollverwaltung 2019 noch 124 Kilogramm Kokain sicher, waren es im Coronajahr 2020 ganze 162 Kilogramm – eine Zunahme von 38 Kilogramm gegenüber dem Vorjahr. Die festgestellten Mengen an Heroin stiegen von 20 Kilogramm im Jahr 2019 auf 55 Kilogramm im Jahr 2020. Davon beschlagnahmte alleine der Flughafen Zürich je 42 Kilogramm Kokain und ein Kilogramm Heroin. Der Rest kam über Post oder Landweg.
Geht man von einem Durchschnittspreis von ungefähr 100 Franken pro Gramm aus (Suchtmonitoring Schweiz), hätte diese Lieferung einen Wert von 18’000 Franken gehabt.
Doch damit nicht genug. Andi, so die Anklage, soll Ende 2017 Anstalten getroffen haben, zusammen mit Antonio, seinem ehemaligen Zellengenossen aus dem Uruguayanischen Gefängnis, den Import von 3,5 Kilogramm Kokain von Südamerika in die Schweiz zu organisieren. Dies zum Kilogrammpreis von umgerechnet rund 35’000 Franken – also für die ganze Ladung insgesamt mehr als 120’000 Franken.
Andi schreit den Richter an, als dieser ihn zum geplanten Coup befragen will:
«Das ist Unsinn! Wissen sie eigentlich, mit wem ich mich anlegen müsste, um eine solche Menge zu besorgen?»
Er habe sich wirklich nur ein Autogeschäft aufbauen wollen und den Kontakt zu Antonio deshalb aufrechterhalten. Doch die Beweise, darunter Textnachrichten nach Südamerika, sprechen gegen ihn.
Das Obergericht kauft ihm seine Erklärungen nicht ab
Das Bezirksgericht Baden hatte Andi am 11. Juni 2019 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von 3,5 Jahren verurteilt. Andi focht das Urteil an. Mittlerweile hat er in der Schweiz wieder einen festen Job und eine neue Frau, die während der Verhandlung draussen warten muss. Er bricht in Tränen aus, als Oberrichter Robert Fedier ihn nach seinen aktuellen Lebensverhältnissen befragt. Er sei jetzt endlich wieder glücklich.
Doch das Obergericht weist die Berufung vollständig ab. Andi muss für 3,5 Jahre ins Gefängnis. Oberrichter Fedier begründet das Urteil:
«Wir sind der Meinung, dass man ihren Aussagen keinen Glauben schenken kann.»
Die Textnachrichten zwischen Andi und den Südamerikanern seien eindeutig gewesen: «Es gibt keine Zweifel daran, dass es dabei es um Drogen ging.»
Kokainhandel steht im Aargau an zweiter Stelle
188 Straftaten gab es im Aargau im Jahr 2019 wegen Handels mit Betäubungsmitteln. An erster Stelle steht seit Jahren der Handel mit Cannabisprodukten: 46 Prozent der Anzeigen betraf den Verkauf von Hanf. An zweiter Stelle folgt der Handel mit Kokain. Dieser macht 22 Prozent der Anzeigen wegen Handels mit Betäubungsmitteln aus. Es folgen Heroin, Amphetamin und Ecstasy.
Der Handel mit Drogen macht im Aargau nur einen kleinen Teil aller Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz aus. 3318 Straftaten gab es 2019 insgesamt. Von diesen 3318 Vergehen macht der Drogenhandel mit 188 Fällen nur 6 Prozent aller Vergehen aus. 2076 Straftaten, also rund 62 Prozent, betrafen den Konsum von Drogen. In 1012 Fällen wurde der Besitz von Drogen angezeigt (30 Prozent der Straftaten). Der Drogenschmuggel wurde 15 Mal zur Anzeige gebracht. Die aktuellen Zahlen für das Jahr 2020 publiziert die Polizei in den kommenden Wochen. (tel)