
Die Kunst, ein Künstler zu sein
Ein Stuhl steht mitten in einem Raum. Auf und neben ihm befinden sich verschiedene Werkzeuge. Die Szenerie wirkt zufällig – aber ist sie es auch? Die Meinungen gehen diametral auseinander. Die einen halten es für ein Kunstwerk, die anderen für eine Zufälligkeit beim Aufbau einer Ausstellung. Zu den einen gehöre ich. Nicht etwa, weil ich es für etwas Bemerkenswertes halte, sondern weil ich weiss, was als Kunst angesehen werden kann. Ich schlage nach und finde: «Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses.» So gesehen ist alles Kunst, zumindest alles als Kunst interpretierbar. Anforderungen werden keine gestellt, im Gegensatz zum Sport, wo ersichtlich ist, wie schnell jemand die 100-m-Strecke hinter sich bringt.
Kunst hat ihre Berechtigung, weil Kreativität in den meisten Fällen etwas Positives ist. Aber ist wirklich jeder ein Künstler? Braucht es unter diesem Überbegriff Menschen, die sich während einer Woche in zehn Metern Höhe in einer Glasbox zur Schau stellen? Braucht es eine Frau, die auf einem öffentlichen Platz ein Ei legt? Vor wenigen Jahrzehnten noch wären solche Individuen in eine geschlossene Anstalt gebracht worden, heute werden sie gefeiert.
Meine ersten, bleibenden Kunsterinnerungen stammen aus meiner Kantonsschulzeit, als wir das Aargauer Kunsthaus besucht haben. An den Namen des Malers kann ich mich nicht erinnern, an eines seiner «Werke» jedoch schon. Auf einer ungefähr zwei Mal zwei Meter grossen Leinwand hatte er schwarze Farbe aufgetragen. Keine verschiedenen Grautöne, einfach schwarz. «Das ist wahrscheinlich der Ausdruck seiner Gefühlswelt», diskutierten zwei Besucher miteinander. Oder war es etwa ein Abbild seines Oberstübchens?
Je älter ich werde, umso öfter entspanne ich mich mit klassischer Musik. Ich bewundere Komponisten wie Bach, Beethoven oder Mozart. Ohne bösen Hintergedanken habe ich mir deshalb ein Werk eines Schweizer Komponisten zu Gemüte geführt. Musik soll Gefühle auslösen – und das hat sie auch geschafft. Allerdings war die vorherrschende Emotion nicht Entspannung, sondern Unwohlsein.
Dieses Gefühl hat sich einige Male auch am Heitere Open Air eingestellt. Immerhin habe ich endlich einen Logarithmus entdeckt, wie sich ein guter oder eben schlechter Act erkennen lässt. Je schmerzhafter die Lautstärke des Basses ist und je mehr Kraftausdrücke und -gesten verwendet werden, umso weniger hat der «Künstler» zu bieten.
Ich verspüre als sehr untalentierter Zeichner und Musiker gegenüber gewissen Kunstschaffenden wie dem 1995 verstorbenen «Fernseh-Maler» Bob Ross grössten Respekt. Wie oft habe ich mir mitten in der Nacht fasziniert «The Joy of Painting» angesehen. Bob Ross hat in den Augen der Experten sicher nicht für die grosse, weltbewegende Kunst gesorgt, aber für mich war er mit seiner Nass-in-Nass-Malerei der Meister. Ein paar Kleckse hiervon, ein paar Striche damit und ein eindrückliches Landschaftsbild war entstanden. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Aber bei weitem ist nicht überall Kunst drin, wo Kunst draufsteht.