Der gesteuerte Mensch und Bürger

Warum werden Sie an den Kassen unserer Grossverteiler konsequent nach ihrer Kundenkarte gefragt? Aus Menschenliebe, damit Sie ihren Rabatt in der Grössenordnung eines Prozents nicht verwirken? Glauben Sie, dass in unserer Wirtschaftswelt irgendetwas umsonst ist? Die Zeit der Rabattmärkli und ihrer Büchlein ist längst vorbei. Es geht primär um unsere Daten. Was wir wo und in welchen Mengen gekauft haben, sind für den Unternehmer wertvolle Informationen – die er zu Geld machen kann. Dazu gibt man seine Zustimmung, wenn man die Boni und Rabatte haben will, das Kleingedruckte zur Karte akzeptiert hat.

Auch Airlines sind heiss auf Kundendaten. Einige verlangen eine Gebühr für Flüge, die über Reisebüros gebucht werden. Umgehen kann man diese, indem man direkt auf der Website der Airline bucht. Alles gut für uns Kundinnen und Kunden? Nein – wer im Internet bucht, liefert persönliche Informationen, und das kann teuer werden. Gemeint ist das «Dynamic Pricing», auf das in Zukunft auch die SBB setzen wollen. Diese hochflexible Preisgestaltung macht den Preisvergleich extrem schwierig. Flugpreise ändern sich im Internet mehrmals am Tag. Transparenz herrscht für den Kunden keine – während die Airline glasklar sieht, für welche Flüge Preisanfragen gestellt werden. Die Behauptung: Wenn jemand regelmässig am Montag von Zürich nach Rom fliegt, dann werden ihm die Montagflüge garantiert teurer offeriert als die am Mittwoch. Das wird in Abrede stellt. Fakt beim «Dynamic Pricing» ist aber, dass die Preise aufgrund des Verhaltens der Kundinnen und Kunden im Minutentakt angepasst werden.

Dem gläsernen Flug- und Bahn-Kunden folgt der voll überwachte Automobilist. Eigentlich ist die Idee gut: Seit diesem Monat ist es in der Schweiz – und EU-weit – obligatorisch, dass in von Herstellern neu lancierten Autos das Notrufsystem E-Call eingebaut ist. Das ist im Prinzip ein GPS-Sender – der übermittelt bei einem Unfall Daten wie etwa den Standort des Fahrzeugs, den Zeitpunkt und das Fahrzeugmodell direkt an die Notrufzentrale. Ziel ist, die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren. Hilfskräfte sind dank automatischem Notruf schneller am Unfallort.

Mit Blick auf die im Wochentakt publik werdenden Datenlecks stellt sich ein ungutes Gefühl ein und die Frage nach dem Datenschutz. E-Call schafft die Grundlage für eine umfassende Überwachung – das Auto könnte jederzeit geortet werden und via On-Board-Diagnose dem Markenvertreter wertvolle Informationen liefern. Nutzerdaten sind auch beim Auto Gold wert.

George Orwells Roman «1984», der 1948 den Überwachungsstaat schildert, ist real geworden. Schlimm ist diese Realität dort, wo sie mehr als unsere Portemonnaies im Visier hat. Gemeint sind Datenkraken wie Facebook und Co., die unsere Gesellschaft umkrempeln und unsere Demokratie unterminieren. Was sind Ziel und Geschäftsmodell von Facebook? Der smarte «Gutmensch» Mark Zuckerberg sieht seine «Mission» darin, «die Menschen dieser Welt zu verbinden». Ex-Manager von Facebook haben berichtet, worum es ihnen ging: Facebook so zu konstruieren, dass die Menschen möglichst viel Zeit dort verbringen. Je länger sie bleiben, umso mehr Daten liefern sie. Umso mehr Werbung kann man ihnen zeigen. Umso mehr Geld kann man mit ihnen verdienen. Was die Manager nicht gesagt haben: Umso besser lassen sich die Menschen beeinflussen und in ihrem Tun steuern – insbesondere politisch.

Wer meint, Wählerinnen und Wähler würden bei Facebook mit «Fake News» einer bestimmten Partei zugeführt, hat recht, – ist aber nicht auf dem neusten Stand. Der «Tages-Anzeiger» hat in seiner Samstagausgabe etwas noch Erschreckenderes aufgedeckt: Facebook hat 2017 in Island Leute aufgefordert – wer weshalb selektioniert wurde, ist völlig unklar – an den Wahlen teilzunehmen. Die Beteiligung stieg tatsächlich – zugunsten von Splitterparteien – was Island politisch instabil gemacht hat.