
«Die Tradition des Chlauseinzugs möchten wir weiter pflegen»
Die Kolpingfamilie
Die Kolpingfamilie Zofingen wurde 1960 gegründet und hat ihr Vereinslokal an der Mühlethalstrasse 15 in Zofingen. Der Verein besteht aus über 85 Mitgliedern. Das Jahresprogramm ist im 3-Säulen-System aufgebaut: Gemeinschaft, Bildung und Solidarität. Neben den festen Anlässen wie dem Palmbinden und der St.-Nikolaus-Aktion bietet die Familie den Mitgliedern ein abwechslungsreiches Programm. Bei der Kolpingfamilie kann jeder mitmachen.
Die Kolpingfamilie Zofingen ist angegliedert und eingebettet im Regionalverband Aargau und beider Basel, dem 11 Kolpingfamilien mit gegen 1000 Mitgliedern angehören. Dieser Verband ist angeschlossen ans Schweizer Kolpingwerk mit Sitz in Luzern und dieses Werk wiederum am internationalen Kolpingwerk mit Sitz in Köln, dem in über 60 Länder insgesamt 500‘000 Mitglieder angehören. Die Kolpingfamilie ist geschichtlich und menschlich weltweit anzutreffen.
Welche Kindheitserinnerungen haben Sie an den Samichlaus?
Oberchlaus der Kolpingfamilie: Ich erinnere mich noch gut an den ersten Besuch von St. Nikolaus. Aber meine Mutter noch viel mehr, denn angeblich hat er seine Brille vergessen und in seinem Buch nicht das gelesen, was eigentlich vorbereitet gewesen war. Ich habe von alledem nichts mitbekommen. Ich bekam einen blauen Spielzeug-Traktor und ein Chlaussäcklein.
Hat der Besuch bei Ihnen Spuren hinterlassen?
Ja, positive. Bereits als Schüler sind ich und unser Nachbarsbub als Samichlaus und Schmutzli in unserem Mehrfamilienhaus von Tür zu Tür gezogen und haben den Bewohnern selbstgemachte Chlausensäcklein verteilt. Also irgendwie hat mich das Chlausen schon früh fasziniert.
Gabs auch mal eine Rute?
Nein, eine Rute habe ich nie bekommen. Das mit der Rute ist so eine Sache. Damit wird das Ganze immer mit Bestrafung in Verbindung gebracht, dabei stimmt das aber gar nicht. Der Zweig ist seit Urzeiten ein Sinnbild des Lebens. Deshalb pflücken wir am 4. Dezember Barbarazweige von Obstbäumen und stellen sie in lauwarmes Wasser. Zu Weihnachten steht das scheinbar trockene Holz in voller Blüte. Viel wichtiger ist aber, dass wir das Latärnli dabei haben. Denn wir bringen Licht, Wärme und Freude in die Stube.
Dann wird die Rute eigentlich in einem falschen Zusammenhang verwendet?
Ja, das ist so. Viele kennen den wahren Kern der Lebensrute nicht. Natürlich haben wir auch schon Ruten bei den Familien gelassen, doch wir erklären jeweils, dass diese nicht zum Schlagen gedacht ist, sondern zum Aufhängen. Wenn man die Rute sieht, können sich die Kinder an die Empfehlungen und Bitten des St. Nikolaus erinnern.
Haben die Kinder heute noch Respekt oder gar Angst vor dem Chlaus?
Die Kinder, aber auch die Erwachsenen freuen sich, wenn wir auf Besuch kommen. Respekt ist immer vorhanden, nicht nur von den Kindern, sondern auch von den Erwachsenen. Aber auch der St. Nikolaus begegnet den Kindern mit Respekt. Wenn Kinder Angst haben, dann kann das viele Gründe haben.
Zum Beispiel die Eltern?
Wenn sie im Vorfeld Aussagen machen wie, «wenn ned folgisch, sägis am Samichlaus», oder «muesch luege, de Samichlaus nimmt di in Sack, wenn ned guet tuesch», damit ist uns wirklich nicht gedient.
