Ein Sprung ins kalte Wasser vor der eigenen Haustüre

«Für mich ist es eines der wichtigsten, wenn nicht gar das wichtigste Rennen in diesem Jahr», sagt Joel Roth vor den Schweizer Mountainbike-Meisterschaften, die von morgen Freitag bis am Sonntag in Gränichen in unmittelbarer Nähe zum Kieswerk und Bikepark ausgetragen werden. Es ist weniger der Heimvorteil, der den 21-jährigen Kölliker vorfreudig auf das kommende Wochenende blicken lässt, sondern der Wettkampf an sich. Wegen der Corona-Pandemie wurde die diesjährige Weltcupsaison auf einen Austragungsort zusammengestrichen: Im tschechischen Nove Mesto sollen zwischen dem 29. September und 4. Oktober zwei Rennen stattfinden.

Im Anschluss an den Doppelevent figurieren die Weltmeisterschaften in Leogang (Ö) und die Europameisterschaften an einem noch zu definierenden Ort im Kalender. «Bei nur zwei Weltcuprennen frage ich mich, ob eine WM oder EM überhaupt Sinn macht», sagt Joel Roth. Das Mitglied des RC Gränichen ist deshalb froh, «dass mein Verein die Verantwortung übernommen hat, die Schweizer Meisterschaften zu organisieren».

Noch gibt es das eine oder andere Fragezeichen
Beim Start vor heimischer Kulisse hat Joel Roth hohe Ambitionen. Nichts weniger als den Titelgewinn in der Kategorie U23, die am Sonntag ab 14.45 Uhr gemeinsam mit der Elite die sieben Runden in Angriff nimmt, strebt er an. «Vor einem Jahr wurde ich auf der gleichen Strecke Zweiter hinter Filippo Colombo, der nun bei der Elite fährt», sagt Roth. Die Heim-SM ist für den gelernten Koch nach der unerwarteten Wettkampfpause aber ein Sprung ins kalte Wasser: «Ich war nie krank, habe super trainiert und fühle mich gut. Trotzdem habe ich keine Ahnung, wo ich stehe.»

Der sechste Platz auf Stufe Elite beim verspäteten Swiss-Bikecup-Auftakt am letzten Wochenende in Leukerbad dürfte Roth aber sehr positiv stimmen, zumal kein U23-Fahrer schneller unterwegs war als der Aargauer.

Wie viele andere Profisportler ist auch Joel Roth froh, dass in seinem Beruf die Normalität Schritt für Schritt zurückkehrt. Die besonderen Umstände im Frühling waren für ihn vor allem zu Beginn des Lockdowns nicht einfach zu ertragen. «Im März und April habe ich mich schon gefragt, für was ich eigentlich trainiere», gibt Joel Roth, der letzten Herbst zum Biketeam Solothurn wechselte, zu. Auch dank des schönen Wetters habe sich seine «Unlust» aber rasch gelegt. «Ich ging jeweils einfach raus und fuhr vier bis fünf Stunden ohne konkretes Ziel», erzählt Roth und ergänzt: «Ich trainiere schliesslich nicht, weil ich muss, sondern weil ich gerne mit dem Mountainbike unterwegs bin.»

Wegen der fehlenden Wettkämpfe entwickelte sich bei Roth gleichwohl ein anderer Rhythmus als während einer üblichen Saison – mit einem positiven Nebeneffekt. «Meine Wochenenden konnte ich auf einmal wie jeder andere 21-Jährige gestalten», sagt Roth. Erst seit eineinhalb Monaten, als die ersten Rennen fixiert wurden, sieht sein Training wieder strukturierter aus.

Im schwierigen Frühling zur Gelassenheit gefunden
Mittlerweile bringt Joel Roth diese Ungewissheit nicht mehr aus der Ruhe. «Natürlich habe ich die Rennen vermisst», sagt er, «ich hatte aber keine Probleme damit, mich anderweitig zu beschäftigen.» Ohnehin sei die Erkenntnis, dass es im Leben Wichtigeres gäbe als den Sport, hilfreich für den weiteren Karriereverlauf. «In den Nachwuchskategorien stehen die Athleten manchmal sehr nervös an der Startlinie, weil es ihrer Ansicht nach das wichtigste Rennen ist. Ich sehe das nicht mehr so eng», sagt Roth.

Das bedeutet allerdings nicht, dass sein Erfolgshunger gestillt ist. Sowohl an der EM wie auch an der WM strebt Joel Roth eine U23-Medaille an. Wegen des vagen Stands der Dinge will er sich aber nicht zu stark auf die zwei Wettbewerbe fixieren. «Ich mache mir nicht zu viele Gedanken, was alles auf mich zukommen könnte und was nicht», sagt Roth. Ein Rezept, das sich auch in einer coronafreien Zeit bewähren dürfte.