«Die Pflegenden hätten nichts Konkretes» – Ruth Humbel überzeugt Parteifreunde von Nein-Parole zu Pflegeinitiative

Eineinhalb Jahre nachdem das ganze Land den Pflegerinnen und Pflegern wegen ihres grossen Einsatzes in der Coronapandemie applaudiert hat, wird über die künftigen Bedingungen dieser Berufsgruppe abgestimmt: Am 28. November befindet das Schweizer Stimmvolk über die Pflegeinitiative. Am Mittwoch fasste Die Mitte Aargau dazu ihre Parole. Sie ist deutlich: Mit 47 Nein- zu 3 Ja-Stimmen und 2 Enthaltungen lehnt die Partei die Initiative ab und sagt Ja zum indirekten Gegenvorschlag. Dieser träte automatisch in Kraft, wenn das Volk die Pflegeinitiative ablehnen würde.

Edith Saner, Grossrätin und Präsidentin des Gesundheitsverbands Vaka, stellte die Initiative vor. Zwar sei diese schon viel länger in Planung als die Pandemie andauere, Corona habe der Diskussion aber klar Schub verliehen. «Es war ein jahrelanges Ringen, was neu oder anders gehen soll in der Pflege», sagte Saner. So oder so brauche es mehr Wertschätzung und Massnahmen gegen den Fachkräftemangel.

Ausbildungsoffensive und bessere Bedingungen

Franziska Stenico, Grossrätin und selber Pflegefachfrau, appellierte an die Parteikolleginnen und -kollegen, die Initiative zu befürworten.

«Ich stehe im Berufsalltag und erlebe, wie sich der Notstand bemerkbar macht.»

Franziska Stenico.

Franziska Stenico.

Fabio Baranzini

Der Fachkräftemangel mache die Schweiz vom Ausland abhängig, dabei könne man inzwischen nicht einmal mehr in Deutschland Personal rekrutieren, weil auch dort genügend Pflegerinnen und Pfleger fehlten. Die Ausbildungsoffensive, wie sie in der Initiative vorgesehen ist, sei also zwingend nötig.

Allerdings müssten auch die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert werden. Die Initiative fordert faire Arbeitsbedingungen und eine Sicherstellung der Pflegequalität. Nach Ansicht Stenicos ist das nötig. «Die Pflegequalität leidet, wenn das Personal überlastet ist», gibt sie zu bedenken. Belastungen müssten aufgeteilt, Kompetenzen erweitert werden. «Es ist höchste Zeit, vorausschauend zu Handeln. Eine Milliarde Franken in die Ausbildung zu stecken, reicht nicht.»

Humbel sieht die Notwendigkeit der Ausbildungsoffensive

Sie teile die Analyse von Franziska Stenico vollumfänglich, sagte Nationalrätin Ruth Humbel. Die Frage sei aber, wer diese Probleme lösen müsse. Denn eigentlich sind das die Kantone und nicht der Bund. Darum sei die Initiative nicht das richtige Mittel. «Wenn sie angenommen wird, haben die Pflegenden zwar einen Artikel in der Bundesverfassung, aber sie haben nichts Konkretes», gab die abtretende Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission zu bedenken. Lohnfragen etwa würden nicht auf Bundesebene geregelt. Es könnte darum lange dauern, bis sich für die Pflegerinnen und Pfleger überhaupt etwas ändert. «Ich sehe die Notwendigkeit einer Ausbildungsoffensive», so Humbel. Diese sei aber auch im Gegenvorschlag enthalten.

Es war der zweite physische Parteitag der Mitte seit Beginn der Pandemie. Präsidentin Marianne Binder gratulierte am Anfang den bei den vergangenen Gemeindewahlen gewählten Parteimitgliedern. Alles in allem seien diese für die Partei erfolgreich gewesen. Neben der Pflegeinitiative standen auch die Parolenfassungen für das Covid-Gesetz und die Justizinitiative auf der Traktandenliste.

Einstimmig Ja zum Covid Gesetz

Die Diskussionen zu den anderen Vorlagen waren aber kürzer. Einstimmig sagten die Anwesenden Ja zum Covid-Gesetz. Vorgestellt wurde die Vorlage von Grossrätin Maya Bally. Wie eine Lösung für Auslandreisen ohne Covid-Zertifikat aussehen könnte, sei etwa überhaupt nicht geklärt, gab sie zu bedenken. Es gehe hier nicht nur um das Zertifikat, rief zudem Regierungsrat Markus Dieth in Erinnerung. Bei einem Nein gäbe es keine gesetzlichen Grundlagen mehr für die finanziellen Hilfeleistungen. «Da kämen massive Unsicherheiten auf uns zu.»

Grossmehrheitlich beschloss die Partei auch ihr Nein zur Justizinitiative. Und schliesslich verlieh Marianne Binder den «Die Mitte Oscar» für besondere Leistungen. Er ging in diesem Jahr an die letztjährige Grossratspräsidentin Edith Saner.