
Diese Beizer wollen gar nicht öffnen: «Wir müssen jetzt auf die Zähne beissen, sonst droht der dritte Lockdown»
Restaurants auf, Restaurants zu? Immer wenn eine Entscheidung über die Beizen ansteht, erhebt Casimir Platzer seine Stimme. Der Präsident des Branchenverbandes Gastrosuisse ist im Coronajahr zu einem schweizweit bekannten Lobbyisten geworden. Er setzt sich stets dafür ein, dass Beizen möglichst offen sein können.
Am Freitag entscheidet der Bundesrat darüber, wie es weitergeht. Vor einer Woche hat er den Kantonen vorgeschlagen, dass die Terrassen der Restaurants ab Montag, 22. März, wieder geöffnet werden können. Die Gäste sollen sitzen und maximal einen Vierertisch belegen. Wer nicht gerade ein Glas oder eine Gabel zum Mund führt, soll Maske tragen. Ob der Bundesrat den Öffnungsschritt tatsächlich ermöglicht, ist noch offen. In der letzten Woche sind die Infektionszahlen wieder deutlich angestiegen.
Gastrosuisse-Mitglieder widersprechen ihrem Präsidenten
Gastro-Suisse Präsident Casimir Platzer ist nicht zufrieden mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Lösung. Geht es nach ihm, gehen die Beizen sofort wieder auf. Nicht nur die Terrassen, sondern auch die Innenräume. In einer Stellungnahme des Verbandes heisst es:
«Es bleibt absolut unverständlich, weshalb der Bundesrat den Branchenlockdown nicht sofort und somit auch für den Innenbereich aufheben will.»
Bisher wirkte die Gastronomiebranche geschlossen. Öffentlich widersprach kaum ein Beizer der offiziellen Linie des Verbandes. Nun erklingt Widerspruch.
Am Freitag war Casimir Platzer in der Arena, einer Diskussionssendung des Schweizer Fernsehens, zu Gast. Moderator Sandro Brotz liess per Videoschaltung den Zürcher Gastronomen Dirk Hany zu Wort kommen. Hany betreibt an bester Lage im Zürcher Bankenquartier die «Bar am Wasser». In edlem Interieur werden extravagante Drinks serviert. Er wurde schon zweimal zum Barkeeper des Jahres gekürt.
Hany ist Mitglied bei Gastrosuisse, widersprach seinem Präsident aber vehement. Er sagte:
«Wenn 3000 Gastro-Betriebe in Zürich aufmachen, strömen 200’000 Leute in die Stadt und glauben, die Pandemie ist vorbei.»
Er plädierte dafür, nun auf die Zähne zu beissen, dem Ganzen noch einen Monat Zeit zu geben und die Restaurants erst wieder zu öffnen, wenn die Infektionszahlen runtergegangen seien.
Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt Hany seine Position:
«Wenn wir jetzt öffnen, laufen wir in eine Dritte Welle hinein und müssen dafür spätestens im Frühsommer wieder in den Lockdown.»
Das wäre fatal für die Branche, «die jetzt schon auf der Reserve» laufe. «Mir ist es lieber, wir warten ab und schöpfen dann aus dem Vollen», sagt er. Nach der Sendung habe er viele positive Rückmeldungen bekommen. Auch viele Gastro-Suisse-Mitglieder hätten sich bei ihm dafür bedankt, dass er diese Position einmal öffentlich eingebracht habe. Unterstützung erhält er vom Berner Gastronomen Michel Gygax. Seine Firma KG Gastrokultur betreibt in Bern sechs Restaurantbetriebe. Unter anderem das «le Beizli», das «du Nord» oder das «Restaurant zum Schloss». Er sagt:
«Ich möchte unsere Betriebe eigentlich lieber noch nicht am 1. April öffnen. Die Fallzahlen steigen wieder.»
Auch wenn sich die Leute nicht unbedingt beim Essen ansteckten, so würden offene Betriebe für mehr Begegnungen sorgen, was auch zu mehr Ansteckungen führe. Für ihn macht es «keinen Sinn für drei Wochen zu öffnen, nur um dann wieder in den Lockdown gehen zu müssen». Er warte lieber etwas länger, um dann langfristig und definitiv zu öffnen. Und er sagt:
«Zu schnelle Öffnungen wären mit Blick auf die Gesundheit der Menschen fahrlässig, auch wenn wir alle gerne wieder arbeiten würden.»
Gygax ist auch Co-Präsident des Verbandes «Der Gewerbeverein», der eine Alternative zu Gewerbeverband und Gastrosuisse sein soll. Er bezweifelt, dass Gastrosuisse die Mehrheit der Gastronomen vertritt. «Zumindest in der städtischen Gastronomie erlebe ich, dass viele Kollegen nicht einverstanden sind mit dem Kurs, den Herr Platzer fährt», sagt Gygax. Das merke er auch im «Der Gewerbeverein», der regen Zulauf habe, «weil sich Beizer und Gewerbler nicht mehr von den stark rechtsbürgerlich geprägten Verbänden» vertreten fühlten. Auch Gygax ist aber weiterhin Mitglied bei Gastrosuisse.
Ähnlich sieht es Diego Dahinden. Er betreibt das «Kapitel», einen Betrieb, der Bar, Restaurant und Club kombiniert. Dahinden kritisiert bei Gastrosuisse ein kurzfristiges und auf die unmittelbaren Interessen der Branche beschränktes Denken. Er sagt:
«Es ist frustrierend zu lesen, dass Gastrosuisse für sofortige Öffnungen kämpft.»
Er vermisst den Blick auf die Gesamtgesellschaft. Beizen generierten nun einmal Kontakte und damit Gelegenheiten für das Virus, sich zu verbreiten. Er habe grosse Bedenken, dass sofortige Öffnungen – jetzt, wo die Ansteckungen wieder zunehmen – der richtige Weg seien.
Platzer verteidigt seinen Kurs
Casimir Platzer hat die Kritik gehört und sie am vergangenen Samstag mit allen Präsidenten der Kantonalsektionen diskutiert. Er sagt:
«Ich bekam die Rückmeldung, dass lediglich Mitglieder im tiefen einstelligen Bereich gegen sofortige Öffnungen sind. »
Er verstehe schon, dass ein Barbetreiber in einer Stadt, wo es eine Lösung zur Reduktion der Mieten gebe und die zu tragenden Fixkosten auch deshalb wesentlich tiefer seien, nicht sofort öffnen wollten. Aber das sei eine kleine Minderheit.
Platzer teilt die Einschätzung nicht, dass mit den steigenden Fallzahlen ein weiterer Lockdown drohe. Wegen der fortschreitenden Impfung werde es auch bei relativ hohen Fallzahlen nicht mehr so viele schwer kranke Personen geben, die eine Behandlung benötigten. Er ist der Meinung, man solle sich nicht an den Fallzahlen, sondern an der Auslastung der Spitäler orientieren. Er sagt:
«Solange wir keine Überlastung der Spitäler befürchten müssen, sehe ich nicht ein, warum die Restaurants geschlossen sein sollten.»
Die oppositionellen Beizer bringen derweil unabhängig voneinander ein neues Datum ins Spiel: den 1. Mai. Wenn die Lage es zulasse, sollten dann erste Öffnungsschritte unternommen werden. Dann seien mehr Leute geimpft, die Fallzahlen hoffentlich wieder tiefer und die Temperaturen wärmer, so dass es sich auch lohne, die Terrassen aufzumachen.