Der 32. Powerman Zofingen mit viel Regen, Medaillen, Wunden und Wärmeflaschen – mit VIDEO und GALERIE

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Am ganzen Körper zitternd spazierte Nina Zoller übers Wettkampfgelände des 32. Powerman Zofingen – allerdings abseits des Renngeschehens. Die Bündnerin war angereist, um den Duathlon-Langdistanz-Weltmeister-Titel von 2019 zu verteidigen. Nach der ersten Radrunde stieg sie entkräftet vom Bike: «Ich fror wahnsinnig. Es hätte keinen Sinn gemacht, so 100 Kilometer weiterzufahren, die Gesundheit geht vor», meinte die 34-Jährige. Ihre Enttäuschung hielt sich in Grenzen, obwohl sie in Topform hinter die Startlinie getreten war: «2019 hatte ich meinen grossen Tag, heuer gönne ich diese Freude jemand anderem.»

Zum Beispiel Sarah Noemi Frieden. Die Bernerin hatte auf der ersten Laufstrecke zwar noch das Gefühl, sie schaffe es niemals ins Ziel. Und das Mitglied des Duathlon-Nationalkaders kriegte auf dem Rad in zweierlei Hinsicht kalte Füsse: Weil es extrem nass und frisch war, und weil sie Respekt hatte vor dem Aquaplaning in den Kurven: «Mein Velo war eigentlich eine Katastrophe für diese Bedingungen», formulierte es die 28-Jährige salopp. Sie dosierte das Riskio gut und biss sich trotz Rückenschmerzen durch – und wurde letztlich WM-Dritte. «Das ist unglaublich, ich kann gar nicht glauben, was da soeben passiert ist», meinte Frieden im Ziel. Auf den abschliessenden 30 Laufkilometern war sie ihr eigenes Rennen gelaufen, ohne die Chance, zu den Athletinnen vor ihr aufzuschliessen. Denn was die Deutsche Merle Brunnée nach 10 km Laufen zum Auftakt und 150 Radkilometern zeigte, war eine Klasse für sich. Leicht und locker wirkte ihr Laufstil, selbst beim Anstieg auf den Heitern und bei den Downhill-Passagen behielt sie ihren Rhythmus. «Einmal ein solch hartes Rennen zu bewältigen und erst noch Weltmeisterin zu werden, war mein Traum», sagte Merle Brunnée im Ziel, «ich bin selber überrascht, dass sich der erfüllt hat bei meinem ersten Duathlon, bei meiner ersten Langdistanz, bei meiner ersten WM überhaupt.» Sie habe erst in der Wechselzone nach dem Radfahren durch Zurufen ihrer Betreuer realisiert, dass sie in Führung liege und 12 Minuten Vorsprung habe: «Da wusste ich, das ist zwar ein Rennen, aber ich muss nun nicht mehr pressieren, sondern einfach sauber durchlaufen.»

Von Schmerzen, Dankesworten und richtiger Kleiderwahl

Ein wenig profitierte die 27-Jährige auch davon, dass das Teilnehmerinnenfeld von Anfang an klein war – 13 Elite-Athletinnen nahmen den 32. Powerman in Angriff, nur sieben kamen bei den den garstigen Bedingungen ins Ziel. Nicht zu ihnen zählte Melanie Maurer. Die in Wikon aufgewachsene Lokalmatadorin startete fulminant ins Rennen und drückte auf dem Velo kräftig aufs Tempo. Obwohl sie nach dem Studium der Wettervorhersagen im Dauerregen mit Handschuhen und einem Oberkörper-Wetsuit unterwegs war, fror sie. Immer wieder schüttelte die 33-Jährige ihre Arme aus, um sie aufzuwärmen. 12 Minuten betrug ihr Vorsprung, als sie zum zweiten Mal in die General-Guisan-Strasse einbog.

