
«Es geht um einen egoistischen Machtpoker»: SVP-Präsident Marco Chiesa kontert die Attacke von CVP und SP
SP und CVP attackieren die SVP zurzeit hart. Sie tue alles, um die Entwicklung zu einem Regierungs- und Oppositionssystem voranzutreiben, sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister. Ist die SVP noch regierungsfähig?
Marco Chiesa: Natürlich. Es geht hier um einen egoistischen Machtpoker von Gerhard Pfister. Die CVP hat Angst, ihren letzten Bundesratssitz zu verlieren. Sie ist unter Druck. Pfister lenkt von seinen eigenen Problemen ab. Die CVP hat in den letzten 30 Jahren mehr als einen Drittel ihres Wähleranteils verloren, sie fiel zwischen 1991 und heute von 18 auf 11,4 Prozent. Und jetzt gibt die CVP mit dem C auch noch die eigenen Werte auf. Damit sind viele nicht einverstanden.
SP-Präsident Christian Levrat sagt sogar, es stelle sich die Frage, ob der SVP weiterhin zwei Sitze im Bundesrat zustehen.
Auch Christian Levrat ist verzweifelt und hat Angst, Macht zu verlieren. Die SP hat mit den Grünen einen ernsthaften Konkurrenten ins eigene Haus bekommen. Die grüne Welle hat die Grünen modern und die SP altmodisch gemacht. Der Wähleranteil der SP sank seit 2003 von 23,3 Prozent auf 16,8 Prozent. In ihrer ganzen Geschichte stand die SP nie so schlecht da. Aber Levrat schiesst offenbar lieber auf die SVP.
Arithmetisch betrachtet müssen drei Parteien – CVP, SP und FDP – Angst um einen Bundesratssitz haben.
Um was geht es? Wir haben in der Schweiz eine Konkordanz-Regierung. Das heisst, die drei grössten Parteien haben zwei Sitze im Bundesrat und die viertgrösste hat einen. Die SVP steht zur Konkordanz. Sie sorgt für Stabilität und sie sorgt dafür, dass die wichtigsten Meinungen im Land auch in der Regierung vertreten sind. Die Grünen werden 2023 – sofern sie den Erfolg von 2019 wiederholen können – erneut einen Bundesratssitz einfordern. Die SVP ist mit Abstand die grösste Partei. Ihr stehen zwei Sitze zu. Alle anderen haben heute ein Problem.
Speziell die CVP hat ein Problem?
Ja. Mit Bundeskanzler Walter Thurnherr hat die CVP sogar einen «zweiten» Vertreter in der Regierung. Die Fusion mit der BDP zur «Mitte» soll diese Sitze retten. Doch wofür steht die «Mitte»? Die CVP verzichtet auf ihre christlichen Wurzeln. Und sie greift die Konkordanz an, um ihre Macht zu retten. Dabei war es die CVP, die 1959 die Konkordanz als «Zauberformel» erfunden hat. Was würden wohl die politischen Vorfahren von Gerhard Pfister zu seinem Verrat sagen?
Die CVP will der SVP in den grossen reformierten Kantonen Wähler abjagen.
Sie könnte aber auch konservative Wähler verlieren. Noch im Januar 2019 sagte Pfister, die CVP sei die letzte Stütze der Konkordanz. Er attackierte alle anderen Parteien. Jetzt hat er gedreht und verbündet sich mit der SP gegen die Konkordanz. Ist das die neue «Mitte»? Man sagt, was einem gerade in den Kram passt? CVP und SP haben 2007 mit der Abwahl von Christoph Blocher schon einmal eine Phase der Instabilität verursacht.
Marco Chiesa bei seiner Wahl an der Delegiertenversammlung in Brugg mit Ex-Präsident Albert Rösti. © Ennio Leanza/Keystone (Brugg, 22.8.2020
Trotzdem: Die SVP ist die grösste Partei, hat zwei Bundesräte. Sie ist meist isoliert, ist nicht interessiert an Lösungen mit anderen Parteien. Weshalb?
Wir vertreten im Parlament unsere Überzeugungen und unsere Wähler. Wie alle anderen auch. Leider stimmen CVP und FDP zu oft mit den Linken und Grünen. Wer nicht einverstanden ist mit einem Entscheid des Parlaments, kann via Referendum oder Initiative die Bevölkerung befragen. Dieses Erfolgsmodell der Schweiz funktioniert sehr gut.
Sie weichen also keinen Millimeter ab?
