
FCA-Präsident Philipp Bonorand: «Die Lage ist ernst»
Vor einem Jahr war Corona erstmals der Absagegrund eines Fussballspiels. Seither hat die Pandemie den Sport fest im Griff. Und: Seither führt der einheimische Unternehmer Philipp Bonorand den FC Aarau. Erst als operativer Leiter im Auftrag von Vorgänger Alfred Schmid, ehe er am 22. September 2020 zum Präsidenten gewählt wurde.
Dauerthema Corona, im Sommer die Entlassung von Trainer Patrick Rahmen, der Sparkurs verbunden mit der Umwälzung der sportlichen Strategie: vom Auffangbecken für Altstars zum Ausbildungsklub mit dem Ziel Super League. Der 40-jährige Bonorand hat in einem Jahr an der FCA-Spitze erlebt, wofür andere eine ganze Amtszeit brauchen.
Sie sind seit Kindesbeinen FCA-Fan und Gründungsmitglied eines Fanklubs – wie einfach oder schwer fiel Ihnen der Rollenwechsel vom Fan zum Präsidenten?
Philipp Bonorand: Das Bild, auf dem ich von der Fankurve direkt ins Präsidentenbüro wechsle, ist überzeichnet. Bereits von 2000 bis 2008 war ich in mehreren Funktionen für den FCA tätig, unter anderem als Mitglied der ersten Geschäftsleitung der Aktiengesellschaft. Die Zeiten, in denen ich mitten in der Fankurve stand und an jedes Auswärtsspiel mitreiste, sind aus Alters- und Berufsgründen schon länger vorbei.
Ist es Vor- oder Nachteil, wenn der Präsident gleichzeitig Fan ist?
Nicht nur die Fans, auch alle Sponsoren und Gönner identifizieren sich stark mit dem Verein und zeigen das mit verschiedenen Arten der Unterstützung. Würde der Präsident die Identifikation nicht vorleben, würde das Konstrukt FC Aarau ziemlich schnell implodieren. Bei einem Verein hingegen, der im Geld schwimmt und schnellen sowie maximalen Erfolg will, ist eine emotionale Distanz vielleicht sogar nötig, um unpopuläre Entscheide zu fällen.
Ihr Vorgänger hat trotz Angeboten nie mit dem Gedanken gespielt, die Aktienmehrheit an eine Einzelmarke zu verkaufen. Gilt das auch für Sie?
Unter meiner Führung wird der FC Aarau breit abgestützt sein. Auf meinen Wunsch hin ist dies im vergangenen Jahr auch so in die Klubstatuten aufgenommen worden. Sollten indes grosse Einzelaktionäre und die wichtigsten Gönnervereinigungen Club 100 und White Socks plötzlich einen Kurswechsel à la GC oder Lausanne wollen, dann wäre ich nicht mehr der richtige Mann und würde als Präsident zurücktreten.
Gab es in Ihrer Amtszeit schon Anfragen für eine Übernahme?
Im Dezember haben wir Sondierungsgespräche mit einem Klub aus der Bundesliga geführt. Eine Kooperation auf sportlicher und wirtschaftlicher Basis hätten wir uns vorstellen können. Da die andere Partei aber auf die Übernahme von mindestens 51 Prozent der Aktien pochte, haben wir die Gespräche schnell abgebrochen.
Eine Übernahme hätte Sie auf einen Schlag erlöst von den finanziellen Problemen, die Corona ausgelöst hat. Darum die Frage: Wie gross ist bislang der Schaden?
Im Geschäftsjahr 2020 haben wir ein Minus von knapp einer halben Million Franken erwirtschaftet. Das schmerzt, ist aber weniger schlimm als befürchtet. Der Verkauf von Yvan Alounga nach Luzern (rund 500000 Franken; d. Red.) und die zwei Monate Kurzarbeitsentschädigungen haben geholfen. Durch Corona waren wir auch gezwungen, Alltagskosten zu senken. Insgesamt war 2020 die Lohnsumme zehn Prozent tiefer als im Vorjahr, obwohl wir wegen der verlängerten Meisterschaft und der laufenden Verträge erst ab Herbst Korrekturen vornehmen konnten. 2021 werden uns die Lohneinsparungen bei der Profiabteilung noch viel deutlicher entlasten.
