
EHCO-Trainer Fredrik Söderström: «Fans haben das Recht, kritisch zu sein»
Sie sind nun seit ein paar Wochen offiziell als EHCO-Trainer im Amt. Was haben Sie in dieser kurzen Zeit schon über Ihre neue Arbeitsumgebung gelernt?
Fredrik Söderström: Es ist meine beste Zeit seit vielen Jahren. Als ich mich für einen Job im Ausland entschieden habe und nach Norwegen ging, war es eine grosse Veränderung in meinem Leben, vor allem was das Alltagsleben und das Eishockey betrifft, aber es war letztlich in meiner Entwicklung ein kleiner Schritt. Nun bin ich in der Schweiz, einem Eishockey verrückten Land, das ist ein sehr grosser Schritt.
Wie war Ihre Herangehensweise?
Ich wollte schon vor Amtsantritt etwas Luft schnuppern, war zwei Mal hier, ehe mein Vertrag begann. Ich wollte den Klub und die Spieler vorher sehen, die Gesichter kennenlernen. Ich möchte mich identifizieren. Und das hat mein Start einfacher gemacht.
Sie waren vorher noch nie in der Schweiz?
Nein, irgendwie hat es sich nie ergeben. Es ist ein wunderbares Land. Es ist unglaublich, jeden Tag sehe ich etwas Neues. Auf dem Weg nach Biasca ans Testspiel gegen Ambri verhielten wir, Dennis (Hall, Assistenztrainer, Anm. der Red.) und ich, wie kleine Kinder, wir klebten an der Frontscheibe und machten Bilder. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Sie werden wohl noch viele solche Momente erleben.
Ja und meine Erfahrung ist, dass viele Schweizer vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Ich will damit sagen: Sie schätzen es kaum mehr, hier zu leben. Aber so tickt der Mensch, man gewöhnt sich daran. Auch ich habe mich schon ertappt, dass ich mich an den Standard gewöhnt habe, es als selbstverständlich erachte, dass alles funktioniert.
Und sich dann schnell nerven, wenn es nicht läuft?
Das ist auch so etwas: Die Leute sind sehr kritisch, merken auf das Positive umgehend das Negative an: «Hey, ihr habt schöne Sommertage hier»: Ja, aber warte nur bis der Nebel im November aufzieht. «Hey, es ist so nahe nach Zürich, Bern, Genf»: Ja, aber es hat immer sehr viel Stau. «Hey, die Züge sind wunderbar»: Ja, aber sehr teuer und stets verspätet.
Wenn Sie in ein neues Land gehen, dann tun Sie es stets mit Erwartungen. Haben Sie etwas Überraschendes angetroffen?
Das Wichtigste ist, dass man den Ort schätzt und respektiert. Viele Freunde und Familienangehörige warnten mich, dass die Schweiz teuer sei. Und das hat sich bestätigt – puh, unglaublich teuer. Aber die Löhne sind auch hoch. Ich habe einen Hockeyfreund, der nach Rumänien ging. Dort verdient er ein Trinkgeld, aber die Erfahrung bringt dich so oder so weiter. Wir gingen mit Storhamar letztes Jahr nach Trinec in Tschechien, und ganz ehrlich: Ich weiss nicht, ob ich dort sein möchte. Wir haben als Schweden, genauso wie die Schweizer, einen Anspruch auf einen gewissen Standard. Alle, denen ich erzählt habe, dass ich eine Offerte aus der Schweiz habe, waren begeistert. Und niemand hat versucht, es mir auszureden.
Welche Erwartungen ans Schweizer Eishockey haben Sie?
Nun, es ist nicht so, dass man das Schweizer Eishockey nicht kennen würde. Die jüngsten Erfolge der Nationalmannschaft bestätigen die gute Arbeit des Verbands, der Liga, der Klubs. Die National League ist attraktiv, es hat viele Topklubs. Ich muss aber gestehen: Ich wusste kaum etwas über die Swiss League. Heute weiss ich: Es gibt Klubs mit unterschiedlichsten Ansprüchen. Da sind die Topklubs wie Kloten, Olten, Langenthal oder auch La Chaux-de-Fonds, hier die Mittelklasse und dort die Academy-Klubs mit dem primären Ziel der Ausbildung. In der Swiss League steht mehrheitlich die Offensive im Fokus. Schwedisches Eishockey ist da anders, manchmal sogar langweilig, weil Spieler und Systeme mittlerweile so gut sind, dass sich die Topteams gegenseitig neutralisieren.
Die Fans können kritisch sein in Olten.
Ich habe gehört, dass Olten eine Eishockey verrückte Stadt ist, das ist wunderbar. Die Fans sind berechtigt, kritisch zu sein. Ich verstehe sie, denn sie investieren nicht nur Geld, sondern auch viel Freizeit und noch mehr Herz. Kritisch zu sein, bedeutet auch, Passion in sich zu haben. Es ist einem Fan also nicht egal, was rund um den Verein passiert. Sollen die Resultate zweitrangig sein, so sollte man in einem Team ohne Ambitionen spielen.
