
Die Winterruhe ist vorbei: «Die Zeckenaktivität ist angestiegen»

Die Zeckensaison hat begonnen. Im hohen Gras und Gebüsch lauern die Spinnentiere wieder auf Beute. Philippe Rafeiner, Leitender Arzt Innere Medizin am Spital Zofingen, gibt Tipps, wie man sich vor einem Zeckenstich schützen kann, und wann eine Impfung gegen die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FMSE) Sinn macht.
Manche Menschen werden häufig von Zecken gestochen, andere dagegen nie, obwohl sie viel Zeit in der Natur verbringen. Warum?
Philippe Rafeiner: Es gibt einige Faktoren, die zu einem Zeckenstich führen können. Zum einen ist Natur nicht gleich Natur: Zecken halten sich gerne in mittelgradiger Feuchtigkeit auf, bevorzugt in höheren Gräsern und Gestrüpp, jedoch grundsätzlich nicht mehr in höheren Lagen ab rund 1500 Metern. Das heisst, der Bergwanderer, der Hochgebirgstouren macht, ist einem ganz anderen Risiko ausgesetzt als ein Orientierungsläufer im Wald oder ein Tennisspieler auf gepflegtem Naturrasen. Zum anderen ist es so, ähnlich unterschiedlicher Neigung zu Mückenstichen, dass eine unterschiedliche Zusammensetzung der Körperausdünstung die Affinität zum Zeckenbefall beeinflussen kann. Zu guter Letzt muss erwähnt werden, dass rund die Hälfte von Zeckenstichen subjektiv nicht bemerkt und nur durch penibles Absuchen nach einem Aufenthalt in der Natur gefunden wird, was ebenfalls zu einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Häufung führen kann – je nachdem, ob jemand zum Beispiel die Körperoberfläche nach Zeckenbefall absucht oder nicht.
Mussten in diesem Jahr im Spital Zofingen schon Patienten wegen Folgen von Zeckenstichen behandelt werden?
Ja, die vergangenen warmen Wochen haben die Zeckenaktivität sichtbar ansteigen lassen: Wir haben bereits Fälle von Hautbefall von Borrelien – die Erythema migrans, auch Wanderröte genannt, die häufigste Manifestationsart einer Borrelien-Erkrankung – gesehen und behandelt.
Wie gross ist die Gefahr, durch einen Zeckenstich an Borreliose oder FSME zu erkranken?
Eine pauschal gültige Antwort hierzu gibt es nicht. Auf die Schweiz bezogen kommt es darauf an, in welchem Gebiet man sich zum Zeitpunkt des Zeckenstichs befindet. So sind die Kantone Tessin und Genf bislang vom FSME-Befall grösstenteils verschont geblieben. Bei FSME kann davon ausgegangen werden, dass in einem Hoch-Endemiegebiet rund 3 Prozent aller Zecken davon befallen sind. Damit kommen von 100 000 gestochenen Personen 3000 mit FSME in Kontakt. Hiervon erkranken 300 Personen, wobei 270 davon lediglich grippale Symptome mit Fieber und nur 30 das Vollbild einer Gehirnentzündung aufweisen. Die Wahrscheinlichkeit einer Borrelienerkrankung ist hingegen entscheidend von der Zeitdauer abhängig, die seit dem Zeckenstich vergangen ist. Während FSME direkt ab dem Moment des Stichs übertragen werden kann, kann es bei Borrelien erst ab 12 Stunden danach zu einer Übertragung kommen. Durchschnittlich kommt es in einem Hochrisikogebiet mit dreissigprozentigem Borrelienbefall in rund fünf Prozent zur Ausbildung einer Wanderröte, wobei die gesamte Schweiz als Endemiegebiet für Borrelien gilt.
Wieso sind immer mehr Zecken mit Viren infiziert?
Der Mechanismus der Zunahme von FSME-infizierten Zecken ist komplex und unter anderem abhängig von der Klimaerwärmung, also zum Beispiel von vermehrt warmem oder feuchtem Wetter. Einen Einfluss hat auch das Vorhandensein von Säugetieren, die als Wirte für die Zeckenvermehrung notwendig sind, und deren Ausbreitungsverhalten. Zuletzt hängt es auch von der Transportaktivität von Pflanzen und Sträuchern ab, an denen sich Zecken befinden können.
Kann man auch im eigenen Garten Zecken einfangen?
Dies ist grundsätzlich zwar möglich, bei einem englischen Rasen mit kurzen Grashalmen aber sicherlich viel seltener als im naturbelassenen Garten mit Hecken und Sträuchern am Waldrand.
Wie beugt man einem Zeckenstich vor?
Kleider tragen, die die Extremitäten schützen: lange Hosen, Sweatshirts oder Jacken. Hohe Schuhe helfen auch, sowie das Einstülpen langer Hosenbeine in die Socken. Man kann auch zusätzlich Insektenspray anbringen, wobei der Schutz gängiger Insektensprays gegenüber Zecken deutlich geringer ausfällt als gegenüber Mücken.
Worauf muss man beim Ziehen der Zecke achten?
Man sollte die Zecke idealerweise mittels Pinzette möglichst hautnahe mit langsamem, zunehmendem Zug in der Richtung der Pinzette fassen. Das Auftragen von Öl oder Drehen der Zecke sind zu vermeiden.
Wem empfehlen Sie eine FSME-Impfung?
Die Impfung ist gemäss BAG allen Personen zu empfehlen, die in Risikogebieten wohnen oder sich dort aufhalten – in der Schweiz sind dies alle Kantone ohne Tessin und Genf. Sie wird durch die Krankenkasse übernommen. Die Impfung wird ab dem 6. Lebensjahr empfohlen, kann aber grundsätzlich auch ab dem 1. Lebensjahr erfolgen. Dies bespricht man am besten mit dem Kinder- oder Hausarzt. Um in den wärmeren Monaten zumindest von einem Teil-Impfschutz zu profitieren, sollte man eher in den kalten Monaten mit einer Impfung beginnen. Grundsätzlich darf aber zu jedem Zeitpunkt neu mit einer Impfung angefangen werden. Zu beachten ist, dass ein vollständiger und anhaltender Impfschutz um 95 Prozent erst nach Gabe von drei Grundimpfungen zu erwarten ist. Die dritte Impfung erfolgt je nach Präparat fünf oder zwölf Monate nach der zweiten Dosis. Alle zehn Jahre ist dann eine Auffrischung nötig.
Wie viele Personen sind bereits geimpft?
Der Anteil der Bevölkerung, der gegen FSME geimpft ist, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und hängt unter anderem ab vom untersuchten Alter und der Region. So fanden sich gemäss Zahlen des BAG beispielsweise schweizweit Impfraten von 6 Prozent unter den 8-Jährigen in den Jahren 2005–07, in den Jahren 2014–16 von 26 Prozent, bei den 16-Jährigen 8 respektive 39 Prozent. In der Nordwestschweiz, wo die Impfung bereits länger propagiert wird, war bei 16-Jährigen im 2014 eine Impfquote von 71 Prozent dokumentiert.