
EHCO-Trainer Chris Bartolone: «Das war ein Weckruf an alle Gegner»
Sie hatten nach dem letzten Playoff-Finalspiel gegen Rapperswil-Jona nun einige Tage frei, um den Kopf zu lüften. Was haben Sie getan?
Chris Bartolone: Ich konnte nicht loslassen, ging am Samstagmorgen ins Kleinholz in mein Büro, arbeitete an der Saisonanalyse, bereitete die vielen individuellen Gespräche mit den Spielern vor, die in diesen Tagen stattfinden sollen. Wir möchten sie so schnell wie möglich hinter uns bringen. Denn niemand, vor allem nicht nach einer schmerzhaften Niederlage, will noch über Hockey sprechen. Die Spieler wollen auch nach vorne schauen und bald mal Abstand gewinnen. Aber zuerst möchte das Team noch gemeinsam essen gehen und auch mit den Fans den Saisonabschluss feiern.
War es überhaupt möglich, in diesen Tagen zu relaxen?
Nicht wirklich. Denn wir waren so nahe dran an unserem Ziel – nur drei Siege haben gefehlt, dass ich immer wieder darüber nachgedacht habe. Ja, ich habe zwar gut und viel geschlafen, aber ich konnte mich nicht erholen.
Worüber haben Sie nachgedacht?
Ich habe schon ein bisschen versucht, zu analysieren. Nicht zwingend, was man falsch gemacht hat, aber was man vielleicht anders hätte machen können. Eine der Überlegungen war: Als Martin Ulmer krank wurde haben wir Marco Truttmann gebracht, der für eine ganze Weile nicht gespielt hatte und von dem man trotzdem viel erwarten konnte. Er hat auch drei gute Spiele gezeigt. Trotzdem hat das die Dynamik stark verändert. Man schaut halt auch auf solche Sachen zurück. Aber ich muss sagen: Ich bin stolz auf die Jungs, was sie erreicht haben in diesen zweieinhalb Monaten, in denen ich Headcoach sein durfte. Es hat grossen Spass gemacht.
Wie sieht Ihr Verarbeitungsprozess aus?
Als Coach muss man Lösungen finden und analysiert andauernd. Man will herausfinden, wo der Knackpunkt war und will daraus lernen, damit man in Zukunft einen Schritt vorwärtskommt.
Was haben Sie dabei festgestellt?
Die Serie gegen Langenthal, das waren zwei Serien in einer: Man will sie schlagen wegen des Derbys und man will sie schlagen, um in das Finale einzuziehen. Manchmal schaue ich zurück und denke, das war unser Final, dass wir all unser Benzin im Tank in dieser Serie verbraucht haben und dann im richtigen Final der Tank etwas leer war. Ich konnte bei einigen sehen, dass die Energie nicht mehr da war. Sie wollten hart spielen, aber der Zusatzsprit hat gefehlt.
Auf der physischen oder mentalen Seite?
Ich würde sagen auf der mentalen Seite. Denn wir haben Rapperswil bis zur letzten Minute auf dem Eis an ihr Limit gebracht. Wir haben das Tor nicht getroffen, aber Rapperswil war besorgt, wie sie uns schlagen könnten. Sie wussten, dass wir mit Selbstvertrauen antreten würden. Wären wir im Viertelfinal auf sie getroffen, hätten sie sich gesagt: «Das wird einfach, die haben wir im Sack.» Aber wir haben uns dann gesteigert und wurden gefürchtet.
Was war am Ende ausschlaggebend?
Physisch waren wir bereit, aber wir waren mental nicht auf der Höhe, den Final gewinnen zu können. Rapperswil befindet sich im dritten Jahr seit dem Abstieg und hat nun im dritten Anlauf den Final gewonnen. Sie wissen, welch immensen Aufwand es braucht, dorthin zu kommen und blieben dadurch auch im Final fokussiert. Das war wohl der entscheidende Punkt.
Können Sie da als Headcoach etwas dagegen tun?
Ich glaube nicht, dass es etwas gibt, das als Rezept funktioniert, ausser mit den Spielern weiter hart zu arbeiten, viel mit ihnen zu sprechen, ihnen dabei das Vertrauen auszusprechen und sie bestmöglich an ihr Limit zu pushen. Man muss versuchen, irgendwie der Mann zu sein, der ihren individuellen Benzintank auffüllt und sagt: «Hey, es ist alles gut. Wir haben Benzin im Tank.»