Hat die FC Aarau AG genug Reserven, um die halbe Million Verlust zu decken?
Die Rückstellungen belaufen sich auf gut 700000 Franken, einen Teil davon werden wir auflösen. Bisher sind wir mit einem blauen Auge davongekommen, doch die Lage ist ernst.
Wie lange kann der FCA ohne Matcheinnahmen noch überleben?
Die À-fonds-perdu-Beiträge vom Bund für entgangene Ticketverkäufe sind eine grosse Hilfe. Wir gehen davon aus, dass wir seit Ende Oktober pro Heimspiel rund 40000 Franken erhalten, solange keine Zuschauer erlaubt sind. Sollten in der kommenden Saison die Zuschauereinschränkungen weiterhin gross sein und es keine Unterstützungsbeiträge mehr geben, müssten wir beim FC Aarau grundsätzlich über die Bücher. Eine Option wäre etwa eine Aktienkapitalerhöhung. Doch davon gehe ich aktuell nicht aus.
2020 betrug der durchschnittliche Spielerlohn in der Challenge League 3800 Franken. Wie hoch ist er beim FC Aarau?
Seit dieser Saison deutlich näher bei 5000 als bei 10000 Franken, dies inklusive allfälliger Spesen oder mitfinanzierter Wohnungen und Autos. Fussballer haben übrigens auch keinen dreizehnten Monatslohn.
Ende 2020 hat der FC Aarau im Bund ein Darlehen in Höhe von 1 Million Franken aufgenommen, um die Liquidität zu sichern. Stand der Klub vor der Zahlungsunfähigkeit?
Am Ende des alten Jahres und Anfang des neuen Jahres sind naturgemäss wegen der Winterpause die Einnahmen tief und die Ausgaben hoch, weil AHV-Beiträge, Unfallversicherungsprämien etc. bezahlt werden müssen. Sicherheitshalber haben wir uns für das Darlehen entschieden, um auf jeden Fall Zahlungsverzögerungen zu vermeiden.
Die Million muss innert zehn Jahren dem Bund zurückbezahlt werden – wie soll das gehen angesichts der angespannten Finanzlage?
Angenommen, ab der kommenden Saison herrscht wieder einigermassen Normalbetrieb, werden wir sicherlich nicht das komplette Darlehen brauchen. Innerhalb von drei Jahren wollen wir die Schulden beim Staat beglichen haben.
Abhängig ist der FC Aarau auch von der Solidarität von Saisonkartenbesitzerinnen und -besitzern, Sponsoren und Gönnervereinigungen…
Diese ist die Basis dafür, dass wir mit einem blauen Auge davongekommen sind. Bislang hat praktisch niemand Geld für die Saisonkarte zurückgefordert. Die Gönnervereinigungen haben im vergangenen Jahr sogar etwas mehr überwiesen als zuvor, weil sie weniger Geld für interne Anlässe brauchten.
Gesucht ist seit vergangenem Sommer ein neuer Hauptsponsor – einen ungünstigeren Zeitpunkt für Verhandlungen gibt es nicht.
Der vorherige Hauptsponsor unterstützt uns weiterhin, wodurch wir nicht die komplette Summe einsparen müssen. Kurzfristig ist es uns gelungen, bis Ende Saison für jeweils vier Spiele à 10000 Franken die Trikotbrust zu verkaufen. In Kürze werden wir die Gespräche mit potenziellen Hauptsponsoren wieder aufnehmen, wobei eine Prognose schwierig ist.
Themawechsel: Ist der FC Aarau auf Rang 6 sportlich dort, wo er ein halbes Jahr nach Lancierung des neuen Konzepts sein sollte?