Der EHCO hatte in den letzten drei Jahren das Ziel, in die National League aufzusteigen. Der Plan scheiterte. Nun will man den Playoff-Final erreichen.
Ich habe davon gehört. Als ich mich im Frühling in Oslo mit der EHCO-Führung zu einem ersten Gespräch traf und sie sich selber, die Stadt und den Verein vorstellten, haben sie mich sehr beeindruckt. Hätten sie dann aber gesagt: «Wir wollen auf alle Fälle aufsteigen», dann hätte ich vielleicht gezögert mit der Unterschrift. Denn solche Ziele können auch kontraproduktiv sein.
Weil der Druck die Spieler hemmt?
Ich habe auf keinen Spieler Druck ausgeübt – noch nicht. Denn Druck ausüben muss man mit Fingerspitzengefühl. Trotzdem sehe ich bei uns Spieler auf dem Eis, die noch nicht auf ihrem höchsten Level spielen. Sie auferlegen sich so viel Druck, wollen mir und vor allem sich selber etwas beweisen. Das muss von irgendwoher kommen. Ich habe einen Spieler gefragt: Warum spielst du so, als würde dich demnächst ein Gegenspieler mit dem Messer abstechen?
Was hat er Ihnen gesagt?
Er hat gesagt, dass er eine schlechte Saison hatte und er sich nun das Selbstvertrauen erst wieder erarbeiten müsse. Das Saisonziel Playoff-Final bekannt zu geben, bedeutet deshalb nicht, schwach zu sein oder Angst vor dem Versagen zu haben. Es hat viel mehr mit gesundem Realismus zu tun. Ausserdem ist es auch viel schöner, in den Playoffs zu überraschen, als ständig nur die Erwartungen erfüllen zu müssen. Das gefällt mir. Und nebenbei: Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht erfolgreich sein sollten.
Im Team gibt es 13 neue Gesichter, Sie sind eines davon.
Es mag einer der Gründe sein, warum die Spieler etwas zurückhaltend sind. Vieles ist neu, viele neue Teamkollegen, neue Trainer, ein neues System. Ich will sie als Spieler, aber auch als Menschen kennenlernen. Ich möchte zu jedem Spieler eine Beziehung aufbauen, obwohl wir keine Freunde werden. Ich bin der Coach, er der Spieler. Aber ich muss sie verstehen, um Druck ausüben zu können.
Welches sind denn Ihre Möglichkeiten, einem Spieler diese mentale Stärke mitzugeben? Sie können die Charaktere ja nicht verändern.
Das ist in der Tat schwierig. Ich sehe die Spieler täglich, man kann an kleinen Dingen rumschrauben, ich mag das kompetitive Training. Zweikämpfe, in denen man immer um etwas kämpft. Da arbeitet man am Mentalen. Es braucht mehr, als den Spielern aufzuzeigen, wo sie beim Bully stehen müssen. Die grosse Arbeit eines Trainers ist, eine Umgebung zu schaffen, wo die Spieler Dinge ausprobieren können, wo Fehler gestattet sind, solange sie daraus lernen.
Sie haben selber nie auf höchstem Niveau gespielt. War das jemals ein Problem für Sie?
Ja, ich denke schon. Das grösste Problem waren meine eigenen Zweifel. Ich dachte, dass die Spieler denken, ich wäre nicht gut genug, weil ich selber nie professionell Eishockey spielte. Ich verstand sehr schnell, dass Respekt nichts mit Alter oder deinem Hintergrund zu tun hat. Ich bin ehrlich: Das Verhalten in Zweikämpfen kann ich den Spielern nicht wirklich beibringen, auch kann ich keinen Spieler zu einem guten Bullyspieler ausbilden. Der Punkt ist, dies vom ersten Tag an klarzumachen: Ich bin kein Experte in allen Belangen, das kann kein Mensch. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Das Wichtigste ist, dass man die richtigen Leute um sich hat.
Zur Person
Fredrik Söderström, 42-jährig, ist in der schwedischen Stadt Leksand aufgewachsen. Als Sohn eines bekannten schwedischen Eishockeyspielers bekam er das Handwerk in die Wiege gelegt, wurde aber selber nie Profi. Stattdessen wurde er mit 21 Jahren Trainer einer Juniorenmannschaft, mit 26 Jahren stieg er ins Profi-Business ein. Nach einigen Jahren in Schweden wagte er sich nach Norwegen, wo er mit Storhamar in seiner ersten Saison sogleich norwegischer Meister wurde. In der vergangenen Saison scheiterte er im Playoff-Final. Söderström ist ledig und wohnt in Hägendorf.