«Die Angst ist gross»: Der Präsident des Gewerbeverbands fordert ein zweites Massnahmenpaket

Welche Akzente möchten Sie mit dem Gewerbeverband (SGV) setzen?

Fabio Regazzi: Als erstes ist es wichtig, dass wir zusammen alle Themen auf den Tisch bringen und priorisieren, in denen der Schuh drückt. Ich will Teamarbeit leisten und die internen Organe wie Vorstand und Gewerbekammer stark mit einbeziehen.

Das war bisher zu wenig der Fall?

Das kann ich zu wenig beurteilen. Ich war nicht im Vorstand.

Was wollen Sie noch erreichen?

Ich möchte die Zusammenarbeit mit Economiesuisse und dem Arbeitgeberverband stärken. Es ist im Interesse der Wirtschaft und des Landes, dass sich die drei Dachverbände der Wirtschaft auf Gemeinsamkeiten konzentrieren statt auf Differenzen. In 80 Prozent der Fälle sollten wir auf einer Linie sein. Persönlich verstehe ich mich gut mit Christoph Mäder und Valentin Vogt, den Präsidenten von Economiesuisse und Arbeitgeberverband. Diese Komponente ist nicht zu unterschätzen.

Nun tun Sie gemeinsam etwas gegen die Konzernverantwortungsinitiative (KVI)?

Ja, ich gab den Input für einen gemeinsamen Auftritt. Die drei Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Arbeitgeberverband und Gewerbeverband werden mit dem Bauernverband eine gemeinsame Medienkonferenz gegen die KVI abhalten.

Sie selbst haben ein Storen-Unternehmen. Wären Sie von der KVI betroffen?

Der Initiativtext ist schwammig und unpräzis formuliert. Er spricht nicht von «Konzernen», sondern von «Unternehmen». Unser Unternehmen kauft Rohstoffe wie Aluminium im Ausland. Gibt es in dieser Lieferkette Probleme, könnte das auch meine Firma betreffen.

Der gemeinsame Auftritt überrascht. Immerhin gab es ein Zerwürfnis zwischen SGV-Direktor Hans-Ulrich Bigler und Monica Rühl, der Direktorin von Economiesuisse.

Der Vorstand und die Gewerbekammer haben sich einstimmig – ich betone das: einstimmig – gegen die KVI ausgesprochen. Ich vertrete diese Haltung nun nach aussen.

Bigler schrieb, die Economiesuisse-Vertreter sässen in klimatisierten Büros, verbrächten die Zeit mit Golfspiel und wagten sich nicht zum Volk. Was sagen Sie dazu?

Soviel ich weiss, geht Christoph Mäder gerne wandern und spielt nicht Golf. Ich finde diese Aussage nicht berechtigt. Herr Bigler darf zwar eine persönliche Meinung haben. Dass er sie äusserte, fand ich nicht taktvoll.

Können Sie mit Bigler als Direktor zusammenarbeiten?

Ich bin zuversichtlich. Wichtig ist, dass wir jetzt in der Krise unsere Themen einbringen können. Das ist nicht der Zeitpunkt für Personaldiskussionen.

Ihr Vorgänger griff kaum ein. Werden Sie das auch so handhaben?

Ich nehme meine Verantwortung als Präsident wahr. Dazu gehört auch die Führung des Personals.

Bigler ist also ein Direktor auf Bewährung?

Herr Bigler ist, wie bis zu meiner Wahl, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Der SGV soll sich aber auf die Themen seiner Mitglieder fokussieren.

Wo wollen Sie noch Akzente setzen?

Mir liegt die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern am Herzen. Sie gehört zu unserem System. Es ist wichtig, dass wir die Gespräche auf Augenhöhe verstärken und Kompromisse suchen. Wir wollen diesen schweizerischen Wert leben.

Beim Rahmenabkommen gab es einen Kompromiss zwischen Gewerbeverband und Gewerkschaften. Sie unterbreiteten dem Bundesrat eine Lösung für den Lohnschutz.

Das ist ein Paradebeispiel.

Bei der beruflichen Vorsorge haben Arbeitgeber und Gewerkschaften eine Lösung gefunden. Der Gewerbeverband scherte aus. Wie sehen Sie die Situation?