Das ist nicht wahr. In unserer Partei gibt es sehr wohl unterschiedliche Sensibilitäten. Die welschen Sektionen befürworteten zum Beispiel den Vaterschaftsurlaub. Das ist Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Und das ist gut so. In den Kernpunkten wie Souveränität und Unabhängigkeit der Schweiz und Steuern und Abgaben weichen wir aber nicht ab. Ich möchte, dass sich die SVP weiterhin konsequent für unseren Mittelstand einsetzt.
Wo können Sie sich Lösungen mit anderen Parteien vorstellen?
Wir sind gerade daran, mit der CVP und der FDP eine Lösung zu finden bei der AHV. Auch bei der zweiten Säule und beim Rahmenabkommen kann ich mir das vorstellen. Da thematisieren inzwischen auch CVP und Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann, wie wichtig die Souveränität für unser Land ist. Das freut mich. Ich hoffe aber, dass Pfister nicht wieder seine Haltung ändert.
SVP-Bundesrat Ueli Maurer verletzt immer wieder das Kollegialitätsprinzip, zuletzt mit dem T-Shirt «Die verfluchten Vögte sind wieder im Land» zur Begrenzungsinitiative.
«Tell wo bist du? Die verfluchten Vögte sind wieder im Land»: Bundesrat Ueli Maurer posiert mit Ex-SVP-Präsident Toni Brunner.
© zvg/Facebook
Ich mag Bundesräte, die ihr Herz sprechen lassen. Ueli Maurer ist nicht der erste, der das tut, und er wird auch nicht der letzte sein. Maurer machte allerdings keinen Abstimmungskampf.
Sie sind eineinhalb Monate Präsident der SVP – und die Partei hat mit Nationalrat Peter Keller bereits einen neuen Generalsekretär. Weshalb?
Der Parteileitungsausschuss wollte einstimmig etwas Langfristiges aufbauen. Das können wir mit Peter Keller. Er ist jünger als Emanuel Waeber, wird sehr geschätzt und denkt sehr klar. Emanuel Waeber bleibt dem Generalsekretariat mit seinem Know-how aber erhalten.
Wo wollen Sie noch ansetzen?
Wir müssen enge Beziehungen mit unseren Kantonalsektionen aufbauen. Gleichzeitig müssen wir uns auf Abstimmungen zum EU-Rahmenabkommen und zum CO2-Gesetz vorbereiten. Zudem sollten wir unbedingt Lösungen finden bei der AHV und der Pensionskasse.
Wollen Sie die Themenbereiche der SVP ausweiten?
Die stets steigenden Gesundheitskosten sind für mich ein Thema. 2006 betrugen sie 54 Milliarden, heute 84 Milliarden. Wir sollten einen neuen Toni Bortoluzzi für das Gesundheitswesen finden.
An wen denken Sie?
Der Input könnte von den Kantonen kommen. Wir haben sieben Regierungsräte, die für das Gesundheitswesen zuständig sind. Sie spüren die realen Probleme sehr gut. Hier haben wir Kompetenzen, die wir gebrauchen können.
Christoph Blocher wurde 80 Jahre alt. Er zieht sich aus der Partei zurück. Haben Sie nun freies Feld?
Nein, nein. Es gab eine Partei vor Christoph Blocher und es wird eine Partei nach ihm geben. Ich bin aber sehr froh, wenn ich Einschätzungen von Christoph Blocher einholen kann.
Sie haben einen engen Draht zu Magdalena Martullo?
Ja, das stimmt. Wir waren Vizepräsidenten und im Parteileitungsausschuss der SVP. Magdalena Martullo ist eine eigenständige Frau und erfolgreiche Unternehmerin. Sie ist nicht einfach Botschafterin ihres Vaters. Sie wird sehr geschätzt, weil sie ihre eigenen Meinungen einbringt.
Sie ist sehr wichtig für Sie?
Ja. Das ist aber der ganze Parteileitungsausschuss. Schauen Sie sich seine Mitglieder an: Wir haben von der Malermeisterin über den Landwirten bis zum IT-Unternehmer alles dabei. Wir sind Volkspartei.
Wie viele Wählerprozente wollen Sie 2023 gewinnen?
Wir müssen nicht über Prozente reden, sondern wofür die SVP steht. Wir machen Politik für die vielen fleissigen Leute im Land, die Verantwortung übernehmen in ihrem Beruf und privat. Wir stehen für die Schweiz ein. Wir wollen uns nicht mit einem Rahmenabkommen der EU unterwerfen. Wir wollen eine sichere Schweiz, dazu gehört auch eine sichere Altersvorsorge. Wir stehen zur Konkordanz. Wir müssen mit unserer Politik die Menschen überzeugen, dann wählen sie auch SVP. Es haben mehr als 1,2 Millionen Schweizerinnen und Schweizer für unsere Begrenzungsinitiative gestimmt!