
Dem Affen im Menschen zu Leibe gerückt
«Möged ee no?» Diese Frage stellt Simon Enzler im Fabrikli Bottenwil gleich zu Beginn, was verständlicherweise Zustimmung erntet. Der gerne im Verschrobenen irrlichternde «Appezölle» zäumt das Pferd gerne von hinten auf. Einzig der Prix Garantie fehle ihm noch, meint er und führt damit das Publikum direkt in seine Realsatiren voller Hinterhältigkeiten hinein. Der gmögige, wenn auch manchmal etwas gar selbstgerechte «Pfooteri» flucht wie ein Rohrspatz, haut Stammtischgedanken auf den Kopf, dass es nur so kracht. Als Vermieter, der dem Publikum eine Wohnung im Appenzellischen andrehen will, redet er sich um Kopf und Kragen. «Ausländer und Haustiere unerwünscht», annonciert er in der Zeitung und erklärt seine Haltung zu Ausländern: «I säge das nid als Mensch, im Gägetel, i säges as Schwize. Wenn en Uslende inechont i d’Schwiz, de toleriereni au, wenn er wide muess go.» Wie heimtückisch mehrdeutig und verräterisch er ist, dieser Satz. So scheinbar schlau der Vermieter schwadroniert, so offensichtlich entblösst er sich selber als Unmensch. Das ist ein Charakteristikum von Enzlers Kunst. Er kniet sich so lange in die Charaktere hinein, bis sich Abgründe auftun. Das Doppelbödige macht die Qualität seiner Satire aus. Hinter dem Text läuft immer noch ein Subtext mit. Timing, Mimik und Gestik geben den Figuren den letzten Schliff und machen Abgründe noch sichtbarer. Während einen der vordergründige Witz herzhaft zum Lachen bringt, kann einen hintergründig mitschwingende eiskalt erwischen. Seine Satire schlägt ein, weil sie sich sorgfältig anschleicht. «Gesichertes Einkommen bei Ausländern? Gibt es nicht!», doppelt Enzler als selbiger Vermieter nochmals nach. Er wisse es ja aus eigener Erfahrung. Die Eritreerin, die er als Putzkraft angestellt habe, pfeife mit ihrem gottserbärmlichen Lohn jeweils aus dem letzten Loch.
Der Realität abgeschaut
Nicht allein um Ausländer geht es in diesem Programm, das Enzler im Gegensatz zu früheren Programmen solo und ohne musikalischen Sidekick bestreitet. Weshalb soll sich einer über den Islam aufregen? Die Bedrohung beginnt beim Nachbarn. So fundamentalistisch wie der jasst, so radikal der seine frisch auf der Wiese gemähten «Madli» gen Süden ausrichtet. Aber er ist eben schon interessant, der Nachbar, dieses Wissen ist schliesslich ein Schweizer Kulturgut. Nachts mit dem Feldstecher im gegenüberliegenden Haus einen Einbrecher beobachten. Zugleich vermuten, es sei der besoffene und ausgeschlossene Ehemann, der sich Zugang über den Balkon verschafft. Und auf dem Holzweg lauthals spotten. Das ist Realsatire pur. Es hätte nicht viel gefehlt, und Beobachter Enzler hätte die Polizei gerufen.
Auf den zweiten Preis eines Wettbewerbs zu spekulieren, ist nicht minder der Realität abgeschaut. Die umständliche Begründung, weshalb es die Bregenzer Festspiele nicht hätten sein dürfen, der erfolgreich erhaschte Hörgerätegutschein aber schon, ist zum Brüllen komisch. Und aufgepasst: Wer zu kritisch auf des Nachbars Geldeinlage im «Opferchöbli» linst und sich über dessen mickrigen Zweifränkler aufregt, muss mitunter büssen. So kann er zwar mit einem Nötli Gegensteuer geben. Doch stellt er sich auch bloss, wenn er zu umständlich nach Herausgeld fischt.
In Rage versetzt
Enzlers Figuren enervieren sich gewaltig. Das Fluchen und Sirachen hat kathartische Wirkung. Es bringt die appenzellischen, der Realität abgeschauten Figuren, mit sich selbst ins Lot. Tacheles reden, so beweist Enzler, ist immer noch besser, als sich hinter abgefeimten Nettigkeiten zu verstecken. So überrascht es nicht, dass ein Zuschauer unversehens einen saftigen Fluch auf die Bühne wirft. Ob No Billag oder Stromsparen, Simon Enzler lässt so manches in seiner Eurokill-Fliegenfängermaschine verbröseln. Das Ungetüm mit Hitzerost ist eine Wiederverwertungsmaschine par excellence. Was hier verbrutzelt, wird später zum Dünger für die Topfpflanzen. So ist es mit diesen Bodensätzen des Alltags. Sie bleiben im Kreislauf und spriessen wieder neu hervor. Simon Enzler lehrt: Menschenwürdiges und Gmögiges verträgt sich durchaus mit Unachtsamkeit, Angst und Brutalität. Abgründe lauern überall. Besonders dort, wo Menschen ihre Haltung besonders plakativ zu Markte tragen. In einem Interview hat der Kabarettist mal gesagt, er habe es nicht so mit der Politik. Das ist untertrieben. Denn Politik nährt sich oft vom Stammtischdenken.
Apropos: Das Bottenwiler Publikum ist von der Aufführung derart begeistert, dass Simon Enzler es mit Kompressor und Luftballon in die Flucht schlagen muss. Er hat es auch nicht anders verdient.
Simon Enzler ist mit seinem abgründigen Witz und seiner verschrobenen Appenzeller Art am 25. Januar auch zu Gast in Oftringen. Weitere Informationen: www.kultur-oftringen.ch