
Frau oder SP: Wer bleibt auf der Strecke? Es wird eine ungewollt historische Wahl
Eines steht schon knapp eine Woche vor den Wahlen fest: Die Sozialdemokraten werden auch über 125 Jahre nach ihrer Gründung keine Frau in der Aargauer Kantonsregierung stellen.
Die SP hat mit Dieter Egli einen Mann für die Regierungsratswahlen nominiert. Er soll den Sitz verteidigen, der frei wird, weil der 63-jährige Parteikollege Urs Hofmann nach fast zwölf Amtsjahren nicht mehr antritt.
Die Gelegenheit für die SP Aargau, erstmals in ihrer Parteigeschichte eine Frau in die Regierung zu bringen, wäre günstig gewesen. Die Bürgerlichen treten mit ihren vier bisherigen Regierungsräten an und erheben keinen Anspruch auf den fünften Sitz. Und weil die Regierung aktuell nur aus Männern besteht, hätte eine qualifizierte SP-Frau die Wahl mit links schaffen müssen.
Dass ausgerechnet die Partei, die kategorisch Frauen in Führungspositionen fordert, selber nun nicht danach handelt, hat ihr berechtigte Kritik eingebracht. Statt etwas selbstgerecht auf andere zu zeigen, hätte sie eingestehen können, ihren eigenen Ansprüchen auch nicht immer gerecht zu werden.
Eigentlich wie gemacht für die Nachfolge von Urs Hofmann
Das Glück der SP ist: Ihr Kandidat Dieter Egli hat das nahezu ideale Profil für die Nachfolge von Urs Hofmann. Der 50-Jährige aus Windisch bringt alles mit, was man von einem Sozialdemokraten in einer Konkordanzregierung erwarten darf: Inhaltlich ein Sozi durch und durch, aber einer, der willens und fähig ist, mehrheitsfähige Lösungen anzustreben.
Dieter Egli im Wahlkampf-Endspurt. Im Volkshaus Aarau telefoniert er mit potenziellen Wählerinnen und Wählern. © Britta Gut
Als Polizeigewerkschafter hat er den Stallgeruch des Departementes Volkswirtschaft und Inneres, das ihn erwarten würde. In Finanz- und Wirtschaftsthemen ist er dossierfest, als Fraktionschef gut vernetzt. Und es spricht für Egli, dass er das Frauendilemma gar nicht erst schönzureden versucht.
Eine Grüne mit dem Potenzial für den Sprung nach Aarau
Und trotzdem: Die Männerwahl der SP ist die Chance der Grünen, vier Jahre nach Susanne Hochulis Rücktritt den Regierungsratssitz zurückzuerobern. Ihre Kandidatin Christiane Guyer war bis vor kurzem östlich von Zofingen wenig bekannt. Ein politisches Greenhorn ist Guyer deswegen nicht: Die 57-Jährige führt als Miliz- Stadträtin von Zofingen seit zehn Jahren die Regionalpolizei. Wer vor Ort sieht, wie sie mit den Uniformierten umgeht, traut ihr durchaus zu, diese Aufgabe auch eine Nummer grösser im Vollamt anzupacken. Als stellvertretende Dienststellenleiterin beim Kanton Luzern kennt sie zudem eine grössere Verwaltung von innen.
Christiane Guyer vor dem Feuerwehrdepot in Zofingen. Als Stadträtin ist sie auch für Sicherheit zuständig. © Britta Gut
Guyers grösster Trumpf bei dieser Konstellation ist aber zweifellos ihr Geschlecht. Eine Regierung ohne Frau gehe nicht, betont sie denn auch bei jeder Gelegenheit. Frauen hätten andere Perspektiven und Prioritäten als Männer; das müsse sich in der Regierungsarbeit abbilden. Die fünffache Mutter strahlt zudem eine gewisse Bodenständigkeit aus, die auch bei Stimmberechtigten gut ankommen könnte, die sonst nicht die Farbe Grün wählen. Will Guyer reüssieren, muss sie aber im zweiten Wahlgang – eine Wahl schon im ersten wäre eine Sensation – inhaltlich noch konkreter werden und einen Zacken zulegen.
Zwischenfazit: Egli wie Guyer bringen das Rüstzeug mit für das Regierungsratsamt. Warum also nicht beide wählen, so wie es sich SP und Grüne erträumen? Angesichts der grossen Themen Klimawandel, Verkehr und Digitalisierung könnte das Fünfergremium eine zweite progressive Stimme durchaus vertragen. Mitte-rechts hätte auch so noch die Mehrheit, eine verlässliche Ausgaben- und Wirtschaftspolitik bliebe garantiert.
Die vier Bisherigen bieten wenig Angriffsflächen
Nur: Für ein rot-grünes Duo in der Regierung müsste ein Bisheriger weichen. Dazu gibt es wenig Anlass:
- Markus Dieth (CVP) bietet als Finanzdirektor keine Angriffsflächen und ist allseits beliebt.
- Stephan Attiger (FDP) weht in seiner Heimat Baden wegen der umstrittenen Projekte «Oase» und Limmattalbahn ein rauerer Wind entgegen als auch schon, aber als Person ist der Bau-, Verkehrs- und Umweltdirektor unbestritten.
- Alex Hürzeler (SVP) mag in der Coronakrise zuweilen zögerlich gewirkt haben. Aber über die Jahre hat sich der Bildungsdirektor über seine rechte Wählerbasis bis zu linken Lehrern Akzeptanz verschafft.
- Bleibt Jean-Pierre Gallati (SVP), der die Wahl gegen Yvonne Feri (SP) letzten November nur knapp schaffte und als dienstjüngster Regierungsrat theoretisch den wackligsten Sitz hat. Doch der Gesundheitsdirektor konnte sich gleich als Coronakrisenmanager profilieren. Sogar Gegner attestieren Gallati gute Arbeit, auch wenn nicht alle seine Linie bei der Maskenpflicht teilen.
Gefährlich werden könnte einem der SVP-Magistraten einzig, wenn ihre Partei bei den gleichzeitigen Grossratswahlen ihre Basis schlecht mobilisieren kann und dies auf die Regierungsratswahl abstrahlt.
Die Frau-Mann-Frage wird sich zuspitzen
Das wahrscheinlichste Szenario bleibt aber: Die Bisherigen Dieth, Attiger, Hürzeler und Gallati werden im ersten Wahlgang gewählt. Egli holt am fünftmeisten Stimmen, verpasst aber das absolute Mehr und muss gegen die sechstplatzierte Guyer in den zweiten Wahlgang am 29. November.
Spätestens dann müssen die beiden ihren gegenseitigen Kuschelkurs ablegen. Auch die Frau-Mann-Frage dürfte sich dann nochmals zuspitzen.
Das Ergebnis hätte bei dieser Variante so oder so historischen Charakter: Entweder würde erstmals seit 16 Jahren im Aargau eine Regierungsperiode ohne Frau beginnen. Oder aber die Sozialdemokratie wäre zum zweiten Mal seit ihrer Regierungsbeteiligung ab 1932 nicht mehr in der Kantonsregierung. Gewollt war beides nicht.