
«Es ist eine Katastrophe»: Den Hebammen fehlen in der Coronakrise Hygienemasken und Handschuhe
«Es ist eine Katastrophe»: Andrea Weber-Käser findet deutliche Worte zur aktuellen Lage ihrer Berufskolleginnen. Weber-Käser ist Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbands (SHV) – und besorgt über den «gravierenden Mangel an medizinischer Schutzausrüstung». Was Handschuhe und Hygienemasken angehe, seien viele Hebammen schlechter ausgerüstet als Privatpersonen.
Die privat angelegten Vorräte der ausserhalb der Spitäler arbeitenden Hebammen an Hygienemasken, Schutzanzügen und Handschuhen gingen zur Neige oder seien aufgebraucht. Material aus den Lagerbeständen der Kantone, die teilweise mit Material von Bund und Armee aufgestockt worden sind, hätten die Hebammen trotz mehrerer Hilferufe bei Kantonsärzten, Gesundheitsdirektoren und Kantonsapothekern während mehreren Wochen nicht erhalten.
«Immer hiess es, es sei kein Material vorhanden für uns», sagt Weber-Käser. Unterdessen haben die meisten Kantone den Hebammen zwar Schutzmasken aus kantonalen Beständen versprochen – oder auch schon in kleiner Stückzahl abgegeben, abhängig von der Verfügbarkeit allerdings. In den meisten Kantonen sind dies 50 Stück Einweg-Hygienemasken aus Papier pro Hebamme. Desinfektionsmittel und Schutzanzüge, die vor allem für Besuche bei positiv auf Covid-19 getesteten Frauen unabdingbar wären, sind praktisch flächendeckend nicht verfügbar.
Einzelne Sektionen des Verbandes haben laut Weber zu überhöhten Preisen Masken für die Hebammen eingekauft und sich im Baumarkt mit Schutzanzügen ausrüsten müssen. Unterdessen steht der SHV mit einer Privatfirma in Kontakt, die Schutzmaterial direkt aus China importieren und den Hebammen zur Verfügung stellen will.
Spitäler und Hausärzte haben Priorität
«Wir werden aktuell von vielen Seiten mit Fragen und grossen Bedenken zur Versorgung von Schutzmaterialien angegangen», sagt Rudolf Hauri, der Präsident der Vereinigung der Kantonsärzte. Ihm und seinen Kollegen sei es ein Anliegen, «dass alle Gesundheitsberufe, die zur Bewältigung der Coronavirus-Pandemie beitragen, geschützt werden.»
Vor dem Hintergrund der knappen Schutzmaterialien müsse die Zuteilung von Schutzmaterialien wie Masken streng priorisiert werden, führt Samuel Steiner aus, der Präsident der Kantonsapothekervereinigung: «An erster Stelle stehen die Gesundheitsfachpersonen in den Spitälern, die die Covid-19-Patienten behandeln und pflegen. Gleiche Priorität haben Hausärztinnen und Hausärzte, die Coronavirus-Tests durchführen, und Gesundheitsfachpersonen der Spitex-Organisationen und Pflegeheime.»
Mütter gehen früher nach Hause
Diese Antworten stellen Andrea Weber-Käser vom Hebammenverband nicht zufrieden. Die mangelnde Ausrüstung der Hebammen sei medizinisch nicht verantwortbar: «So wie wir momentan arbeiten müssen, verbreiten wir das Virus potenziell weiter.» Aufgrund des Besuchsverbots in den Spitälern, das vielerorts auch für die Väter gilt, gingen die Mütter früher nach der Geburt nach Hause als üblich. Dort führten die Hebammen körperliche Untersuchungen bei Mutter und Kind durch, bei denen das «Social Distancing» nicht einzuhalten sei. «Im Spital werden sie von Ärzten und Pflegepersonal in kompletter Schutzausrüstung versorgt. Dann kommen die Frauen nach Hause und wir Hebammen haben überhaupt kein Material», sagt Andrea Weber: «Das sorgt natürlich für Verunsicherung.»
Bei der Verteilung von Schutzmaterial hat das Spitalpersonal Priorität: Eine Hebamme hält im Zürcher Triemli-Spital ein Neugeborenes (Archivbild 2016).
© Keystone/Gaëtan Bally
Theoretisch könnten Hebammen mit unzureichendem Schutzmaterial tatsächlich zur Ausbreitung des Coronavirus beitragen, pflichtet Mark Witschi vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei. Allerdings wüssten sie, wie sie sich richtig zu verhalten haben, um das Infektionsrisiko zu minimieren. «Hinzu kommt dass die Hebammen bei ihrer Arbeit meistens nicht mit Angehörigen der Risikogruppen zu tun haben.» Das sei bei Spitex- und Altersheimpersonal anders. Doch Witschi anerkennt, dass man bei der Versorgung der Hebammen – wie bei anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen auch – nach bewältigter Coronakrise über die Bücher müsse: «Das werden wir uns gemeinsam mit den Kantonen und den Berufsverbänden in Ruhe anschauen müssen.»
Finanzierungslösung für Telefonberatung gefordert
Doch aktuell müssen die Hebammen mit jenem Material auskommen, das ihnen zur Verfügung steht. Wie alle Gesundheitsfachpersonen seien auch die Hebammen gehalten, auf alle nicht zwingend notwendigen, nicht verschiebbaren Dienstleistungen und Behandlungen zu verzichten, sagt Kantonsapotheker Samuel Steiner: «Das heisst, dass leider auch bei der Wochenbettbetreuung nur noch das Notwendige gemacht werden darf, was bei einer Unterlassung zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Mutter oder des Neugeborenen führen würde.»
Deshalb setzen die Hebammen bereits heute vermehrt auf Beratungen via Telefon und Videoanrufe. Doch hier sei die Abrechnung über die Versicherung nicht gegeben, ebenso wie beim auf eigene Kosten besorgten Schutzmaterial, kritisiert Andrea Weber-Käser. Der Hebammenverband sei vor drei Wochen bei seinen Tarifpartnern vorstellig geworden und habe eine Übergangslösung für die Pandemielage eingereicht. «Lange haben wir überhaupt nichts gehört, dann sind wir ans BAG weiterverwiesen worden.» Ein Sprecher bestätigt, dass am Dienstag eine direkte Anfrage des SHV eingegangen sei, in der verschiedene Anträge zu den Abrechnungsmöglichkeiten unterbreitet werden. Diese werden geprüft und auch mit den Versicherern Rücksprache genommen: «Eine Beurteilung dürfte in den nächsten Tagen vorliegen.»
In Deutschland und Österreich haben die Behörden, die Vertragspartner und die Hebammen bereits unbürokratische Finanzierungslösungen gefunden, sagt Andrea Weber-Käser: «In der Schweiz stehen wir Hebammen leider täglich vor der schwierigen Entscheidung, ob wir unsere Klientinnen im Stich lassen und keine Leistung mehr erbringen sollen oder für unsere Arbeit nicht entschädigt werden. Wir hoffen wirklich auf eine baldige unbürokratische Lösung.»