Empörung!

«Toleranz ist ein anderes Wort für Feigheit» und später: «Diese Vorschriften, political correctness genannt, entstanden im linken Milieu amerikanischer Universitäten und sind mittlerweile zu einer auch hierzulande grassierenden Seuche geworden»: Das schreibt der Schriftsteller Thomas Hürlimann in einer letzthin publizierten, nicht gehaltenen 1.-August-Rede. Hürlimann stammt aus einer CVP-Familie und ist meiner Meinung das beste Beispiel dafür, wie das Wutbürgertum nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Ehrlich gesagt: Von einem, der Philosophie studiert hat, als Produktionsdramaturg tätig war, jetzt erfolgreicher Schriftsteller ist und der von seinem Onkel einst als «verwöhntes Herrensöhnchen» betitelt worden ist, lasse ich mir keinen moralischen Kompass verpassen. Nein. Für mich schon fast unerträglich die Rhetorik Hürlimanns: Mit «Zu Tells Zeiten, als die Verschwörer ihre drei Finger zu den glänzenden Sternen gereckt haben, war das Zeichen der Diktatur, Gesslers Hut, für alle sichtbar» oder dem Bezugnehmen auf die «Väter» macht Hürlimann keinen Hehl, wessen Gesinnung er frönt.

Nein, ich bin nicht dagegen, dass man seine Meinung kundtut. Thomas Hürlimann soll das auch weiterhin tun, auch wenn ich seine Ansichten nicht teile. Wenn man aber aus einem verqueren Geschichtsbild und Pauschalisierungen eine wutbürgerähnliche Tirade lostritt, dann empöre ich mich. Ich empöre mich darüber, dass Hürlimann mit einer Argumentation Freiheit und den Verlust von Anstand praktisch gleichsetzt. Ich behaupte: Toleranz ist kein Schimpfwort. Toleranz hat man, wenn die hoffentlich genossene Erziehung humanistisch war und die Moral intakt ist. Intoleranz scheint heute leider en vogue zu werden. Das ist beängstigend. Gleichzeitig tolerant zu sein und dennoch Grenzen zu setzen ist möglich – scheint aber fast eine Kunst geworden zu sein.

Die Kunst wäre es auch, dem Andersdenkenden zuzuhören. Wenn Herr Hürlimann will, kann ich ihm meine Sicht der Dinge auch bei einem Bier darlegen.