
Ein unscheinbarer Stein sorgt für Entdeckungen «ennet des Jordans»
Wer aus dem luzernischen St. Urban oder aus dem bernischen Roggwil durch den Boowald ins aargauische Vordemwald fährt, achtet kaum auf ihn. Unscheinbar und fast etwas verloren steht der Dreiländerstein am Strassenrand, in Sichtweite des ehemaligen Klosters St. Urban. Er hat dem neuen Buch von Rudolf Baumann den Namen gegeben: «Geschichte(n) rund um den Dreiländerstein». Ein 314 Seiten starkes Buch, das Geschichten und Sagen aus dem Grenzgebiet der Kantone Bern, Luzern und Aargau enthält.
Religionsgrenze, Dialektgrenze, Jasskartengrenze und neuerdings wieder Bildungsgrenze – Aargauer und Luzerner Kinder lernen Frühenglisch, Berner Kinder Frühfranzösich – es gibt viel Trennendes im Dreikantoneeck. Es ist ein Verdienst von Rudolf Baumann, dass er in seiner nunmehr zwölften Publikation die Geschichte und Geschichten der drei Landstriche rund um den Grenzstein gleichwertig aufgreift. Der mit der Geschichte des Oberaargaus bestens vertraute Baumann ist bei seinen Nachforschungen über den «Jordan», wie die Luzerner die Grenze, die die Rot zieht, nennen, hinaus gegangen, hat historisch interessierte Personen in den beiden Nachbarkantonen angesprochen und diese um Texte, Stiche und Skizzen angefragt. 41 Helferinnen und Helfer haben ihm Material und Anregungen geliefert. «Die Vielfalt und die Farbigkeit des Luzerner Teils waren mir in dieser Form bisher nicht bekannt und haben mich fasziniert», sagt Baumann.
Zihlmann, Schmid, Bucher
Gestossen ist Baumann unter anderem auf den Nachlass des Luzerner Hinterländer Mundartforschers und Schriftstellers Josef Zihlmann (1914–1990). Während dieser für kulturinteressierte Luzerner bis heute prägend ist, sind seine Werke im angrenzenden Bernbiet und Aargau kaum bekannt. Besonders wertvoll waren Baumann die Kontakte zu Ruedi Schmid (Vordemwald) und Hans Scheibler (Brittnau) für den aargauischen Teil, beziehungsweise zum heute über 90-jährigen Josef Bucher, aus dessen vergriffenem Buch «Sagenhaftes Hinterland» er zahlreiche Passagen und Sagen übernehmen durfte, für den luzernischen Teil.
Während das nun erschienene Buch keine weiteren Sagen mehr aus dem Bernbiet enthält – diese sind im 2011 erschienenen Buch «Sagen aus dem Oberaargau» versammelt – verwebt Rudolf Baumann die Passagen aus dem bernischen Teil immer wieder mit Erinnerungen aus der eigenen Jugendzeit. Die Spaziergänge vom Elternhaus an der Aarwangenstrasse zu den Wässermatten, die Sonntagsspaziergänge ins «Chauteli» oder ins «Bedli» werden mit der Lokalgeschichte verwoben und so für Leserinnen und Leser erlebbar gemacht.
Einst Kieferorthopäde
Das Interesse an der Vergangenheit begleitet Rudolf Baumann schon lange. Aufgewachsen ist er im heutigen Trummlehus, das der berühmte Architekt Hector Egger für seinen Vater Max Baumann (1907–1998) als Wohnhaus und Arztpraxis erstellte und das zur Zeit seiner Errichtung noch am Stadtrand von Langenthal lag. Am selben Ort wirkte Baumann viele Jahre als Kieferorthopäde.
Mit 50 Jahren musste er seine Arbeitstätigkeit wegen Problemen mit der rechten Hand auf 50 Prozent reduzieren und war fortan auch als Schulleiter in der Ausbildung von Zahnarztgehilfinnen tätig. «Mit 60 Jahren habe ich meine Praxis übergeben. Da hatte ich dann plötzlich ganz viel freie Zeit – und in dieser Situation war die Geschichte mein Antidepressivum», bemerkt Baumann lachend.
Neue Ideen gedeihen
Begonnen hat die Sammeltätigkeit Baumanns ursprünglich mit Trommeln. «Ein wahnsinnig guter Ausgleich zur minutiösen Arbeit des Kieferorthopäden», wie er selber vermerkt. Auch die ersten beiden Publikationen thematisierten die musikalischen Rhythmusinstrumente.
1984 fand im Trummlehus die erste, ab 1995 regelmässig Ausstellungen statt, Ende 2013 wurde die Ausstellungstätigkeit definitiv eingestellt. Publizieren will Baumann aber weiterhin – Ideen für ein nächstes Werk sind schon ziemlich weit gediehen. «Zu meinem 75. Geburtstag plane ich eine Faksimile-Ausgabe mit Emmentaler Sagen», verrät Baumann. Das Thema lässt den umtriebigen Sammler offensichtlich noch nicht ganz los.
Rudolf Baumann: Geschichte(n) rund um den Dreiländerstein (2017). – ISBN: 978-3-905817-86-7. – Preis: 47 Franken.
Rudolf Baumann: Sagen aus dem Oberaargau (2011). – ISBN: 978-3-905817-31-7. Preis: 28 Franken.
