Drohender Stellenverlust bei Ferien im Corona-Risikoland – Aargauer Secondo: «Es fühlt sich an wie eine Demütigung»

Eigentlich wäre Sasha Stojmenovski jetzt in Nordmazedonien. So wie jeden Sommer. Er wäre mit seiner Frau und den drei Kindern in ihrem Haus dort. Sie würden ausschlafen und gemeinsam frühstücken. Durch den Tag würde er seinen Kindern das Land zeigen, in dem er aufgewachsen ist.

Sie würden vielleicht ein Kloster besuchen, ein Bergrestaurant oder aber auch einfach in der Badi liegen. Und am Abend würden sie sich in einem Restaurant zum Znacht treffen, vielleicht mit dem Onkel, vielleicht auch mit den Cousins, die dort leben.

Stattdessen sitzt der 40-Jährige in seinem Büro in Wohlen. Und arbeitet. Schuld daran ist die Coronakrise. Und die zehntägige Quarantäne, die der Bund für Einreisende aus gewissen Ländern verordnet hat. Nordmazedonien ist eines dieser Länder.

Der Flug war schon gebucht, dann folgte der Entscheid des Bundes

Bis vor einigen Wochen sei er noch zuversichtlich gewesen, dass sie auch heuer in die Heimat fahren könnten, erzählt Stojmenovski. Der Flug, am Samstagmorgen nach dem letzten Schultag seiner Kinder, um sechs Uhr in der Früh, war schon gebucht. Er habe sich aber schon so seine Gedanken gemacht: «Das Gesundheitssystem dort unten ist nicht dasselbe wie hier.

Risikoländer in Europa:

Risikoländer in Europa: © Lea Siegwart

Was, wenn sich jemand angesteckt hätte?» Ausserdem: Aufgrund der hohen Infektionszahlen gilt in Nordmazedonien ausserhalb des Hauses eine Maskenpflicht. Restaurants, Läden oder auch touristische Attraktionen haben in der Regel zwar offen, doch unter strengen Auflagen. Der Urlaub wäre also kaum so erholsam gewesen wie in anderen Jahren.

Dann folgte der Entscheid des Bundes, nach der Rückkehr hätte die ganze Familie für zehn Tage in Quarantäne gemusst. Damit war der Fall klar. Statt Baden im Ohridsee Wandern im Oberland. Zum ersten Mal seit 29 Jahren. «Es ist schon ungewöhnlich, hier zu sein. Im Sommer sind wir sonst immer unten.»

Vielen Secondos werde mit der Kündigung gedroht

Aufgewachsen ist Sasha Stojmenovski in Nordmazedonien. Seine Eltern wohnten und arbeiteten als Saisonniers in der Schweiz. Waren sie jeweils ausser Land, schaute seine Grossmutter zu ihm. Mit zwölf Jahren holte ihn seine Familie definitiv nach Wohlen. Heute wohnt er immer noch dort, mittlerweile selbst mit Familie. Und besucht jährlich seine Grossmutter in der Heimat. Sie sei es gewesen, die mit dem Entscheid am meisten Schwierigkeiten hatte, erzählt er. Komm doch trotzdem runter, sagte sie zu ihm. Es ist sicher nicht so schlimm, wie sie es im Fernsehen zeigen. «Sie fehlt mir am meisten», sagt Stojmenovski. «Sie ist schon 88. Ich weiss auch nicht, wie oft ich sie noch sehe. Deshalb geniesse ich jeden Moment mit ihr zusammen.»

Stojmenovski hat ein eigenes Geschäft in Wohlen, er vermittelt und verkauft Immobilien. Wäre er nach Nordmazedonien geflogen: Die zehntägige Quarantäne hätte das Geschäft vorübergehend lahmgelegt. «Aber immerhin bin ich in der glücklichen Situation, dass ich selbstständig und damit flexibel bin.» Anders ist es bei vielen anderen gebürtigen Mazedoniern, Serben oder Kosovaren.

