Diese Reiderin hat im Onlinenetzwerk Tiktok weltweit 163 000 Fans: Ein Porträt

Die beiden Welten, in denen sich Sozvin Sif Eddin bewegt, könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite ihr Wohnort Reiden. Eine Landgemeinde mit 7000 Einwohnern. Auf der anderen Seite Tiktok. Ein chinesisches Onlinenetzwerk mit hundert Millionen – vor allem jungen – Nutzerinnen und Nutzern in Europa. In Reiden ist die 18-Jährige eher unbekannt, auf Tiktok ist sie ein Star mit 163 000 Fans und fast 6 Millionen Gefällt-mir-Angaben.

Die Welt von Tiktok eröffnete sich ihr vor fünf Jahren, als die Videoplattform noch anders hiess. Wie die meisten Nutzerinnen und Nutzer von Tiktok veröffentlicht auch Sozvin Selfie-Videos, in denen sie ihre Lippen zu einem Musiksong bewegt – so als würde sie mitsingen. «Ich habe damals mit Kolleginnen angefangen, weil es uns Spass machte», sagt Sozvin. Eines ihrer Videos fand grossen Anklang und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. «Durch dieses Video damals bin ich bekannter geworden, und täglich kamen Tausende Abonnenten dazu.» Die meisten ihrer Tiktok-Fans kommen aus der Schweiz, Deutschland, Italien, Frankreich und vom Irak, wie sie sagt.

Erhält viele Komplimente, aber auch Hasskommentare

Ihre Videos, die meisten davon nimmt sie in ihrem Zimmer in Reiden auf, gucken im Onlinenetzwerk Tiktok im Schnitt über 10 000 Personen an. Auf ihre Videos erhalte sie «richtig viele» Tiktok-Kommentare. «Das geht von Komplimenten, wie du hast schöne Augen oder du hast schöne Haare, bis zu Hasskommentaren wie zum Beispiel ‹Schminkfresse›.»

Gänzlich unbekannt ist sie auch in Reiden nicht – zumindest nicht bei jungen Menschen. «Leute in meinem Alter kennen mich als Influencerin», sagt sie stolz. «Schon in meinem letzten Schuljahr wollten Schülerinnen und Schüler Fotos mit mir machen.» In der Stadt Luzern werde sie teilweise auf der Strasse erkannt. «Am Anfang war das komisch. Jetzt ist es normal und macht mich sogar stolz.»

Sozvin sitzt zu Hause in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa und erzählt von Tiktok. Ihr rosa Handy, das sie meistens bei sich trägt, klingelt viermal hintereinander. «Sorry», sagt sie, und blickt auf ihr Handy. «Das sind Kolleginnen auf Whatsapp. Die Tiktok-Nachrichten habe ich schon lange auf stumm geschaltet – das sind zu viele», sagt sie und lacht. Ihr Vater sitzt schweigend nebenan. Der Popularität seiner Tochter begegnet er mit Skepsis.

Die kurdische Familie floh vor dem Syrienkrieg

Sozvin lebt mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern seit sieben Jahren in Reiden. Die kurdische Familie floh 2014 vor dem Krieg in Syrien und fand in Reiden ein neues Zuhause. Die Familie hat zurzeit einen F-Ausweis (vorläufig aufgenommene Flüchtlinge). Sozvin möchte in der Schweiz bleiben und sich irgendwann einbürgern lassen.

Sie erzählt von Auseinandersetzungen mit ihren Eltern. Diese hätten lange Zeit befürchtet, dass Tiktok ein schlechtes Licht auf die Familie werfe. Sozvin wehrte sich für ihr Hobby. «Mein Ziel war nie, bekannt zu werden. Aber das Erreichte wollte ich nicht einfach wegschmeissen. Also kämpfte ich dafür, weiterzumachen. Irgendwann akzeptierten das meine Eltern.» Jedoch musste Sozvin versprechen, nur «anständige» Videos zu veröffentlichen. «Freizügige Videos, in denen ich bauchfrei zu sehen bin, gehen überhaupt nicht, denn wir sind gläubige Muslime.»

Ihr kurdischer Hintergrund ist Sozvin wichtig. «Ich mache manchmal Videos mit kurdischen Liedern oder halte die kurdische Flagge in die Kamera. Ich bin stolz auf meine Nationalität und das gefällt meinen Fans.» Dies wiederum motiviere sie, weiterzumachen.

Sie macht häufig Werbung für Schönheitsprodukte

Noch häufiger zeigt die Influencerin in ihren Videos aber Schönheitsprodukte, die sie zur Verfügung gestellt bekommt. Sie geht sogenannte Kooperationen mit Unternehmen ein – in erster Linie Kosmetikhersteller. «Ich schreibe solche Firmen an und frage sie, ob sie mit mir Kooperationen machen wollen. Wenn ja, dann schicken sie mir beispielsweise Wippernverlängerungen oder Lippenstifte.» Anschliessend präsentiert sie die Produkte in einem Tiktok-Video zusammen mit einem Rabattcode für die Zuschauenden. Werden diese rege genutzt, gehen die Firmen meistens weitere Kooperationen mit der Influencerin ein.

Geld verdienen will sie mit dem Netzwerk zurzeit nicht, obwohl das mit ihrer grossen Anhängerschaft möglich wäre, wie sie sagt. «Noch nicht», präzisiert die 18-Jährige. Zuerst möchte sie endlich eine Lehrstelle finden – am liebsten als Fachangestellte Gesundheit.