Die Wirtschaft im Eigenverantwortungs-Test

Die Kräfte des Marktes, weniger Bürokratie, schlanker Staat, Eigenverantwortung: In der Corona-Krise stehen Prinzipien der Marktwirtschaft und der bürgerlichen Wirtschaftspolitik auf dem Prüfstand. Viel ist derzeit von Solidarität die Rede. Doch mit der Krise sind Profitdenken und Egoismus nicht einfach verschwunden. Dazu zwei aktuelle Beispiele:

Der Nidwaldner FDP-Ständerat Hans Wicki zeigt mit den Titlis Bergbahnen, deren Verwaltungsratspräsident er ist, derzeit eine Anspruchsmentalität, die sogar die meisten Sozialdemokraten aus den Socken haut. Die Titlis- Bergbahnen haben am Montag, 16. März um 8 Uhr morgens – zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach der Betriebsschliessung – für alle Mitarbeiter zu hundert Prozent Kurzarbeit beantragt. Sie lassen sich also die Belegschaft von der Arbeitslosenkasse finanzieren. Gleichzeitig schüttet die Firma wie geplant 6,4 Millionen Franken Dividenden an ihre Aktionäre aus. Die Kurzarbeit betrachtet Wicki nicht als Staatshilfe, da diese aus der Arbeitslosenkasse finanziert wird.

Das Wort Eigenverantwortung scheint Wicki in der Krise aus seinem Wortschatz gestrichen zu haben. Ein Politiker jener Partei, welche den Staat und die Bürokratie zurückdrängen will, beantragt bürokratisch genau, schnell und umfassend Kurzarbeitsentschädigung. Und es ist zu einfach, sich hinter dem Verweis zu verstecken, der Staat habe die Betriebsschliessung angeordnet. Auch bei einer ungebremsten Ausbreitung des Virus und einem Kollaps des Gesundheitssystems wären die Gäste grossmehrheitlich ausgeblieben.

Könnte Wicki gemäss dem Credo der FDP mit seinen Bergbahnen nicht zuerst einmal eigenverantwortlich handeln? Könnten die Bergbahnen in einer Krisensituation nicht zumindest einen Teil der eigenen freien Mittel einsetzen, um über die Runden zu kommen? Das Fazit ist einfach und für die FDP ein wenig absurd: Würden in einer Krise alle so handeln wie Wicki, wären bald höhere ALV-Abgaben oder Steuern nötig. Denn jeder Unternehmer, der in einer Krise postwendend Kurzarbeit beantragt und gleichzeitig Gewinne ausschüttet, vertraut letztlich auf die Hängematte des (Sozial-)Staates.

Doch Hans Wicki ist mit seiner Dividenden-Mentalität in guter Gesellschaft. Die Grossbank UBS schert sich nicht um die Aufforderungen von Nationalbank und Finanzmarktaufsicht (Finma), Dividenden zurückhaltend auszuschütten. Die UBS will – wie geplant – die Dividende von 0,73 Dollar pro Aktie ausschütten. Das sind über zwei Milliarden Franken,

Dabei hat die Finma vor einer Woche die Kapitalvorschriften für die Banken gelockert, damit diese mehr Liquidität für die Hilfe der Realwirtschaft zur Verfügung haben. Finma-Chef Mark Branson hat in aussergewöhnlich deutlichen Worten von Dividenden abgeraten: «Wer braucht das Geld mehr? Soll es da stehen für die Schweizer Kunden oder soll es ausgeschüttet werden an die internationalen Anleger?» Auch Nationalbankchef Thomas Jordan machte eine klare Ansage: «Wir sind überzeugt, dass die Banken die Spielräume, die sie erhalten, nicht für die Dividendenausschüttung nutzen, sondern für die Wahrnehmung ihrer volkswirtschaftlichen Aufgabe.»

Die UBS kümmert das offenbar nicht. CEO Sergio Ermotti kündigte zwar an, eine Million Franken zu spenden. Das ist ja schön und gut, es ist aber seine Privatsache. Im Job aber vernachlässigen er und der Verwaltungsrat um Axel Weber eine nachhaltige Führung – und dies ist sehr wohl öffentlich relevant. Denn die Bank musste vor zehn Jahren vom Staat gerettet werden. Immerhin kürzt nun die Finma jenen Banken, die Dividenden zahlen, die freigesetzten Mittel.

Die Beispiele zeigen: Es ist nicht die Zeit für marktwirtschaftliche Sonntagsreden und Schönwetterkapitalismus. Jetzt ist Zeit für Eigenverantwortung. Es wird interessant sein zu sehen, wer diesen Test besteht.