
FCA-Urgestein Olivier Jäckle: «Das wollen die Leute doch sehen»
Zwei Spiele, zwei tolle Auftritte des FC Aarau – doch nach dem 2:1 gegen GC und dem 1:2 gegen Luzern sprechen alle über das Verhalten von Trainer Stephan Keller. Wie ist die Mannschaft mit dem Trubel umgegangen?
Olivier Jäckle: Um das Thema herumgekommen sind wir nicht, es war ja omnipräsent. Aber in der Kabine war es zu keinem Zeitpunkt ein Thema. Wir wissen, wie Stephan tickt und dass er voller Emotionen steckt.
Was sagen Sie den Menschen, die ihn in den letzten Tagen das erste Mal wahrgenommen haben und ihn nun als Kinder anschnauzenden Rüpel und schlechten Verlierer abstempeln?
Dass sie die Kirche im Dorf lassen sollen. Stephan ist alles andere als das. Er ist selber Vater von drei Kindern, auch die Beziehung zu uns Spielern ist immer mal wieder väterlich. Harmonie ist ihm sehr wichtig, wobei in einem gesunden Miteinander auch Dinge deutlich angesprochen werden dürfen.
Würden Sie sagen, die Mannschaft geht für den Trainer durchs Feuer?
Die Stimmung ist sehr gut, gleichzeitig herrscht eine Leistungskultur – das ist der Verdienst des Trainers und seiner Mitarbeiter. Wir haben viele junge und wilde Spieler, da braucht es auch einen Trainer mit einer Prise Verrücktheit. Keller lässt auch Gegenmeinungen zu, ohne dass derjenige gleich auf der Tribüne landet. Und er hat ein gutes Gespür für den Gemütszustand von uns Spielern.
Mit Stephan Keller ist auch der sportliche Unterhaltungsfaktor gestiegen: Der FC Aarau hat in 32 Partien 57 Tore erzielt und 52 kassiert.
Das ist doch, was die Leute sehen wollen! Für unseren Trainer gibt es nur den Weg nach vorne. Motto: Solange wir den Ball haben, können wir kein Tor kassieren. Es gibt Trainer, die lassen vor allem das Defensivverhalten trainieren und überlassen das Toreschiessen der individuellen Klasse der Offensivleute. Wir haben auch starke Einzelkönner, aber es ist alles andere als Zufall, dass wir in jedem Spiel zu vielen Torchancen kommen, es ist das Resultat der Trainingsgestaltung. Aber klar: Defensiv müssen wir künftig Konstanz reinbringen, das unterscheidet uns noch von den Spitzenteams.
Ist es anstrengender als früher, ein Spieler des FC Aarau zu sein?
Wir spielen sehr intensiven Fussball, aber wir sind auch so fit wie noch nie. Darum ist es nicht anstrengender. Ab der 70. Minute problemlos einen Gang höher zu schalten, statt ans Einteilen der Kräfte denken zu müssen, ist ein super Gefühl.
Sie arbeiten seit 2017, als Keller als Assistenztrainer nach Aarau kam, mit ihm zusammen. Wuchs in dieser Zeit der Wunsch, ihn dereinst als Cheftrainer zu haben?
Von Anfang an war mir klar, dass er nicht auf ewig Assistent bleiben würde. So wie er sich eingebracht hat. Als wir informiert wurden, dass er neuer Cheftrainer ist, hat mich das gefreut. Er ist bislang der Trainer, der am meisten von mir verlangt, mir aber auch am meisten Vertrauen gibt.
Unter Keller ist Ihr Stellenwert nochmals gestiegen. Sehen wir gerade den besten Jäckle aller Zeiten?
Verglichen mit der Vergangenheit: Ja! Aber was für die ganze Mannschaft gilt, gilt auch bei mir: Es geht noch mehr.
Hat dieser Aufschwung nur mit Keller zu tun?
Ich habe schon vorher realisiert: Wenn ich beim FC Aarau die nächsten Jahre nicht nur ein bisschen «mittschütteln» will, muss ich mehr machen: Ernährung, Erholung – ich bin jetzt auch schon 28, da muss man auf den Körper achten. Mit dem Umbruch im vergangenen Sommer sind die Anforderungen an die Spieler gestiegen, ich musste mich anpassen.
Früher hatten Sie den Ruf des «netten Olis» – immer gut drauf, egal, ob gewonnen oder verloren.
