Der FC Aarau von allen guten Geistern verlassen

Als das Leiden ein Ende hat, stehen die Aarauer Spieler bedröppelt auf dem Rasen, keine Regung, keiner spricht. Bilder, die die gespenstische Atmosphäre im praktisch leeren, riesigen Letzigrund-Stadion zusätzlich verschärfen. 0:5. Das Verdikt ist aus Sicht der Gäste schlimm genug. Doch sie müssen froh sein, «nur» 0:5 verloren zu haben. Bedarf es diesem Auftritt noch Worte? Angesprochen auf die Berufseinstellung seiner Spieler an diesem Abend, zuckt Trainer Patrick Rahmen mit den Schultern und schweigt. Keine Antwort ist in diesem Fall trotzdem eine.

Gleich das erste Spiel nach der 117-tägigen Coronapause war ein wegweisendes: Es war für den FC Aarau die letzte Chance, doch noch einmal in Sichtweite zur obersten Tabellenregion zu gelangen und im besten Fall ein Wörtchen um die Barrage mitzureden. Man durfte erwarten, dass die Spieler dafür den nötigen Stolz und Ehrgeiz an den Tag legen. Und dass sie, ohne den Lärm und die Erwartungshaltung von den Zuschauerrängen, auch einigermassen befreit aufspielen.

Doch spätestens als Nikola Gjorgjev nach 32 Minuten das 2:0 für GC erzielt, scheint sich zu bewahrheiten, was die Pessimisten voraussagten: Dass es nach der Zwangspause weiter geht wie zuvor. Uninspiriert und fehlerhaft. Ebendiese Pessimisten bekamen sogar doppelt recht: Es war nicht nur eine Fortsetzung des Abwärtstrends vor Corona, es war noch viel schlimmer. Ein Trauerspiel.

GC beklagt nach der ersten Halbzeit eine schlechte Auswertung – und führt trotzdem 3:0. Morandi, Gjorgjev und Pusic heissen die Torschützen. In den drei Aktionen zeigt sich die Klasse der Hoppers, vor allem der Schuss in den Winkel von Pusic war eine Augenweide. Aber allen Treffern gehen haarsträubende Aussetzer der Aarauer voraus, die mit 44 Gegentoren im Gepäck nach Zürich gereist sind und sich mit 49 auf die Heimfahrt begeben. Ruf der Schiessbude eindrucksvoll zementiert.

Was neben dem sportlichen Zweiklassen-Unterschied ins Auge sticht ist, wie wehrlos sich die Aarauer ihrem Schicksal ergeben. Es heisst, eine Mannschaft in Nöten muss sich auf Basistugenden wie Solidarität und Aggressivität das Selbstvertrauen zurückholen. Doch je länger die Partie dauert, umso mehr wird die Aarauer Mannschaft zu einer Ansammlung von Einzelmasken, die Körpersprache ist ein Fiasko. Ein GC-Spieler, der sich krümmt vor Schmerzen, weil ihm ein Aarauer auf den Fuss getreten ist? Fehlanzeige. Die einzige gelbe Karte auf Seiten der Gäste holt sich Markus Neumayr ab, mit einem Frustfoul in der 78. Minute, als das Schlussresultat längst Bestand hat.

Apropos Neumayr: Er ist einer der sogenannten Führungsspieler, auf deren Leadership der Trainer für einen allfälligen Sturm nach vorne hoffte. Aber Neumayr, Affolter, Thiesson, Zverotic und nach der Pause auch Schneuwly waren ein Schatten ihrer ruhmreichen Vergangenheit. Kein Wunder, kam ohne den Halt der Routiniers auch vom Rest der Mannschaft nichts.

So muss Aarau froh sein, gibt es keinen Absteiger

«Unerklärlich», ist eines der wenigen Worte, die Trainer Rahmen dann doch noch findet. Die Darbietung stehe in keinem Vergleich zum Engagement in den Trainings der vergangenen Tage und zu den phasenweise guten Auftritten in den Testspielen gegen die oberklassigen Thun (1:1), FCZ (1:5) und St. Gallen (1:4).

Nach diesem Fiasko im Letzigrund, notabene der höchsten Niederlage gegen GC seit dem 0:6 im September 2000, ist nicht nur der letzte Funken Hoffnung auf die Barrage erlischt, auch das von den Exponenten ausgesprochene Ziel «Rang 4» ist in dieser Verfassung illusorisch. Ja, der FC Aarau muss froh sein, gibt es in dieser Saison keinen Absteiger. 

Wie weiter? Man kann es nur so einfach ausdrücken: Alles muss besser werden am nächsten Dienstag gegen Wil, das zum Auftakt des Saison-Schlusssprints Leader Lausanne ein 1:1 abtrotzte. Gleichentags tagt übrigens der Verwaltungsrat des FC Aarau, um die sportliche Strategie für die nächste Saison zu besprechen. Gut möglich, dass sich Neo-Präsident Philipp Bonorand nach dem ersten Pflichtspiel unter seiner Ägide bald auch mit kurzfristigeren Fragen beschäftigen muss. Was, wenn es in den nächsten Partien so weitergeht und der FC Aarau endgültig sein Gesicht verliert?