Sie haben gesagt, Sie seien stolz auf die Spieler. Sind Sie auch stolz auf sich selbst?
(überlegt) Ich glaube, ich darf auch im Namen von Michael Tobler sprechen: Ja, wir dürfen stolz sein, dass wir es geschafft haben, dass wir bis in den Final vorgestossen sind. Niemand hatte es uns nach dieser Qualifikation zugetraut. Es hat mich vor allem stolz gemacht, zu sehen, dass sich meine Arbeitsmoral auf eine gewisse Weise ausbezahlt. Ich scheue die Arbeit nicht, versuche stets eine Lösung zu finden, werte Dutzende von Videos aus. Ich bin immer im Büro anzutreffen, auch sonntags. Ich bin jeweils der Erste, der da ist und der Letzte, der geht. Ich wurde von meinen Eltern so erzogen, dass Erfolg nicht von ungefähr kommt. Man muss etwas dafür leisten. Und das hat sich ausbezahlt. Ich kann sagen: Ja, man darf es als Erfolg werten, dass ich in meinem ersten Headcoach-Jahr bis in den Final gekommen bin.
Was sehen Sie besonders als Erfolg an?
Dass wir es geschafft haben, innert kürzester Zeit Einzelkämpfer zu einem Team zu formen. Das war von Anfang an mein grösstes Ziel, weil ich wusste, dass es ohne Teamgedanken nicht geht. Der Punkt ist, dass die Spieler nach vielen Gesprächen begannen, wieder an sich zu glauben. Und dabei ging es mir nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um diesen Prozess, ein Team zu werden. Und als auch die Spieler merkten, dass es nicht nur um Skorerpunkte geht und wer den gelben Helm trägt, funktionierte plötzlich auch das Spiel.
Das war der Startpunkt einer starken Playoffkampagne.
Ich will Ihnen sagen: Wenn man es nicht hinkriegt, dass die Spieler den Teamgedanken in den Vordergrund stellen, scheitert jeder Trainer an der Bande. Sie wenden als Trainer keine Serie nach 0:1-Rückstand in der Serie, 1:3 zurück im zweiten Match nach 20 Minuten, auswärts, in Thurgau, wenn die Spieler sich nicht als Teil einer Mannschaft sehen – ob sie nun Mike Babcock (Anm. d. Red.: NHL-Trainerlegende) oder Chris Bartolone heissen.
War es schwierig für Sie, damals als Assistenztrainer zu spüren, woran es lag, aber dennoch der Nummer-2-Typ zu sein?
Ich hatte sicher gewisse Vorteile, dass ich die Mannschaft als Assistent von Bengt-Ake Gustafsson schon sehr, sehr gut gekannt hatte. Aber auf der anderen Seite lehnte ich mich ja nicht zurück und liess das Schiff untergehen. Ich hatte meine Rolle als Assistenztrainer, ich war nicht untätig und sprach viel mit den Spielern. Es kam mir vielleicht zugute, dass ich mit den Spielern auf gleicher Ebene zusammenarbeiten konnte, wie ein älterer Bruder, der Tipps gibt. Und als ich Headcoach wurde, kam dann der Hammer dazu. Man muss die Spieler verstehen und lieben, muss mit ihnen kommunizieren und sie bei der Bestrafung nicht degradieren. Das schien plötzlich angekommen zu sein.
Hatten Sie nicht ein bisschen Respekt vor diesem Rollenwechsel?
Ja natürlich, der Wechsel ist schwierig. Ich musste die Tatsache respektieren, dass ein Headcoach-Job mit harten Entscheidungen verbunden ist. Ich hatte aber auch gar keine Chance, darüber wirklich nachzudenken. Wir hatten zwei, drei Trainings, dann war das erste Spiel da. Aber ich habe die Herausforderung sehr gerne angenommen. Es ist nicht einfach, wenn Sie ein Team voller Talente haben, die alle Powerplay spielen wollen.
Eine grosse Herausforderung.