Der St. Nikolaus ist ein Kinderfreund, er ist der Schutzpatron der Kinder. Warum soll nun ausgerechnet er die Kinder bestrafen? Er, dessen Leben aus Geben und Helfen bestand. Wir weisen auf unserem Anmeldeformular immer daraufhin, den Kindern keine Angst zu machen, denn der Besuch soll ein Erlebnis für die ganze Familie sein.
Es sind doch die Eltern, die dem Chlaus die Informationen liefern …
Es macht mich traurig, wenn Eltern nur Negatives über ihre Kinder aufzählen. Wir versuchen dann meist, zusammen mit den Kindern das Positive an den Tag zu bringen. Es ist nicht unsere Aufgabe, beim Hausbesuch das Kind zu erziehen … Wir wollen die Kinder ermutigen, dass wenn etwas nicht so gut funktioniert, es in Zukunft besser zu machen. Vielleicht kann der St. Nikolaus einen guten Tipp geben für Kind und Eltern. Wir können in 15 bis 20 Minuten nicht ein Kind ändern und das ausmerzen, was Eltern während eines Jahres versäumt haben.
Wie gehen die Kinder mit Kritik um?
Das kommt ganz darauf an, wie man das Gespräch führt. Fragt man die Kinder, was nicht so gut läuft, dann nennen sie meist von sich aus einige Punkte, die zu verbessern sind.
Woher kommt eigentlich der Brauch des Samichlaus?
Das ist eine lange Geschichte. Der St.-Nikolaus-Brauch lässt sich einerseits auf die legendäre Gestalt des Heiligen Nikolaus von Myra und anderseits auf einen mittelalterlichen Brauch zurückführen. Was wir über den Heiligen Nikolaus wissen, beruht auf verschiedenen Legenden und nicht auf geschichtlichen Tatsachen.
Was sagt die Legende?
Nikolaus wurde im 3. Jahrhundert in Kleinasien als Sohn einer reichen Familie geboren. Seine Eltern starben sehr früh. Nikolaus verteilte sein gesamtes Erbe den Armen seiner Heimatstadt und verliess sie dann. Später wurde er Bischof von Myra. Die Legenden erzählen von Wundern und guten Taten, die Nikolaus vollbracht haben soll. Seine besondere Aufmerksamkeit galt den Armen und den Kindern. Er wurde bald zum meistverehrten Heiligen der Ostkirche. Die Seefahrer ernannten ihn zum Schutzpatron.
Wie sieht der mittelalterliche Brauch aus?
Im Mittelalter entstand dann ein Brauch, der teilweise auf Nikolaus von Myra zurückgeht, teilweise auch einen Klostervorsteher von Sion, der auch den Namen Nikolaus trug. Vor etwa 500 Jahren erschien am Nikolaustag ein «Bischof Nikolaus» vor den Toren der Kloster- und Domschulen, der jeden Schüler nach seinen guten, wie auch schlechten Taten des abgelaufenen Jahres fragte. Am Ende des Besuches erhielt jeder Schüler ein kleines Geschenk.
Im Laufe der Jahre und Jahrhunderte vermischten sich die beiden Figuren. Andere Elemente des Brauches zeigen aber auch heidnischen Ursprung. An diesem Tag wurden früher die bösen Geister angelockt.
Der Nikolaus also, der die Kinder, gleichgültig ob er sie tadeln musste oder loben konnte, mit einem Geschenk erfreute, dieser Nikolaus entspricht dem ursprünglichen Brauch und damit den Vorstellungen der verschiedenen Samichlausvereine.
Welchen Glauben hat der St. Nikolaus?
Das ist das Interessante. Er ist ja in der Türkei bei Antalya geboren und ist konfessionsübergreifend. So wird er von den Christen, aber auch vom Islam, als Heiliger anerkannt. Die Geburtskirche des St. Nikolaus in Patara, heutige Türkei, wird von beiden Konfessionen gepflegt. St. Nikolaus ist ein populärer Heiliger.
