
Die Bundesräte Parmelin, Maurer und Keller-Sutter drückten aufs Tempo: Massnahmen werden noch im April gelockert
Bund rechnet mit düstereren Wirtschafts-Szenarien
Im März hat das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco die Prognose für das Jahr 2020 mit Blick auf die Coronakrise angepasst. Das Bruttoinlandprodukte BIP sollte im Jahr 2020 um 1,5 Prozent zurückgehen, die Arbeitslosigkeit auf 2,8 Prozent steigen. Am Mittwoch skizzierte der Bund 2 weitere Szenarien:
V-Rezension: Der Shutdown hält länger an als gedacht. Im Inland bis Ende Mai. Die Produktion geht übers Jahr um einen Viertel zurück. Im zweiten Jahr erholt sich die Wirtschaft wieder. Massenentlassungen, Firmenbankrotte oder Kreditausfälle in grosser Anzahl bleiben aus. Das BIP schrumpft um 7 Prozent, die Arbeitslosigkeit steigt auf 4 Prozent.
L-Rezension: Der Shutdown wird erst ab Juni allmählich gelockert. Es kommt zu Zweitrundeneffekten. Entlassungswellen, Firmenbankrotte oder Kreditausfälle häufen sich. Die Arbeitslosigkeit steigt auf 4,5 Prozent und 2021 auf 6–7 Prozent. Der Konsum bricht ein. Das BIP geht um 10 Prozent zurück. (chm)
Die Klausursitzung des Bundesrats dauerte am Mittwoch weniger lange als manche Beobachter vermutet hatten. Die sieben Regierungsmitglieder wurden sich schneller einig über das weitere Vorgehen in dieser historischen Krise, als manche erwartet oder befürchtet hatten.
Es war kurz nach 16.30 Uhr, als eine zufriedene Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) im Medienzentrum des Bundeshauses erklärte: «Vor dreieinhalb Wochen sagte ich hier, es müsse ein Ruck durch unser Land gehen. Dieser Ruck hat stattgefunden – zum Glück. Das ist grossartig, wir können stolz sein.»
Am 16. März hatte die Bundespräsidentin an gleicher Stelle den «Ruck» eingefordert. Der Bundesrat hatte die «ausserordentliche Lage» erklärt. Und mitgeteilt: «Alle Läden, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe werden bis am 19. April 2020 geschlossen.»
Am Mittwoch sagte Sommaruga: «Die Massnahmen zeigen Wirkung, das Konzept des Bundesrats ist erfolgreich.» Man danke der Bevölkerung. Aber die Unsicherheit, wann die Massnahmen gelockert würden, sei für alle belastend. «Alle brauchen jetzt eine Perspektive, und zwar rasch.»
Dosiert und gezielt lockern: Die Feuerprobe kommt erst noch
Diese Perspektive ist: Die Massnahmen werden zwar bis am 26. April verlängert. Aber bereits vor Ende April sollen erste Lockerungen «vorsichtig und schrittweise» erfolgen. Nach Ostern, am 16. April, will der Bundesrat sagen, wie diese Lockerung vonstatten gehen soll.
«Wir sehen Licht am Ende des Tunnels», sagte Gesundheitsminister Alain Berset (SP). Die Lage habe sich «nach fast vier Wochen günstig entwickelt». Ansteckungen, Spitaleinweisungen und Todesfälle nähmen zwar immer noch zu, aber die Kurve verflache sich. Die Spitäler seien nicht überlastet. Jetzt laufen die Abklärungen, wann und wo zuerst gelockert werden kann. Das werden Bereiche sein, wo es nicht zu grossen Menschenansammlungen kommt.
Berset warnte davor, nachlässig zu werden. An Ostern sei es wichtig, zu Hause zu bleiben. «Wir müssen weiter die Distanz- und Hygienemassnahmen einhalten. Nur so schaffen wir es, rasch zur normalen Lage zurückzukehren.»
Der Druck auf dem Bundesrat war am Mittwoch hoch. Die Wirtschaft drängte auf möglichst rasche Lockerungen, weil der Schaden durch den weitgehenden Stillstand gigantische Ausmasse anzunehmen droht. Allen voran Wirtschaftsminister Guy Parmelin, Finanzminister Ueli Maurer sowie Justizministerin Karin Keller-Sutter drückten aufs Tempo bei den Lockerungen.
Druck machte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das die Coronakrise zunächst unterschätzt hatte. Es lieferte zwei neue, dramatische Negativszenarien für die weitere Entwicklung. Das optimistischere rechnet damit, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) bis Ende 2021 um 90 Milliarden Franken einbricht. Dies aber nur, sofern der Lockdown Ende Mai vollständig aufgehoben ist. Das zweite Szenario geht gar mit einem BIP-Verlust von 170 Milliarden aus, von «permanenten Wohlstandsverlusten» und einer Arbeitslosigkeit von bis zu 7 Prozent. Dieses Szenario gilt für den Fall, dass der Shutdown erst ab Juni allmählich gelockert wird (siehe Box).
Eine Güterabwägung zwischen Gesundheit und Wirtschaft. Die Ansichten im Bundesrat gingen, so sagen Beobachter, nicht wesentlich auseinander, und auch gegen aussen wurde Geschlossenheit demonstriert. Dass die Situation schnell normalisiert werden muss und kann, war dem Vernehmen nach unbestritten. Zwar beinhalte die Exitstrategie ein Risiko, aber es sei kalkulierbar, heisst es im Umfeld von Bundesräten. Auch die Experten um das Bundesamt für Gesundheit sollen keine Einwände gegen den Öffnungskurs geltend gemacht haben. Von einer «pragmatischen Ausstiegsplanung» ist die Rede.
Auch unter dem Eindruck der düsteren Wirtschaftsaussichten will der Bundesrat das Land in Koordination auch mit dem Ausland allmählich wieder öffnen. Wirtschaft und Wissenschaft sollen weiterhin eng einbezogen werden, sagte Berset. «Entscheidend ist die Entwicklung der Neuinfektionen, der Hospitalisierungen, der Todesfälle». Das Ziel sei weiterhin, die besonders verletzlichen Personen zu schützen und die weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.
Die Feuerprobe kommt erst noch. Die Lockerung muss dosiert und gezielt erfolgen, um nicht fatale Rückschläge zu riskieren und neue Ansteckungsherde. «Diese Phase der Lockerung dauert Wochen, ich weiss nicht, wie viele», sagte Berset. Klar sei: «Das Tempo wird diktiert von der Entwicklung der Epidemie.»