Als Zuschauer hätte man erwartet, dass sie sich vom Nationalcoach eine Jacke reichen lässt für den dritten 50-km-Umgang, aber sie fasste lediglich Verpflegung, «mehr realisierte ich gar nicht.» Schliesslich musste die Zweitplatzierte von 2019 in Staffelbach vom Rad steigen und sich, mit einer Körpertemperatur von nur noch 34 Grad, ins Begleitfahrzeug und in medizinische Betreuung begeben. «Dank Wärmeflaschen kam ich so nach zwei Stunden wieder auf Normaltemperatur», so Melanie Maurer. Die Unterkühlung war behoben, was blieb war die Enttäuschung, dass sie nach 110 Kilometern und auf Goldkurs aufgeben musste. Die Siegerehrung habe sie sich nicht anschauen können. Schade eigentlich, denn Sarah Noemi Friedens Worte hätten sie sicher aufgebaut. Maurer ist nämlich die Trainerin der Bronze-Gewinnerin, die meinte: «Ohne Melanie wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Es tat mir weh, als ich hörte, dass sie nicht weiterfahren kann.»

Wenn sich das Leiden lohnt, dann läuft der Powerman

Tränen in den Augen hatte Jens-Michael Gossauer nach seinem Zieleinlauf – vor Erleichterung, Freude und Schmerz. «Ich habe noch an keinem Wettkampf, an keinem Tag in meinem Leben so gelitten wie heute», meinte der Bäretswiler, der wie bei der letzten Ausgabe des Powerman Zofingen Zweiter wurde. Für Gossauer war die Langdistanz-WM das wichtigste Rennen der Saison, «aber ich erwischte einen ganz schlechten Tag und hatte Magenkrämpfe.» Auf dem Weg in die Wechselzone stürzte der 28-Jährige zudem und knallte mit dem Kopf an ein Gitter. Den Cut an der linken Schläfe habe er kaum gespürt, «aber alles andere tat weh.» Zudem ärgerte sich Gossauer  über die eigentlich verbotenen Gruppenbildungen auf der Radstrecke, blendete dies aber letztlich aus und beendete sein Rennen auf Platz zwei. «Damit bin ich extrem glücklich, es war das Beste, was für mich heute möglich war. Silber fühlt sich wie ein Sieg an.»

Belgische Bedingungen und eine simple Taktik

Denn einer agierte schlicht in einer eigenen Liga: Seppe Odeyn. Er gehörte bis zur Rennmitte der sechsköpfigen Gruppe an mit seinem Landsmann Angelo Vandecasteele, Jens-Michael Gossauer, dem Holländer Daan de Groot, dem Franzosen Matthieu Bourgeois und dem Dänen Simon Jorn Hansen. «Ich war zum siebten Mal dabei, da weiss ich, dass ich auf der letzten Radrunde Gas geben muss, weil das den Unterschied machen kann», sagte Odeyn und tat genau dies. Aber der Sieger von 2016 liess auf dem folgenden 30-km-Lauf nicht nach, im Gegenteil. Aus dem 4,5-minütigen Vorsprung von der Radstrecke machte der 34-Jährige bis ins Ziel 12,5 Minuten. Mit den Bedingungen sei er bestens zurecht gekommen. «Es war wohl belgisches Wetter«, scherzte er, «mir ist es egal, ob es regnet oder kalt ist, ich hab nicht mal die Prognosen angeschaut.»

Wie hart der 32. Powerman war, zeigt ein Blick in die Finisher-Listen. 262 waren für die Langdistanz-Rennen eingeschrieben, 216 starteten, 150 erreichten das Ziel. Die meisten gaben wegen Unterkühlung auf. Andere wie der Schweizer Elite-Athlet Fabian Zehnder nach einem Crash und ein Staffel-Teilnehmer wurde von einem Funktionärs-Pick-up touchiert. Er blieb unverletzt, musste das Rennen aber wegen des defekten Rads und wegen des Schrecks aufgeben. Insgesamt beteiligten sich am Wochenende gut 700 Sportbegeisterte am Powerman Zofingen und freuten sich, dass trotz Dauerregen erstaunlich viele Menschen am Streckenrand applaudierten.