Wir sind punktemässig im vorderen Pulk der Tabelle dabei, was der Zielvorgabe «obere Tabellenhälfte» entspricht. Abseits der Resultate ist die Entwicklung sehr erfreulich: Die einzelnen Spieler verbessern sich, die Spielanlage ist attraktiv und das Vorhaben, Talente aus dem Nachwuchs bei den Profis einzubauen, wird vom Trainerteam konsequent umgesetzt.
Auffällig ist die Wellenbewegung, auf Phasen mit sehr vielen Punkten folgen Phasen wie jene seit Jahresbeginn mit dürftiger Ausbeute.
Wichtig ist: Spieler und Trainer wissen nach jedem Spiel, warum wir gewonnen oder verloren haben. In der vergangenen Saison war auf dem Platz zu oft keine Handschrift erkennbar, weshalb wir uns unabhängig von Corona zum Trainerwechsel gezwungen sahen.
In der Winterpause lag der FCA zwei Punkte hinter dem direkten Aufstiegsplatz, was im Umfeld bereits zum Liebäugeln mit dem Aufstieg geführt hat. Klubintern auch?
Wenn Sie damit meinen, ob wir besprochen haben, das Kader kurzfristig für den Aufstiegskampf aufzurüsten: Nein, denn das widerspräche dem Grundgedanken unserer Philosophie.
Wollen Sie in dieser Saison überhaupt aufsteigen?
Der Aufstieg und die Etablierung in der Super League sind Teil unserer Vision, das «Wann» haben wir bewusst offengelassen. Wir betreiben sportlich und abseits des Fussballplatzes einen Aufbau, der nach einem Aufstieg weitergehen soll. Wenn es so weit ist, wollen wir in der Super League in allen Belangen wettbewerbsfähig sein. Wir würden uns in dieser Saison ganz sicher nicht gegen einen Aufstieg wehren, wobei die vergangenen Partien (ein Punkt in drei Spielen; d. Red.) wohl Indiz dafür waren, dass wir so kurz nach dem Umbruch noch nicht so weit sind.
Haben Spieler und Trainer Aufstiegsprämien im Vertrag?
In diesem Fall bekäme die ganze Mannschaft einen Bonus, daneben haben wir teilweise individuelle Vereinbarungen.
Und der Präsident?
Der nicht, ich bin wie der gesamte Verwaltungsrat ehrenamtlich tätig.
Zum Schluss: Kein Interview mit einem FCA-Präsidenten ohne Frage zum neuen Stadion. Seit der Abstimmung im November 2019 ist das Projekt gefühlt keinen Schritt vorwärtsgekommen, Corona hat das Thema in den Hintergrund gerückt: Klären Sie uns auf!
Zurzeit warten wir auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts zur Beschwerde gegen die BNO-Teilrevision. Dieser kann theoretisch ans Bundesgericht weitergezogen, so wie danach die erwartbaren Beschwerden gegen den Gestaltungsplan und das Baugesuch. Die sachliche Basis haben die Stadiongegner leider längst verlassen, mittlerweile geht es darum, den Baustart so lange wie möglich hinauszuzögern.
Die AZ hat 2028 als zurzeit wahrscheinliches Jahr der Stadionöffnung genannt – einverstanden?
Dies ist sicherlich das pessimistischste Szenario, aber wir müssen mit Bestimmtheit noch mit einigen Jahren Verzögerungen rechnen.
Dann wären Sie acht Jahre Präsident – zehn Jahre wollen Sie es gemäss einem früheren Interview maximal sein. Was, wenn das Stadion auch 2030 nicht steht?
Ich habe drei Wünsche, die ich in meiner Präsidialzeit gerne erleben würde: Umzug ins Torfeld Süd, Aufstieg in die Super League und, nachdem ich es letztmals als Kind erleben durfte, einmal als Präsident mit dem FC Aarau den Cupfinal bestreiten.