Es guets Neus!

Noch heute werde ich daran erinnert, dass ich vor 18 Tagen alleine zu Hause auf dem Balkon stand und mir das Feuerwerk angeschaut habe. «Guets Neus», sprach gestern eine Frau ins Handy, völlig selbstverständlich in der Betonung, als wäre es nicht ungefähr zwei Wochen zu spät für ein solches Grusswort. Aber wahrscheinlich steht auch ihr Christbaum noch in der Stube – die letzten Nadeln an sich klammernd. Item. So weit, so guets Neus.

Worauf ich aber hinaus will, ist, dass ich wie bereits erwähnt vor 18 Tagen alleine zu Hause geblieben bin. Aus Trotz. Die einzige Rebellion, zu der ich fähig bin. Ich mag dieses Silvester-Theater nicht. Guete Rutsch, guets Neus, guet Nacht. Die Erde hat sich wieder mal um die Sonne gedreht – zum milliardsten Mal, ohne Komplikation, ohne, dass die Erde aus der Bahn geflogen wäre, ohne, dass sie kurz innehalten würde wie der Zeiger der SBB-Uhr. Dieses unspektakuläre Ereignis würdigen – geschenkt!

Ich blieb also lieber alleine zu Hause und guckte «Crocodile Dundee II». Würde dieser australische Krokodil-Jäger Silvester feiern? Nichts läge ihm ferner. Nach eineinhalb Stunden verschwindet «Dundee» aber leider wieder aus meinem Leben und ich finde mich alleine vor einem Bildschirm wieder. Da bin nur ich und die Uhr: 23.45. Zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen und nach draussen zu gehen, Freunde zu sehen und «es Guets Neus» zu wünschen. Möglicherweise würde ich dann nämlich um Mitternacht in einem leeren Bus feststecken, was eine merkwürdig intime Atmosphäre zwischen mir und der Bus-Chauffeurin darstellen würde. Ich bleibe lieber zu Hause. Als ich um Mitternacht auf den Balkon trete und in Richtung Innenstadt blicke, erwischt mich dann doch das innere Feuerwerk des Selbstmitleids. Ganz alleine, so traurig – an Silvester! Bin ich asozial oder einfach alt geworden? Ich male mir aus, wie ich in diesem Augenblick mit eiskalten Händen andere Menschen unbeholfen umarmen könnte. «Es guets Neus.» Worte, die über die Lippen gleiten würden wie ein Lastwagenfahrer im Tempomat über die Autobahn. Angewidert von diesen Gedanken lege ich mich ins Bett und entdecke einen Artikel über das neue Jugendwort: JOMO – The Joy of missing out. Übersetzt: die Freude, etwas auszulassen. Ich bin also nicht alt – im Gegenteil. Und «es guets Neus» kann ich aus Höflichkeitsgründen später noch allen wünschen. Also: es guets Neus!