Die SVP bricht auf der Rütli ein Tabu – und eifert damit der Juso nach

Die Schweiz war von den Achsenmächten eingekreist, es herrschte eine resignative Stimmung. Dann hauchte General Henri Guisan dem Volk am 25. Juli 1940 neuen Widerstandsgeist ein; der Rütlirapport hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.

«Wie ist es um unser Land bestellt? Wie um die Widerstandsfähigkeit der politischen Elite, der Lobbyisten, Verbände, Gewerkschaften und Bundesräte?», fragt nun die SVP in einer Medieneinladung. Antworten geben wird am kommenden Donnerstag, am 79. Jahrestag des Rütlirapports, Albert Rösti. Der SVP-Parteipräsident bittet Journalisten zu einem Gespräch bei einem Spaziergang auf die historische Wiese, inklusive Apéro im Restaurant Rütlihaus.

Doch das Rütli, so steht es in der Benutzungsordnung, darf nicht für «partikuläre politische Ziele» genutzt werden. Lukas Niederberger, Geschäftsleiter der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), der Verwalterin des Rütli, wies die SVP am Montagmorgen darauf hin, dass die SGG keine Aktivitäten bewilligt, bei denen weniger als sechs Monate vor eidgenössischen oder kantonalen Wahlen für bestimmte Personen oder Gruppen geworben wird.

Hausordnung wird wegen Regelbruch überarbeitet

Die SVP hatte zuvor kein Gesuch gestellt für den Anlass, der notabene drei Monate vor den nationalen Wahlen stattfindet. Doch die wählerstärkste Partei hat einen Weg gefunden, das Bewilligungsprozedere zu umdribbeln. Sie versicherte Niederberger, dass auf dem Rütli gar keine Medienkonferenz stattfinde. Auf Anfrage ergänzt SVP-Sprecherin Andrea Sommer, Rösti werde keine Unterlagen abgeben. Er werde sich auf dem Schiff von Brunnen aufs Rütli an die anwesenden Journalisten wenden. Beim Spaziergang aufs Rütli hätten die Medienschaffenden Gelegenheit für einen persönlichen Austausch mit dem Parteipräsidenten.

So wird das Vorgehen der SVP plötzlich vereinbar mit den Rütli-Regeln. Wenn also Albert Rösti auf der «Wiese mit Kuhdreck» (Ueli Maurer) nicht zum Journalisten-Kollektiv spricht, sondern nur Hintergrundgespräche führt, verletzt er die Hausordnung nicht. «Wir sind froh, dass Sie die Medienkonferenz nicht auf dem Rütli abhalten und somit die Benutzungsordnung respektieren», teilte Niederberger am Montag der SVP nach einem Gespräch mit. Damit sei sie ein positives Vorbild für andere politische Parteien und Gruppierungen.

Wenig Einsicht bei Regelbrechern

So «vorbildlich» verhielt sich die SVP nicht immer. Im Mai 2011 hielt der Zentralvorstand ohne Bewilligung eine Art Rütlirapport ab. Mit von der Partie waren unter anderem Bundesrat Ueli Maurer, alt Bundesrat Christoph Blocher und der damalige Parteipräsident Toni Brunner. In der Folge präzisierte die SGG in Zusammenarbeit mit dem Bund die Rütli-Hausordnung. Das Hauptziel: Die «Wiege der Eidgenossenschaft» darf nicht für parteipolitische Partikularinteressen vereinnahmt werden.

Das geschieht trotzdem regelmässig . Die Operation Libero drehte 2017 auf dem Rütli ohne Erlaubnis ein Video gegen die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. Im Nachgang entschuldigte sich die Operation Libero bei der SGG. Erst vor drei Wochen lancierte die Juso auf der historischen Wiese ihren Wahlkampf. Parteipräsidentin Tamara Funiciello wetterte gegen «Grosskonzerne» und «Superreiche». Bloss: Ein Gesuch hatten die Jungsozialisten nicht gestellt. SGG-Geschäftsleiter Niederberger kontaktierte darauf die Juso. Funiciello habe zwar Verständnis dafür gezeigt für seine Intervention, sagt er. Sie habe ihm aber beschieden, dass sich die Juso auch künftig über die Rütli-Regeln hinwegsetzen würde. «Das Einstehen für Grundrechte sollte nirgends verboten sein», erklärt Juso-Zentralsekretärin Muriel Günther.

Die SGG kann Regelbrecher für eine bestimmte Zeit den Zugang aufs Rütli verwehren. Wenn jemand bereits einmal gegen die Hausordnung verstossen hat, sinken die Chancen, dass die SGG ein Gesuch für einen künftigen Anlass gutheisst. Für Lukas Niederberger ist klar: «Die Bevölkerung schätzt es nicht, wenn das Rütli politisch instrumentalisiert wird – egal, ob von links oder rechts.» Wer dies ohne Erlaubnis dennoch mache, desavouiere sich selber, weil er dem Ort und dem Bund keinen Respekt erweise und gegnerische Gruppen provoziere, dasselbe zu tun.