Bei all denen, die angestellt sind. Gehen sie über den Sommer in die Heimat, kompensieren sie danach bestenfalls zehn Tage lang Überzeit. Ansonsten müssen sie unbezahlten Urlaub nehmen. Und im schlimmsten Fall droht sogar der Jobverlust: «Vielen Bekannten wurde klipp und klar gesagt, dass, wenn sie runtergehen, ihnen Konsequenzen drohen.» Darum würden die meisten nun, wie die Stojmenovskis, nicht in die Heimat fahren.

Zweifel an den Zahlen der anderen Balkan-Länder

Vier Länder auf dem Balkan sind auf der Risikoliste des Bundes. Nebst Nordmazedonien noch Serbien, der Kosovo und Moldawien. Alle anderen nicht. Dass nur für einige Länder strengere Auflagen gelten, für die anderen aber nicht, dafür hat Stojmenovski nur begrenzt Verständnis. «Es fühlt sich an wie eine Demütigung. Als wäre man in der Schule, und die Lehrperson würde manchen Kindern erlauben, in die Pause zu gehen, und anderen nicht.»

Eingeführt hat der Bund die Quarantänepflicht für Länder mit «erhöhtem Infektionsrisiko». Oder anders ausgedrückt: Sind die Zahlen der Neuinfektionen in einem Land zu hoch, ist Vorsicht geboten. Das Virus soll nicht von Einreisenden in die Schweiz geschleppt werden. Nur: Wie aussagekräftig sind die Zahlen aus den Balkan-Ländern? Das fragt sich Stojmenovski. «Hat der Nachbar Unkraut, ist die Chance nun mal gross, dass ich es auch habe.» Deshalb findet er: Entweder solle man diese Regelung für alle Balkan-Länder einführen – oder für keins. «So ist es einfach sinnlos.»

Und schliesslich stört ihn noch ein weiterer Punkt. Anstecken könne man sich überall, auch in der Schweiz. Gerade in Clubs, die weiterhin geöffnet haben. «Ist das sinnvoll? Dort treffen sich täglich Tausende Jugendliche, schwitzen, schreien, weil man wegen der Musik sonst nichts hört. Ist das Ansteckungsrisiko dort nicht viel höher, als wenn ich in meine Heimat in die Ferien gehe und meine Verwandten besuche?»

Der Kanton kann noch nicht überprüfen, wer in Risikoländern war

Einreisende aus Risikoländern müssen sich innerhalb von zwei Tagen nach ihrer Rückkehr beim Kanton melden und sich zehn Tage in Quarantäne begeben. Damit die Kantone kontrollieren können, wer aus einem Risikoland einreist, könnten etwa Flug- und Busgesellschaften ihnen Listen mit den Kontaktdaten von Passagieren weitergeben. Ob dies möglich ist, klärt der Bund momentan ab. Der Aargau hat bis gestern noch keine solchen Listen erhalten. Er setzt deswegen auf das Pflichtbewusstsein der Betroffenen.

Reisende in Risikoländer sollen sich eigenständig melden. Zu diesem Zweck hat der Kanton ein Meldeformular auf seiner Website aufgeschaltet, welches die Einreisenden selbst ausfüllen müssen. Für eine Beurteilung, ob das Formular denn auch wirklich rege benutzt werde, sei es jedoch noch zu früh, erklärt Michel Hassler, Mediensprecher des Departements für Gesundheit und Soziales des Kantons. Deswegen seien bisher auch keine Zahlen veröffentlicht worden, wie viele Aargauerinnen und Aargauer sich zurzeit wegen eines Aufenthaltes in einem Risikoland in Quarantäne befinden.

Wer dem Kanton seine Einreise aus einem Risikoland verschweigt oder die anschliessende zehntägige Quarantänepflicht missachtet, dem droht eine Busse von bis zu 10 000 Franken. Laut Hassler seien die Erfahrungen des Contract-Tracing-Centers mit den Rückkehrern, die sich gemeldet haben, bisher positiv verlaufen: «Die kontaktierten Personen kooperieren gut.» Nur bei vereinzelten Ausnahmen sei eine engere Begleitung nötig, in gewissen Fällen auch durch die Kantonspolizei. (mfl)