Ich mag es, auf dem Eis etwas vorzuzeigen und ich denke manchmal heute noch, ich würde gerne mitspielen (lacht). Nein, aber der Respekt der Spieler war von Beginn weg da, vielleicht auch, weil sie merkten: Er ist einer von uns. Vor acht Jahren hat er noch dasselbe getan, was wir nun tun. Und ich denke, ich bekam vom Management auch die Chance, weil sie wussten, dass ich mit den Spielern in der Krise war und sie daher wohl dachten, dass ich mit diesem Hintergrund die verschiedensten Charaktere auf unterschiedlichsten Wegen wieder pushen könnte. Und ich glaube auch zu wissen, was uns unter dem Strich als Team zusammengebracht hat.
Erzählen Sie.
Es ist lustig: Ich benutze oft das Wort «love». Ich sage den Spielern oft: «I love you.» In Englisch kann die Bedeutung nicht ganz so wörtlich rüberkommen. Aber es geht in diese Richtung: Man muss die Spieler gern haben, jeden einzelnen des Teams. Aber man muss eben auch die Fähigkeiten haben, den Hammer auszupacken und sie zurechtzuweisen. Sie wussten, auch wenn ich hart bin mit ihnen, dass ich es nicht persönlich meine, es viel mehr der Sache dient und ich sie trotzdem liebe. Es ist die Art der Kommunikation, die es ausmacht. Und das hat uns zu einem Team gemacht.
Ihr Vertrag läuft aus. Es stehen Vehandlungen an. In welche Richtung soll es Ihrerseits gehen?
Ich würde die Herausforderung gerne wieder annehmen. Ich freue mich auf die Zukunft. Ich liebe es, hier zu sein. Ich mag Olten, mir ist wohl hier. Ich mag die Fans. Ich mag das Management und ich mag die Aufstiegsambitionen des Klubs. Dass wir es in den Final geschafft haben, ist ein Weckruf an alle, dass der EHC Olten mit dem neuen Verwaltungsratspräsident und der ganzen Führungscrew im Hintergrund dieses Ziel auch erreichen kann. Rapperswil war bereit. Wir vielleicht noch nicht ganz. Aber das war nur ein Zwischenschritt. Jetzt geht es darum, darauf aufzubauen. Und uns in jeder Beziehung zu verbessern. Bis wir so weit sind.
Das Umfeld in Olten kann aber auch sehr schnell ungeduldig werden und ins Negative abdriften.
Das gehört dazu. Ich wurde vor Beginn der Playoffs gefragt, ob ich nervös bin. Meine Antwort war: Nein. Ich habe schon als Spieler so viel erlebt. Ich weiss, was mich erwartet, wenn es nicht läuft. Man muss auch in diesen schlechten Phasen seinen Job als Trainer erledigen. Es ist nicht immer alles rosig. Aber wenn man auf die anderen Spitzenteams wie Rapperswil, Langenthal oder Ajoie schaut, dann fällt einem die Kontinuität auf, mit welcher dort gearbeitet wird. Die haben etwas aufgebaut und wurden Meister. Die Trainer sind oder waren jahrelang im Amt. Und der Kern der Mannschaft blieb lange zusammen und wurde laufend ergänzt.
Was fehlt der Oltner Mannschaft, damit sie den nächsten Schritt machen kann?
Ich nenne es «Fleisch». Spieler, die sowohl routiniert als auch kräftig sind. Wir brauchen diese Routine auch. Ältere Spieler, die den jüngeren in kritischen Phasen zeigen, wo es lang geht. Das ist in der Garderobe sehr wichtig. Und im Sturm brauchen wir diesen Typ «Grinder». Also Spieler, die den Gegner mit ihrer harten Spielweise zermürben. Spieler, die auf der ganzen Eisfläche diese «dreckige» Arbeit verrichten. Gegen Langenthals Top-Sturmreihe ist uns das sehr gut gelungen. Im Final hat uns diese Qualität dann gefehlt.
Brauchen tut es auch das Publikum. In den Playoffs war die Unterstützung der Zuschauer grossartig. Aber während der Qualifikation war das Verhältnis eher kompliziert.
Ich kam mir oft vor wie in einer Seifenoper (lacht). Jeden Tag ist etwas Neues passiert. Aber im Ernst: Man gewinnt die Meisterschaft nicht während der Qualifikation. Das muss man akzeptieren. Deshalb: Man sollte sich ein wenig entspannen und weniger schnell das Messer rausholen. Wir brauchen die Unterstützung aller Zuschauer – durch alle Hochs und Tiefs.