Der Bundespräsident im Kapuzenpullover

Am Sonntag konnte ich mit meiner Frau mal wieder ausgehen. Dank Opa, der die Kinder zuerst ins Bad steckte und dann ins Bett brachte. Darum an dieser Stelle mal wieder ein Hoch auf all die Grossväter und Grossmütter, die landauf, landab uns Eltern die Kinder abnehmen, wenn wir zur Arbeit oder zum Zahnarzt müssen oder eben auch mal zum Vergnügen an ein Konzert gehen dürfen. Wir gingen letzten Sonntag zu Sophie Hunger, der Schweizer Musikerin, die durch halb Europa tourt und nun kurz vor Weihnachten in der Heimatstadt gastierte. Wir gingen also wieder mal in die Reitschule, das links-autonome und viel gescholtene Kulturzentrum im Herzen Berns.

Dort begegneten uns weder Chaoten noch Dealer, wie man annehmen könnte, wenn man bisher nur in nationalen Medien über die Reitschule gelesen hat. Nein, dort begegneten uns viele andere Eltern, die ihre Kinder einen Abend in die Obhut anderer geben konnten. Darunter auch ein prominentes Elternpaar. Neben uns an die Bar gesellten sich der aktuelle Bundespräsident Alain Berset mit Frau und Freunden. Der Kulturminister trug ganz leger einen schwarzen Kapuzenpullover und versuchte auch nicht inkognito zu bleiben. Er publizierte in den sozialen Medien zumindest postwendend ein Foto des mitreissenden Konzerts.

Wir leben in einem wunderbaren Land, wenn der Bundespräsident sich ohne sichtbaren Schutz sonntagabends in Bern unter Konzertbesucher mischen kann und das auch gleich aller Welt mitteilt. Und wir haben einen erfreulich unkomplizierten Bundespräsidenten, wenn dieser ein viel gescholtenes autonomes Zentrum so selbstverständlich und ohne Aufhebens besucht, wie der Student, der neben ihm an der Bar steht.

PS: Diese Geschichte legt auch bezüglich Reitschule den Fokus wieder mal auf das, was das Zentrum in erster Linie ist. Ein höchst erfolgreiches Berner Kulturlokal für jedermann und nicht eine Trutzburg für wenige Chaoten.