Dieser Kompromiss gefällt mir nicht. Wichtige Wirtschaftsverbände tragen ihn nicht mit, bei den bürgerlichen Parteien gibt es grosse Widerstände. Das hat vor allem mit dem Umlageverfahren zu tun, das auch in der zweiten Säule eingeführt werden soll. Das Parlament wird hier Korrekturen anbringen müssen.

Die Coronakrise überdeckt alles. Was kann der Gewerbeverband tun?

Wir müssen helfen. Als Vertreter der KMU decken wir fast 90 Prozent der Unternehmen ab. Es ist deshalb eminent wichtig, dass wir am runden Tisch sitzen, wenn es um Massnahmen für die Wirtschaft geht. Lassen wir die Unternehmen im Stich, kommen enorm hohe Kosten auf uns zu. Am meisten Sorgen bereitet mir die Ungewissheit. Wäre klar, dass die Krise im Frühling zu Ende ist, sähen wir das Licht am Ende des Tunnels. Das ist aber nicht der Fall, und das ist Gift für die Wirtschaft.

Sind Sie für ein zweites Massnahmenpaket?

Unbedingt. Es geht nicht anders. Das erste Paket umfasste 40 Milliarden. Es wurden nur 17 Milliarden bezogen. Damit sind noch 23 Milliarden vorhanden. Das Paket müsste wieder geöffnet werden. In vielen Branchen sieht die Situation katastrophal aus.

In welchen Branchen?

Sehr schwierig ist sie im Gastrobereich. Die Gastrobetriebe leiden vor allem in den Städten sehr stark. Gastrosuisse spricht von 100’000 Arbeitsplätzen, die gefährdet sind. Für die Hotellerie gilt dasselbe. Aber auch exportorientierte Unternehmen haben grosse Probleme. Geradezu katastrophal sieht es bei den Zulieferern für die Automobilindustrie und die Luftfahrt aus. Diese Unternehmen haben die Hälfte ihres Umsatzes verloren. Die meisten KMU haben zwar Reserven. Geht es so weiter, sind diese aber schnell weg. Die Angst ist gross.

Es sind zurzeit vor allem SP und Grüne, die sich für selbständig Erwerbende und KMU einsetzen. Sind Sie enttäuscht von den Bürgerlichen?

Die Bürgerlichen betrachten den Staat als subsidiär und wollen deshalb keine staatlichen Eingriffe, was ich grundsätzlich teile. Doch in einer Krise, wie wir sie heute haben, muss der Staat grosszügiger sein mit den Unternehmen, um die Schäden zu minimieren, die er selbst gezwungenermassen verursacht. Reagieren wir nicht sehr schnell, verlieren wir sehr viele Arbeitsplätze. Ich sehe da schwarz.

Müsste sich der Gewerbeverband in Zukunft stärker um selbständig Erwerbende kümmern?

Der Gewerbeverband vertritt die Interessen der Mitglieder. Das ist die Kernmission eines Verbandes. Auch selbständig Erwerbende sind organisiert.

Sie sind auch Verwaltungsrat beim HC Lugano. Wie dramatisch ist die Lage dort?

Sehr schwierig. Wir rechneten mit 2,5 Millionen Verlusten, als zwei Drittel der Sitzplätze belegt werden durften. Jetzt sind die Zuschauer ausgeschlossen. Die Verluste dürften nun 7,5 Millionen betragen.

Wird die Familie Mantegazza als Mäzenin die Verluste tragen?

Sie wird helfen, aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Die meisten Eishockey- und Fussballklubs sind in einer dramatischen Situation. Ohne Zuschauer- und Gastroeinnahmen können sie unmöglich überleben.

Braucht es A-fonds-perdu-Beiträge?

Ja. Zinslose Darlehen genügen nicht. Man kann von den Sportklubs nicht verlangen, dass sie sich bis über den Kopf verschulden. Sie können diese Darlehen kaum zurückzahlen. Hilft man jetzt nicht, werden die Sportverbände in naher Zukunft zugrunde gehen. Deshalb braucht es A-fonds-perdu-Beiträge. Es geht nicht anders. Sonst ist nach der Coronakrise fertig mit Spitzensport.