
«Der Bär schläft, aber es ist ein Bär»
Worin liegt der Reiz, Trainer beim FC Aarau zu werden?
Patrick Rahmen: Erst einmal ist der FC Aarau ein Traditionsklub, das macht ihn per se interessant. Für mich waren die Führungspersonen ein wichtiger Faktor. Bodenständige Persönlichkeiten mit einem guten Standing in der Region. Mit Sportchef Sandro Burki verstand ich mich von Anfang an gut. Nicht zuletzt ist das Brügglifeld reizvoll: Als Aktiver habe ich dort nie gerne gespielt, nur ein Mal mit YB gewonnen.
Was sagen Sie den Kritikern, laut denen der FC Aarau mit Alfred Schmid und Roger Geissberger an der Spitze nicht weiterkomme?
Das kann ich nicht unterschreiben. Sie sind die Verantwortlichen, sie geben die Richtung vor. Es ist normal, dass in schwierigen Zeiten die Kritik auch auf die Klubspitze zielt. Unsere Gespräche waren konstruktiv und ich spüre den Rückhalt für Sandro Burki und mich. Und dass man uns machen lässt.
Der Nimbus des FC Aarau als «gallisches Dorf» inmitten übermächtiger Gegner ist erloschen.
In den vergangenen zwei Saisons war das so. Trotzdem ist die Atmosphäre im Brügglifeld einmalig in der Challenge League. Selbst jetzt, wo es sportlich um nichts mehr geht, kommen immer noch 3000 Leute an die Heimspiele. Wenn wir für die nächste Saison eine schlagkräftige Mannschaft zusammenstellen und attraktiv spielen, werden die Zuschauer das honorieren.
Bis zuletzt war mit Ciriaco Sforza ein zweiter Kandidat im Rennen. Hat Sie das verunsichert?
Nach den Gesprächen mit Sandro Burki hatte ich stets das Gefühl, gut im Rennen zu sein. Die Vergangenheit hat mich aber gelehrt, dass ein gutes Gefühl nichts bringt, solange der Vertrag nicht unterschrieben ist.
Sie sprechen den Frühling 2017 an, als Sie Topkandidat beim FC Basel waren, dann aber Raphael Wicky den Vorzug erhielt.
Das war enttäuschend. Ich rechnete damit, den Job zu bekommen.
Nun werden Sie vielleicht via Aarau in Basel landen.
Daran denke ich nicht, es gibt beim FC Aarau genug zu tun.
Sie haben einen Zwei-Jahres-Vertrag unterschrieben, das macht der FCA mit Trainern sonst nicht. Wie haben Sie vor den Klubverantwortlichen Eigenwerbung betrieben?
Ich habe nicht das Blaue vom Himmel versprochen, sondern nüchtern meine Gedanken zum FC Aarau dargelegt. Und wie meiner Meinung nach der Umbruch gestaltet werden muss.
Wir haben Sie als bodenständigen, ruhigen und sachlichen Typ bezeichnet – sind Sie das?
Ich bin sicher alles andere als abgehoben und ich kann mit Menschen umgehen. Ruhig und sachlich? Ja – aber ich bin auch mal lauter, wenn es sein muss.
Ihre Analyse: Warum ist der FC Aarau sportlich so tief gesunken?
Das kann und will ich nicht beurteilen, ich hatte keinen Einblick in die Arbeit meines Vorgängers. Aber so katastrophal, wie es teilweise beschrieben wird, steht es nicht um den Verein.
Wo setzen Sie den Hebel an?
Wir müssen eine optimale Zusammensetzung der neuen Mannschaft anstreben. Das bedeutet, bei der Auswahl der neuen Spieler nicht nur auf technische und taktische Qualitäten zu achten, sondern genauso auf den Charakter. Wir brauchen druckresistente Führungsspieler.
Abwehr, Mittelfeld, Sturm: In jedem Mannschaftsteil braucht es gewichtige Transfers.
Das sehe ich auch so.
Sie sagten, die Lage des FC Aarau sei nicht katastrophal.
Ich will nichts schönreden. Ich will nächste Saison einen klar anderen FC Aarau als den, den ich gesehen habe.
Wie gut ist die aktuelle Mannschaft?
Ich sehe Spieler, mit denen ich arbeiten will, sie passen fussballerisch in mein Konzept. Es gibt zudem interessante junge Spieler, die ich auf dem Weg zum gestandenen Profi begleiten möchte. Das Hauptproblem sehe ich im mentalen Bereich: Wegen Kleinigkeiten verliert die Mannschaft Ordnung und Selbstvertrauen, obwohl sie bis zu diesem Moment gut spielt.
Die Verträge von acht Stammspielern laufen aus. Die Chance zum Ausmisten muss beim Schopf gepackt werden. Lieber also einen Spieler zu viel als zu wenig loswerden.
Die Vergangenheit war nicht gut, es braucht tiefgründige Veränderungen.
Brauchen die Spieler, die beim FC Aarau bleiben, einen Psychologen?
Wenn man Spieler zum Psychologen zwingt, öffnen sie sich nicht. Das muss aus eigenem Antrieb geschehen.
Es gibt Spieler, die talentiert sind, aber seit Jahren stagnieren. Zum Beispiel Olivier Jäckle. Tendieren Sie zu «Tabula rasa» oder wollen Sie solche Spieler aufpäppeln?
Auf Einzelfälle will ich nicht eingehen. Grundsätzlich habe ich die Gabe, mich individuell mit Spielern auseinanderzusetzen und sie stärker zu machen.
Setzen Sie sich durch, wenn der Klub einen Spieler behalten will, Sie aber dagegen sind?