Entwickelt sich der Chlaus-Brauch bei uns in eine gute Richtung?
Aus unserer Sicht ja. Als ich vor 30 Jahren begann, hatte der Tadel einen anderen Stellenwert. In der Zwischenzeit haben sich die Hausbesuche aber zu einem Erlebnis entwickelt für beide Seiten. Das ist uns sehr wichtig.
Läuft immer noch ab und zu der Fernseher, wenn Sie zu Besuch kommen?
Das kann vorkommen, aber immer seltener. Aber wir stellen zunehmend fest, dass sich Familien auf den Besuch des Samichlaus freuen und vorbereiten. Die Wohnungen werden schön dekoriert und eine heimelige Stimmung hervorgezaubert. Das freut uns natürlich sehr. So gesehen, entwickelt sich der Brauch in eine gute Richtung.
Was sind die wichtigen Eigenschaften, die ein Samichlaus mitbringen muss?
Er muss sehr aufmerksam sein und auf alle – oder sagen wir viele – spontane Situationen eingehen können. Er steuert den Besuch und muss ihn so leiten, dass es einen freudigen Anlass gibt. Er muss gut zuhören und auf die Kinder eingehen können. Er muss auf Fragen oder spontane Aktionen gut reagieren können. St. Nikolaus weiss zwar viel, aber auch nicht alles. Und das darf er auch zugeben. Von dem Moment an, wenn die Türe aufgeht, muss er voll konzentriert sein die Umgebung und das Geschehen wahrnehmen.
Wie wird man Samichlaus?
Wir haben ein Ausbildungskonzept geschaffen, damit ein neuer St. Nikolaus das nötige Rüstzeug für einen Besuch bekommt. Uns ist es wichtig, und wir stellen auch einen gewissen Anspruch an uns selber, dass wir den Auftrag als St. Nikolaus ernst nehmen und gewissenhaft ausführen. Leider hört man immer wieder, dass es Gruppen gab, welche mehr den «Göiggel» machen und die Kinder erschrecken und verängstigen. Das ist überhaupt nicht in unserem Sinn. Deshalb ist eine gewissenhafte Selektion unumgänglich.
Wie sieht denn diese Ausbildung aus?
Das ist ein Geheimnis. Was ich aber verraten kann, ein neuer Chlaus wird in einigen Rollenspielen getestet, darin muss er verschiedene Situationen meistern. Zusammen werten wir den Auftritt aus. Zuerst schätzt er sich jeweils selbst ein, dann folgt die Analyse der erfahrenen Mitglieder. Und das Ganze wiederholt sich so lange, bis alle sagen können, der Aspirant ist bereit für einen Besuch in der Familie.
Wo übt der Neu-Chlaus nach der Ausbildung?
Üben kann man das nicht direkt, weil bei jedem Besuch eine andere Situation ist. Aus den Anmeldungen heraus suchen wir zwei bis drei geeignete Familien und fragen, ob wir den Besuch mit einem frisch ausgebildeten St. Nikolaus durchführen dürfen. Erfahrene Mitglieder begleiten ihn als Schmutzli und unterstützen ihn. Nach dem Besuch wird wiederum von beiden Seiten reflektiert, was gut war oder was verbessert werden kann. So erhält man direkte Inputs und kann sie beim nächsten Einsatz gleich umsetzen.
Wie bereiten Sie sich jeweils auf die Saison vor?
Mit den Verantwortlichen der Organisation sind wir schon früh am Vorbereiten. Meist schon im August. Manchmal hat man eine gute Idee und die muss durchdacht und entsprechend vorbereitet sein. Die Personalfrage ist schon etwas, das uns regelmässig und über längere Zeit beschäftigt. Die Nachfrage ist doch steigend und die Samichläuse, Schmutzlis und Fahrer werden ja nicht jünger. Wer die St.-Nikolaus-Aktion unterstützen möchte, kann sich gerne bei mir melden.