Ja – und ein Stück weit stimmte das ja auch. Aber mit der grösseren Verantwortung als Führungsspieler muss ich ein Vorbild für die Jungen sein und die nötige Ernsthaftigkeit ausstrahlen. Ich mache mittlerweile auch den Mund auf, wenn ich selber nicht den besten Tag habe – diesen Respekt habe ich mir mit meinen Leistungen erarbeitet. Abgesehen davon: Dass es mir momentan so gut läuft, liegt vor allem auch daran, dass ich endlich meine körperlichen Probleme im Griff habe und nicht immer wieder monatelang ausfalle, so wie früher.
Gab es seit 2012, als Sie zu den FCA-Profis stiessen, die Möglichkeit für einen Wechsel? Wenn Ja – bereuen Sie, es nicht getan zu haben?
Nein, diese Möglichkeit gab es bis dato nicht, dafür war ich wohl zu oft verletzt und meine Leistungen zu schwankend. Hätte ich vor vier Jahren so gespielt wie in dieser Saison, würde ich dieses Interview ziemlich sicher nicht als FCA-Spieler führen. Es war aber auch nicht jede meiner Vertragsverlängerungen in Aarau Formsache: 2018 habe ich schon angefangen, mir Alternativszenarien auszumalen, ehe Sandro Burki mir dann sein Vertrauen aussprach. Damals war ich froh, haben er und der Verein nach den vielen Verletzungen weiter an mich geglaubt.
Im Dezember haben Sie bis 2023 verlängert. Heisst das jetzt «für immer FC Aarau»?
An diesem Punkt bin ich noch nicht. Mein grösster Traum ist es, mit Aarau in der Super League zu spielen. Wenn sich in den nächsten Jahren die Möglichkeit für einen Wechsel zu einem attraktiven Klub in einer attraktiven Liga ergibt, schaue ich mir das an. Ich kann mir auch ein Abenteuer vorstellen, zum Beispiel in Australien oder Amerika.
Was hat sich beim FC Aarau mit dem Neustart im vergangenen Sommer am meisten verändert?
Es herrscht auf allen Ebenen Ruhe. Jede Person kümmert sich um das, was er am besten kann. Ich fühle wieder die familiäre Atmosphäre, die in den Jahren zuvor verloren ging. In den neun Jahren beim FCA hatte ich rund 130 Mitspieler, acht Trainer und mehrere Sportchefs, es war ein Kommen und Gehen. Im Moment selber jeweils hatten wir es gut im Team, aber die Identifikation der Akteure mit dem FC Aarau empfinde ich jetzt schon als grösser. In Aarau die Karriere ausklingen lassen, ohne viel Druck – das geht hier nicht mehr und das ist der richtige Weg: In Aarau sollen Spieler besser werden und auf die Aufgabe bei grösseren Klubs vorbereitet werden.
Apropos: Die Entwicklung der neuen Strategie ist schneller vorangeschritten als erwartet. Das weckt bei grösseren Klubs das Interesse an FCA-Spielern, gleichzeitig will der Verein in der nächsten Saison aufsteigen. Befürchten Sie einen Ausverkauf und das Zurückfallen auf Feld Null?
Soweit ich weiss, haben praktisch alle Spieler weiterlaufende Verträge. Erstens glaube ich nicht, dass der Präsident, der Sportchef und der Trainer einen Ausverkauf zulassen. Und für den Fall, dass es unschlagbare Angebote für Spieler geben sollte, haben sie für diese Positionen bestimmt einen Plan B in der Schublade. Ich bin überzeugt, dass wir im Sommer auf dem Level weiterfahren, auf dem wir Ende dieser Saison aufhören werden.
Ohne Jäckle und Almeida
Mit Olivier Jäckle und Mickael Almeida fehlen im Auswärtsspiel in Schaffhausen zwei Spieler, die zuletzt zu den Besten gehörten. Beide fehlen wegen Unsportlichkeiten in der Partie vor einer Woche gegen die Grasshoppers (2:1). Können die zwei Schlüsselakteure adäquat ersetzt werden? Die Schaffhauser liegen in der Tabelle nur einen Punkt hinter Aarau und hegen ebenfalls noch leise Barrage-Hoffnungen – zumindest für eine der beiden Mannschaften dürfte das Thema nach dem Direktduell erledigt sein. Von den bisherigen drei Saisonduellen gingen zwei an Aarau und eines an Schaffhausen.