Die ewige Krux mit der Zeit

In den Sommerferien hat man Zeit, über die Zeit nachzudenken. Zum wiederholten Mal kam bei mir das Buch «Duft der Zeit» des koreanisch-deutschen Philosophen Byung-Chul Han ins Reisegepäck. Ein dünnes Bändchen von etwas mehr als hundert Seiten, aber die haben es in sich. Hans Thesen wirken wie Hammerschläge, die einem aus dem Liegestuhl hauen. Die heutige Zeitkrise heisse nicht Beschleunigung, schreibt Han gleich im ersten Satz. Hat die gegenteilige Behauptung nicht ganze Bibliotheken gefüllt?

Hans Analyse ist radikaler. Beschleunigte Zeit hat immer noch eine Dauer. Das Leben 2018 sei aber nicht mehr eingebettet in Ordnungsgebilde oder Koordinaten, die eine Dauer stiften. Folge sei eine Atomisierung der Zeit; und das Gefühl, die Zeit vergehe viel rascher als früher. Man nimmt einen Schluck eisgekühlten Hugo und fragt sich: Hat Han womöglich recht? So richtig gute Argumente, ihn zu widerlegen, sind mir nicht eingefallen. Im Gegenteil. Das lag wohl daran, dass ich, statt wirklich nachzudenken, dem Griff zum Smartphone nicht widerstehen konnte und die Zeit, in der mir nichts einfiel, zu überbrücken versuchte. Dann war – schwups – die Hälfte der Ferien schon vorbei. Mist, dachte ich, Han hat also wirklich recht. In der zweiten Hälfte versuchte ich mich dann in der Praxis des meditativen Zeitdehnens zu üben – um festzustellen, dass ich ein blutiger Anfänger bin. Wenn es gelänge, Augenblicke gefühlt in Stunden, ja Tage zu verwandeln – lebten wir dann nicht quasi ewig? Ich werde die nächsten Ferien darüber nachdenken.