Der Chlauseinzug am 4. Dezember ist ja nur ein Teil Eurer Arbeit, aber ein intensiver.
Ja dem ist so. Wir gehen nun ins 27. Jahr und der Einzug hat in Zofingen schon Tradition. Das möchten wir weiter pflegen und alles unternehmen, dass der Anlass bestehen bleibt. Ich bin auch das ganze Jahr hindurch auf der Suche nach guten und tiefgründigen Geschichten, die ich an verschiedenen Orten erzählen kann.
Gibt es eigentlich Literatur für Samichläuse?
Bei meiner Ausbildung als St. Nikolaus haben wir mit dem Leitfaden «St. Nikolaus kommt auf Besuch» von Aloys von Euw gearbeitet. Da steht viel über Symbolik oder die Legenden darin, aber auch sonst viel Wertvolles, das es auch immer wieder zu verinnerlichen gilt.
Wie gross ist die Nachfrage nach einem Besuch des Samichlaus?
Die Nachfrage ist gross und es ist erstaunlich, wie populär St. Nikolaus ist. Das hat auch damit zu tun, dass St. Nikolaus als Heiliger in vielen Ländern auf der Welt verehrt wird. Wir besuchen ja nicht nur Familien, sondern auch Kindergärten, Spielgruppen, Waldspielgruppen, KITAS, Schulen, Heilpädagogische Schulen, Alterszentren, Spital und Vereine.
Das ist ja ein riesiger Aufwand, den Sie betreiben?
Ja, das kann man so sagen. Unser Programm beginnt meist am 1. Oder 2. Dezember und endet mit dem Abbau des Chlausehüüsli am 11. Dezember. Eine Woche Ferien, eine Woche chlausen, von morgens bis abends.
Was erleben Sie so an Versli-Kultur?
Natürlich gibt es viele, welche man jedes Jahr hört. Es gibt aber immer wieder neue und man sieht, dass diese mit viel Eifer und Freude zu Hause oder im Kindergarten gelernt wurden. Es hat auch Versli dabei, welche einen tiefen Sinn haben und einen auch tief berühren können. Es gibt auch ältere Leute, zum Beispiel im Seniorenzentrum, die noch Verslein aus ihrer Jugend können. Das ist jeweils sehr beeindruckend.
Wird der Chlaus ab und zu auch beschenkt?
Ja, das kommt oft vor. Teilweise werden wir schon mit Zeichnungen und Selbstgebasteltem beschenkt, bevor wir richtig in der Stube sind. Das ist sehr berührend und macht Freude. Im Chlausehüüsli haben wir eine ganze Wand mit Zeichnungen, Gebasteltem und Geschenken der Kinder.
Muss der Samichlaus eigentlich heute Fremdsprachen können?
Eigentlich nicht. Wir haben zum Glück ein paar Sprachtalente. Sollte ein solcher Fall eintreten, wird uns das gemeldet und dann entscheiden wir, wie wir vorgehen. Das kommt aber sehr selten vor. Wir hatten schon einmal solche Anfragen, dabei ging es vor allem um Besuch aus dem Ausland, der gemeinsam mit der Familie St. Nikolaus feiert. Einmal durfte ich ein St.-Nikolaus-Versli auf Japanisch anhören von Schweizer Kindern. Das war sehr speziell und eindrücklich.
Wurden Sie schon einmal erkannt?
Ja, von meiner jüngsten Nichte. Sie kam auf dem Kirchplatz zu mir und hat sich wie alle anderen Kinder zu mir gesellt. Als sie an der Reihe war, habe ich sie begrüsst und gefragt, ob sie mir ein Versli aufsagen kann. Sie grinste. Nach dem Versli gab ich ihr ein Mandarinli und bedankte mich. Dann sagte sie: «So, und nun gehe ich zum richtigen St. Nikolaus, nämlich zu dem mit der goldenen Mytra (Hut)», drehte sich um und ging.
Wie haben Sie sich aus der Situation gerettet?
Ich musste mich nicht retten, sie ist einfach gegangen.