
Die Aarauer Fussballfamilie hält auch in schwierigen Zeiten zusammen
Die Hilferufe werden immer lauter: Sollte die Coronakrise den Fussball über den Mai hinaus lahmlegen, droht vielen der 20 Schweizer Profiklubs der finanzielle Kollaps. Markus Lüthi, Präsident des FC Thun, sagt: «Wenn es noch länger dauert, bedeutet das Lichterlöschen.» Bislang hat der FC Aarau nicht eingestimmt ins Klagelied. Verwaltungsrat Philipp Bonorand, designierter Nachfolger von Präsident Alfred Schmid und oberster Corona-Krisenmanager im Brügglifeld, sagt: «Bislang schlafe ich gut.»
Bonorands Zuversicht liegt nicht nur an der Kurzarbeit, die gegenwärtig die grösste Hilfe ist und für die Dauer des Trainings- und Spielverbots 80 Prozent der Lohnkosten abnimmt. Sie gründet genauso im «Konstrukt FC Aarau»: sehr stabil, aber mit einer gewissen Behäbigkeit. Die gut 34 000 Aktien der FC Aarau AG sind verteilt auf knapp 3000 Aktionäre. Die beiden grössten Einzelaktionäre, der «Club 100» und die Familie von Alfred Schmid, kommen zusammen bei weitem nicht auf die Mehrheit. Die Übernahme des FCA durch eine Einzelmaske ist praktisch ausgeschlossen.
Sponsoren und Gönner bilden robustes Gerüst
Wurde sie in der Vergangenheit auch schon als Bremsklotz im schnelllebigen Fussballbusiness bezeichnet, wird sich die breite Abstützung sowie die auf eine schwarze Null ausgerichtete Finanzpolitik im Nachgang der Coronakrise als grosser Vorteil entpuppen. Oder, Philipp Bonorand? Antwort: «Dieser These stimme ich zu.» Sein Jahresbudget von rund sechs Millionen Franken generiert der FCA grob zusammengefasst aus vier Quellen: Sponsoring/Marketing (33 Prozent), Gönner/Donatoren (24), Matcheinnahmen (22), TV-Gelder/Übriges (21).
Im Vergleich mit anderen Klubs steht und fällt die Existenz des FC Aarau also nicht mit den Matcheinnahmen und den TV-Geldern, von denen in den knapp drei Vierteln der laufenden Saison ohnehin schon bereits ein Grossteil geflossen ist. Das robuste Gerüst bilden das Sponsoring und die grosszügigen Gönnervereinigungen. Sie wiederum bestehen aus vielen grösseren und kleineren Playern. Heisst: Auch wenn ein grosser Sponsor oder ein gewichtiger Donator wegbrechen sollte, hält das Gerüst.
Ein weiterer Trumpf: Die viel gerühmte «FCA-Familie» hält zusammen. Das beginnt bei den Fans: Noch hat kein Saisonkarten-Inhaber angefragt, ob er im Fall eines Saisonabbruchs Geld zurückerhalte. Im Gegenteil: Ein Fan hat sich aus Solidarität zum Verein eine zweite Saisonkarte gekauft, im Wissen, dass in der laufenden Spielzeit höchstens noch Geisterspiele stattfinden werden.
Ausserdem sind viele Sponsoren seit Jahrzehnten an Bord und haben nicht nur Interesse an der Plattform Profifussball, sondern in erster Linie ein FCA-Herz. Bislang hat sich kein Sponsor positioniert für den Fall, dass der FCA in dieser Saison seinen Teil der Partnerschaft – die öffentliche Präsenz des Sponsors – nicht mehr erfüllen kann. Im Gegenzug, so Bonorand, werde man von FCA-Seite nicht stur auf die Erfüllung der Geldleistung pochen, sollte ein Sponsor in Schwierigkeiten geraten: «Dann setzen wir uns an einen Tisch und suchen eine Lösung. Langfristig ist das die gescheitere Variante, statt den Partner für immer zu verlieren.»
Weitere Hinweise darauf, dass sich der FCA um seine Unterstützer kümmert, zeigen sich medial: Auf Facebook stehen die Videos der «Koch-Challenge» unter dem Patronat verschiedener Sponsoren – einfach so. Und in der «Aargauer Zeitung» dankt der Klub seinem Umfeld für die Treue. Kleine, aber feine Gesten, die sich auszahlen dürften.
Die schwierige Suche nach einem neuen Hauptsponsor
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Auch Philipp Bonorand sorgt sich. Bis Ende Juni sei die Liquidität gesichert. «Für die Zeit danach sind wir im Blindflug. Sicher ist: Auch den FC Aarau wird es durchschütteln.» So dürfte es auch im Brügglifeld Mitglieder (Sponsoren) geben, denen die Coronakrise einen Vorwand für den Ausstieg gibt. Und dann ist da die Suche nach einem neuen Hauptsponsor: Welche Firma hat in diesen Zeiten die Courage, einen jährlich 250 000 Franken schweren Vertrag mit einem Fussballklub zu unterzeichnen?
Von Gönnerseite wird der Geldfluss definitiv abnehmen: Der «Club 100», die wichtigste und mächtigste Gönnervereinigung, ist ein Unternehmer-Sammelsurium, viele von ihnen kämpfen mit den Folgen des Lockdowns. Kommt es zum grossen Exodus? «Nein», sagt Präsident Michael Hunziker. Er geht für 2021 von einem Rückgang bis zu zehn Prozent aus. Im schlechtesten Fall überweist der «Club 100» 2021 also «nur» noch 900 000 statt die übliche eine Million Franken. Auch die anderen Gönnervereinigungen «White Socks», «2010er» und «Sponsorenvereinigung FC Aarau» werden künftig keine Rekordsummen zahlen. Doch der Rückgang von Gönnerbeiträgen im tiefen sechsstelligen Bereich ist verkraftbar.
Am meisten Sorgen bereitet Bonorand der Gedanke an das leere Stadion: In Deutschland, so der Tenor, werden bis Ende 2020 maximal Geisterspiele stattfinden. Warum sollte dies hier anders sein? Grossanlässe wie Sportwettkämpfe oder Konzerte werden wohl zuallerletzt wieder erlaubt. Bonorand: «Bleiben die Matcheinnahmen bis Ende Jahr aus und müssten wir aufgrund von Geisterspielen auf einen Teil der Sponsoringeinnahmen verzichten, hätten wir ein gröberes Problem.» Löhne, Kadergrösse, Klubstrukturen – alles müsste auf den Prüfstand.
Die Coronakrise wird tiefe Spuren hinterlassen. Der Schnauf dürfte dem FC Aarau so schnell aber nicht ausgehen.