
Franz Zemps jahrelange Seelsorge im Grenzbereich
Vor der Gassenküche K+A am Geissensteinring 24 stehen Leute in Gruppen zusammen und rauchen. Andere freuen sich auf saubere Kleider oder eine warme Mahlzeit. Einer, der sich hier oft auch eine Zigarette angezündet und zur Gruppe dazu gesellt hat, war Franz Zemp. Jahrelang schaute der Luzerner Gassenseelsorger hier vorbei. Er rauchte, hörte zu und informierte sich, wie es den Leuten so erging. Der Austausch mit dem Gassenseelsorger war für viele Nahrung für die Seele.
In seiner Arbeit als Gassenseelsorger hat Franz Zemp hier Menschen angetroffen, die aus sehr unterschiedlichen Gründen aus der Kurve geflogen sind. Die einen flohen aus beengten, ungemütlichen Wohnungen. Andere haben gar kein Dach über dem Kopf. Nicht wenige sind aufgrund von Schicksalsschlägen psychisch angeschlagen. Und dann waren da jene, die an der Nadel hängen. Teilweise seit Jahren schon. Menschen, die für viele in der Gesellschaft meist unsichtbar bleiben. Die Aufforderung des Bundesrates «Bleiben Sie zu Hause» während des Lockdowns sei für sie besonders zynisch gewesen. «Viele haben ja gar kein Zuhause», weiss Franz Zemp.
Die Scham der anderen
Während seiner Zeit als Gassenseelsorger sind viele Suchtbetroffene gestorben. Immer wieder musste er für sie die Abdankung halten. Wenn jemand gestorben war, dann versammelt er sich mit den Menschen, die ihn kannten, jeweils in der Gassenküche. «Man stand in einem Halbkreis, wo jeder etwas zum Verstorbenen sagte», erinnert sich Zemp. Jedes einzelne Schicksal habe ihn berührt. Die Geschichte eines Verstorbenen habe er jeweils nicht einfach abschütteln können. Es gab viele Schicksale, die ihn zutiefst erschüttert hätten. Da war beispielsweise diese Mutter. Der Seelsorger hat zwei ihrer Kinder beerdigt. Beide starben den Drogentod. «Als ich erfuhr, dass auch ihr jüngster Sohn gestorben ist, war das sehr traurig», erinnert er sich.
Besonders herausfordernd seien für ihn jeweils die Gespräche und Begegnungen mit den Hinterbliebenen von Verstorbenen gewesen. Drogen, Spritzen, Sucht, das alles sei noch immer ein grosses Tabu. Auch 30 Jahre nach «Platzspitz». Wenn Sucht im Spiel ist, sei noch immer viel Scham dabei. Bei den Suchtbetroffenen, weil sie den Erwartungen ihrer Familie nicht entsprechen. Bei den Eltern und Geschwistern des Betroffenen, weil sie das Gefühl quäle, versagt zu haben. Vieles sei unausgesprochen geblieben. Unter den Teppich gekehrt. Er erinnert sich:
«Wenn die Mauer des Schweigens
jedoch durchbrochen werden konnte,
war das für alle Beteiligte befreiend.»
Für Hinterbliebene war Franz Zemp oft ein wichtiger Ansprechpartner. Fast unfreiwillig. Durch die Gespräche in der Gassenküche habe er oft viel mehr über den Verstorbenen gewusst, als die Familie selbst. «Diese Erkenntnis war für sie oft sehr schmerzvoll.» Häufig hätten die Geschwister mit dem Verstorbenen jahrelang keinen Kontakt mehr gehabt. Und plötzlich sind sie zuständig für dessen Beerdigung. Blickt Franz Zemp zurück, ist er dankbar für das Vertrauen, das man ihm als Seelsorger in all den Jahren schenkte. «Bei Suchtbetroffenen und Obdachlosen habe ich nie Ablehnung erlebt», sagt er.
Eigene Glaubenswelt
Suchtbetroffene leben in ihrer eigenen Glaubenswelt. Franz Zemp hat in seiner Arbeit als Gassenseelsorger in Gesprächen mit ihnen immer wieder erfahren, wie empfänglich sie für Lebens- und Glaubensfragen sind. Oft seien sie auf ihn zugekommen und hätten ihn mit Fragen gelöchert, die es in sich hatten: «Warum lässt Gott so viel Leid zu?», «Gibt es das Fegefeuer wirklich? Und:
«Muss ich mich vor Gott schämen,
weil ich Drogen nehme?»
Viele Suchtbetroffene, so Franz Zemp, tragen Schuldgefühle mit sich herum, weil sie nicht den Erwartungen der Gesellschaft entsprechen. «Manche glauben an einen strafenden Gott.» Er hingegen wollte stets einen liebenden Gott vermitteln.
Der Tod ist gerade bei Suchtbetroffenen ein allgegenwärtiges Thema. Zu ihm haben die meisten einen eigenen Zugang. Für die einen sei er Bedrohung, für andere ein Freund, der sie in eine andere, bessere Welt hole. Wenn Franz Zemp in an Wallfahrtsorten wie Einsiedeln war, kaufte er bei den Devotionalienständen für sie oft Anhänger mit religiösen Motiven und Rosenkränze. «Sie haben sich darüber immer riesig gefreut!», erinnert er sich. In der Tat sieht man in der Gassenküche immer wieder Menschen, die ein Marien-Medaillon um den Hals tragen.
In den Menschen, die Franz Zemp in der Gassenküche begegneten, sah er während seiner Arbeit nie bloss den «Drögeler» und den «Obdachlosen». Das ist auch der Ansatz der kirchlichen Gassenarbeit. Menschen vorurteilsfrei begegnen und zuhören, diese eingeübten Eigenschaften nimmt Franz Zemp nun auch mit an seine neue Vollzeitstelle in Sempach und Eich.