
«Ein Alltag nur mit Sport wäre mir zu langweilig»
Géraldine Ruckstuhl, Sie sind kürzlich nach Ägypten in die Ferien gereist. Wie gut haben die erholsamen Tage nach einer langen und ereignisreichen Saison getan?
Sehr gut. Es war eine intensive Saison, in den vergangenen sechs Monaten bin ich keine zwei Wochen am Stück zuhause gewesen. In den Ferien konnte ich etwas komplett anderes als Leichtathletik machen oder einfach abschalten, geniessen und nicht über den Sport nachdenken. Ich habe viel mit Kolleginnen und meiner Familie unternommen. Das war schön, weil ich im Sommer eigentlich nie Zeit dazu habe.
Welcher Moment bleibt Ihnen von Ihrer erfolgreichen Saison am stärksten in Erinnerung?
Schwierig zu sagen. Ich glaube, es ist die Ehrenrunde bei den Weltmeisterschaften in London. Das war sehr emotional. Ich habe das so noch nie erlebt, weil wir bei Nachwuchswettkämpfen keine ganze Runde zusammen laufen. In London wusste ich zudem: Jetzt sind meine Siebenkämpfe vorbei und die Saison ist schon fast fertig. Damals ist eine grosse Last von mir gefallen und ich konnte die Ehrenrunde richtig geniessen. Es war Gänsehautstimmung pur, als ich an den vielen jubelnden Zuschauern vorbeilief.
Warum sind Ihnen in diesem Jahr so viele Exploits gelungen?
Im Jahr 2016 war ich verletzt. Das bleibt mir aber nicht nur in negativer Erinnerung, ich habe in dieser Zeit wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ich lernte meinen Körper besser kennen und merkte, was er im Stande ist auszuhalten. Und ich besass einen enormen Willen, um wieder auf den Leichtathletikplatz zurückzukehren. Denn 2016 war nicht sicher, ob ich wieder mein altes Niveau erreichen würde – zumal ich 2017 erstmals Siebenkämpfe mit Sportgeräten der Gewichtsklasse der Aktiven bestritt. Als aber die Einladung für den Mehrkampf in Götzis eintraf, wusste ich, dass ich es geschafft hatte. Dieses Meeting ist vergleichbar mit der Champions League im Fussball.
Nach Götzis folgten weitere Höhepunkte wie die Silbermedaille und der Schweizer Rekord bei den Europameisterschaften in Grosseto und die Weltmeisterschaften in London. Waren sie überrascht über diesen Saisonverlauf?
Ich war selber überrascht und hätte nicht erwartet, dass ich eine derart gute Form besitze. Natürlich wollte ich, wenn möglich, an der WM starten, aber daran habe ich zu Beginn des Jahres nicht gedacht. Dass ein Highlight aufs nächste folgte, war genial. Es hat einfach vieles zusammengepasst. Ich achtete zudem auch darauf, dass die Regeneration nicht zu kurz kam. Gleichzeitig bin ich dankbar für die Unterstützung von meiner Familie, den Trainern und Sponsoren. Ihre Hilfe ist nicht selbstverständlich.
Ist eine Karriere als Profisportlerin für Sie ein Thema?
Ich möchte diesen Weg einschlagen, aber nicht zu 100 Prozent. Ich brauche die Abwechslung durch die Arbeit, das macht mir Spass. Es ist ein guter Ausgleich, nach einem harten Training am nächsten Tag bei der Arbeit den Kopf abzuschalten. Ein Alltag nur mit Sport wäre mir zu langweilig. Zudem ist es in der Schweiz leider nicht so einfach, als Einzelsportlerin in der Leichtathletik den Profi-Status zu erreichen.
Das ausführliche Interview lesen Sie in der Printausgabe der Schweiz am Wochenende. Hier gibts ein Video zu Géraldine Ruckstuhls Aufstieg.