Wenn ich das Gefühl habe, ich kann einen Spieler besser machen, soll er bleiben. Wenn ich mir auf dieser Position einen anderen Spieler wünsche, muss man sich trennen.
Sportchef Sandro Burki war bis vor acht Monaten Teil der Mannschaft, einige Spieler sind seine Freunde. Es wäre menschlich, Freunden den Vertrag zu verlängern.
Menschlich vielleicht, aber es wäre falsch. Ich scheue mich nicht, meine Meinung zu sagen, ohne Rücksicht auf persönliche Verbindungen. Ich habe aber absolut keine Anzeichen dafür, dass Sandro nicht nur sportliche Kriterien anwendet. Das würde ihm eh nichts bringen, denn er wird letztlich genau wie ich am sportlichen Fortschritt gemessen.
Ist es für Sie ein Problem, einen 17 Jahre Jüngeren als Vorgesetzten zu akzeptieren?
Dafür kennt Sandro Burki den FC Aarau bestens. Die Konstellation ist ideal. Hätte ich Probleme mit der Rollenverteilung, hätte ich den Job nicht angenommen. Unter Zugzwang war ich nicht, ich hatte andere Angebote.
Von Schweizer Klubs?
Eines aus dem Ausland, zwei aus der Schweiz.
Wie stellen Sie Ihren Trainerstaff zusammen? Übernehmen Sie Stephan Keller als Assistenten?
Wer mein Assistent wird, bestimme ich. Mit Stephan Keller werde ich mich treffen, bevor ich mit anderen Kandidaten rede. Ich muss herausfinden, ob wir zusammenpassen.
Welches Ziel haben Sie mit dem FC Aarau in der nächsten Saison?
Präsident Alfred Schmid hat es gesagt: Wir wollen unter den ersten vier landen. Wem dieses Ziel zu hoch ist, der ist fehl am Platz. Aufgrund der Möglichkeiten hier müssen wir das hinbekommen. Von Drei-Jahres-Plänen halte ich wenig: Nächstes Jahr müssen wir einen deutlichen Schritt vorwärtsmachen.
Übernehmen Sie den FCA in einem guten oder schlechten Moment?
Der Bär schläft, aber es ist ein Bär. Wenn wir es schaffen, ihn aufzuwecken, kann eine grosse Euphorie entstehen. Ich bin kein Träumer, werde aber auch nicht künstlich auf die Bremse treten. Ich bin unbefangen, muss in Aarau niemandem einen Gefallen machen. Das ergibt eine gute Ausgangslage. Ich bin sicher, dass etwas Gutes entstehen kann.
Beim FC Luzern und beim Hamburger SV waren Sie Assistent, Ihr einziger Cheftrainer-Job war 2015/16 in Biel. Können Sie Cheftrainer?
Bevor ich 2011 Thorsten Fink nach Hamburg begleitete, war ich vier Jahre Cheftrainer bei der U21 des FC Basel. Dort herrschen professionellere Bedingungen als bei manchem Challenge-League-Klub. So gesehen habe ich mehr Cheftrainer-Erfahrung als Sie meinen. Die Rolle des Chefs ist besser auf mich zugeschnitten als die des Assistenten.
Ihr Vorgänger hat die Exponiertheit und den Druck auf den Trainer eines Profiklubs wohl unterschätzt.
Ich will das nicht beurteilen. Ich unterschätze nichts, gleichzeitig wird mich aber nichts überraschen.
Geben Sie gerne Interviews?
Ja. Manchmal bin ich froh, von mir aus Dinge klarzustellen. Was mir fernliegt, ist jede Woche vor Managern oder anderen wichtigen Leuten Referate zu halten. Die Zeit nütze ich lieber für Detailarbeit an der Mannschaft.
Sie wohnen in Dornach, 50 Autominuten entfernt von Aarau. Werden Sie trotzdem ein Zimmer in Aarau nehmen?
Das weiss ich noch nicht. Mein Sohn geht zur Schule, meine Tochter in den Kindergarten, wir werden als Familie in Dornach bleiben. Die Zeit im Auto ist auch wertvoll, um Dinge zu reflektieren und Abstand zu schaffen. Aber ich möchte am Leben in Aarau teilnehmen und mich in der Stadt zeigen. Das empfinde ich als selbstverständlich und wichtig, besonders in einer fussballbegeisterten Stadt wie Aarau.
Imagepflege und die Stadion-Abstimmung im Frühjahr 2019: Der FC Aarau steht vor dem wichtigsten Jahr der Klubgeschichte. Sie werden als Trainer massgeblich beeinflussen, welche Falle der FC Aarau in seiner Schicksalsaison macht.
Mit diesem Druck müssen alle umgehen können. Wenn wir mit Freude, Mut und der nötigen Bescheidenheit arbeiten, dann wird gute Stimmung aufkommen. Die Menschen müssen wieder sagen: Der FC Aarau macht Spass.
Patrick Rahmen
Ein gutes Omen? Der neue Trainer des FC Aarau kommt aus der Fussball-Hauptstadt Basel und ist eng verbunden mit dem FCB: Vater Bruno Rahmen ist eine Klublegende, wurde von 1967 bis 1973 fünf Mal Meister. Patrick stiess 1987 als Stürmer ins FCB-Profiteam, wechselte dann zu den Berner Young Boys und kehrte zurück zum FCB, ehe er in Delémont und Solothurn die Karriere ausklingen liess. Nach der kurzen Rückkehr in seinen gelernten Beruf (Detailhandel) stieg er 2004 beim FC Basel ins Trainerbusiness ein. Später war Rahmen Assistent beim Hamburger SV und beim FC Luzern, dazwischen trainierte er in der Challenge League den FC Biel. Rahmen ist am 3. April 2018 49 Jahre alt geworden, ist seit neun Jahren verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter.