Der gefiederte Jäger

 

Patty Stoll dressiert ihre zwei Wüstenbussarde Noa und Skadi für die Krähenjagd.

ie bernsteingelben Augen des Vogels fixieren den Happen rohes Fleisch, den ihm seine Halterin entgegenstreckt. Dann breitet er auf dem Kirschbaum seine Schwingen aus, segelt durch die Luft und landet sanft auf Patty Stolls Arm, wo er das Fleisch mit seinem spitzen Schnabel zerteilt und frisst. Ein Lederhandschuh schützt die 58-Jährige dabei vor den Krallen des Wüstenbussards. Er gehört zur Familie der Habichtartigen, zu der auch manche Adler und Geier zählen, und stammt aus Nordamerika.

Jagd auf Krähen
Patty Stoll ist Falknerin. Falkner halten Greifvögel und betreiben mit ihnen die sogenannte Beizjagd: Sie richten die Falkenvögel dazu ab, Krähen zu fangen, D um so in kleinem Mass deren Überpopulation entgegenzuwirken. Niederwild wie Wildkaninchen oder Fasane werden aufgrund ihres geringen Bestandes in der Schweiz nicht gejagt.

Wenn die Krähen ab Mitte Februar Schonzeit haben, holt Patty Stoll ihre beiden Wüstenbussarde Noa (5) und Skadi (2) mehrmals wöchentlich aus der Voliere, um sie draussen frei herumfliegen zu lassen. Dabei macht sie mit den Tieren kleine Übungen, um sie handzahm zu halten. «Sonst würden sie sich nach ein paar Monaten wieder wie Wildtiere verhalten», ist sie überzeugt. Auf der Fröschengülle in Brittnau, zwischen den Kirschbäumen, trainiert sie gerade mit Noa. Eine Übung besteht darin, dass sie den Vogel auf einer Metallstange platziert, sich entfernt und ihn mit einem Stück Fleisch wieder zu sich heranlockt. So dressiert sie ihn, dass er später bei der Jagd ihrem Ruf oder Pfiff gehorcht.

Vertrauen gefasst
Weil Noa erst seit fünf Wochen bei ihr ist, darf er noch nicht frei fliegen: Er ist über eine sogenannte Lockschnur gesichert, die am Geschüh befestigt ist, an Lederbändchen am Fuss des Falken. Das Prinzip ist mit einer Hundeleine oder einem Zaumzeug beim Pferd vergleichbar. «Das nächste Mal darf er aber ohne diese Leine fliegen», gibt sich Stoll nach dem Training zuversichtlich. Denn Noa hat offenbar Vertrauen zu ihr gefasst: Läuft sie davon, fliegt er ihr hinterher. «Die Vögel kennen ihre Halter mit der Zeit», sagt sie. Im Oktober seiihre Greifvogeldame Skadi ausgebüxt. Der GPS-Sender, der an einer Schwanzfeder des Vogels befestigt war und Stoll bei der Ortung hätte helfen sollen, gab nach 24 Stunden seinen Geist auf, weil die Batterien leer waren. Stoll machte sich in Brittnau und Umgebung auf die Suche nach dem Vogel, bat Anwohner, die Augen offen zu halten. Nach vier Tagen erhielt sie eine Meldung aus Mättenwil, der Vogel sässe vor einem Haus im Garten. «Ich habe Skadi gerufen und mit etwas Fleisch herangelockt, dann kam sie zu mir geflogen», erinnert sich Stoll.

Teil der Familie
Als sie den Vogel zuhause wog, zeigte die Waage ein ganzes Kilogramm an – Skadi hatte 80 Gramm zugelegt, weil sie in der Zwischenzeit auf der Jagd gewesen war. «Sie kam also offenbar nicht nur wegen des Futters in meiner Hand zu mir, sondern auch, weil sie mich erkannt hatte», sagt Stoll.

Die Falknerin setzt Noa vor der Heimfahrt eine lederne Haube auf den Kopf, die seine Augen bedeckt. Die Haube soll den Vogel während der Autofahrt beruhigen, weil er so nicht sehen kann, was draussen vor sich geht. Sie spricht mit ihm, während sie ihm die Kappe anzieht. Welche Beziehung hat Patty Stoll zu ihren beiden Greifvögeln? «Sie lassen sich natürlich nicht mit Hunden vergleichen, die mit einem schmusen wollen», sagt die Falknerin, «aber sie gehören für mich zur Familie.»