
Gallati als Superspreader am SVP-Parteitag? Fraktionschefin Stutz positiv getestet, Nationalrätin Bircher erhielt Infektions-Warnung der Covid-App
«Meine Frau ist negativ getestet worden.» Das teilte Jean-Pierre Gallat der AZ am späten Dienstagabend mit. Demnach hat der Gesundheitsdirektor, der sich mit Corona infiziert hat und am Montag positiv getestet wurde, seine engste Kontaktperson nicht angesteckt. Anders sieht dies möglicherweise bei SVP-Mitgliedern aus, mit denen Gallati am Parteitag am vergangenen Mittwoch im Ochsen in Lupfig am Tisch sass.
Der Gesundheitsdirektor verspürte bereits am letzten Freitag leichte Symptome, deshalb war er mit grosser Wahrscheinlichkeit auch zwei Tage davor, also am 27. Oktober, schon ansteckend. Damals sass Gallati während des Parteitags, der rund zwei Stunden dauerte, an einem Tisch mit mehreren prominenten SVP-Mitgliedern.
Gallati hat Code für die Covid-App erhalten und eingegeben
Links von ihm sass Nationalrätin Martina Bircher, rechts neben Gallati war Fraktionschefin Désirée Stutz. Noch einen Platz weiter rechts sass Nationalrätin Stefanie Heimgartner, gegenüber von Gallati war Bildungsdirektor und Regierungsratskollege Alex Hürzeler.
Nun zeigen Recherchen der AZ: Möglicherweise haben sich mehrere Parteimitglieder, die nahe bei ihm sassen, bei Gallati mit dem Coronavirus angesteckt. Das Gesundheitsdepartement teilt auf Anfrage mit, das Contact Tracing habe mit dem infizierten Regierungsrat bereits Kontakt aufgenommen.
Weiter sagt Sprecher Michel Hassler: «Der Gesundheitsdirektor hat den Code für die SwissCovid-App vom Contact Tracing erhalten und angewendet, damit sich mögliche weitere Kontaktpersonen auf diesem Weg eruieren lassen.»
Martina Bircher erhielt Infektions-Warnung von der Covid-App
Dies wusste Nationalrätin Martina Bircher nicht, doch als die AZ bei ihr anfragt, wie es ihr gehe und ob sie allenfalls positiv getestet worden sei, schickt die Gesundheitspolitikerin den Screenshot einer Meldung ihrer Covid-App von Dienstagabend. «Mögliche Ansteckung: Sie könnten sich angesteckt haben, am 27.10.2021 / vor 6 Tagen», meldet die App.

Meldung auf der Covid-App von SVP-Nationalrätin Martina Bircher nach der Infektion von Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati.
Das ist der Mittwoch, an dem der SVP-Parteitag in Lupfig stattfand, wo Bircher direkt neben Gallati sass. «Mir geht es gut, aber ich muss wohl heute noch einen Test machen, weil ich über meine Covid-App, die ich seit anderthalb Jahren aktiviert habe, zum ersten Mal überhaupt eine Meldung erhalten habe», sagt sie. Dass dies ausgerechnet bei einem Anlass mit Zertifikatspflicht passiert und auf die Infektion eines doppelt Geimpften zurückgeht, gibt Bircher zu denken.

Nationalrätin Martina Bircher erhielt eine Meldung ihrer Covid-App.
«Ich werde nun nachfragen, ob ich trotz Impfung und keinen Symptomen einen Test machen muss», sagt die SVP-Nationalrätin am Mittwochmorgen. Ein paar Minuten später meldet sie sich nochmals bei der AZ und teilt mit: «Ich habe soeben mit dem Contact Tracing telefoniert und muss mich nicht testen lassen, weil ich doppelt geimpft bin.»
Für Bircher ist der Fall von Gallati, der an einem Zertifikatsanlass möglicherweise weitere Personen ansteckte, eine Bestätigung für ihre Position. «Ich habe immer gesagt, dass der Bevölkerung mit dem Zertifikat eine falsche Sicherheit vorgegaukelt wird.» Ziel sei es doch, die Menschen zum Impfen zu bewegen, hält die Gesundheitspolitikerin fest. «Wenn die Politik ehrlicher wäre bei der Kommunikation mit den Menschen, dann wäre die Lage wohl auch nicht so festgefahren», sagt Bircher.
Fraktionschefin Désirée Stutz wurde am Montag positiv getestet

SVP-Fraktionschefin Désirée Stutz wurde positiv auf Corona getestet.
Désirée Stutz, Fraktionschefin der SVP im Grossen Rat, sass am Parteitag rechts neben Gallati. Stutz hat die Covid-App nicht installiert, wie sie der AZ mitteilt, deshalb erhielt sie nach Gallatis positivem Test auch keine Meldung. Aber die Rechtsanwältin aus Möhlin hat sich mit Covid angesteckt, wie sie sagt:
«Ich habe seit Samstagabend Symptome einer leichten Grippe, also Müdigkeit, laufende Nase und Kopfschmerzen. Deshalb bin ich seit dann freiwillig zu Hause geblieben. Zur Sicherheit habe ich am Montagmorgen einen Test gemacht, der positiv ausgefallen ist.»
Stutz sagt, sie sei seither in Isolation, fühle sich aber so weit gesund und arbeite so gut wie möglich von zu Hause aus. Ob sich die SVP-Fraktionschefin bei Gallati angesteckt hat, ist unklar – dass sie schon am Samstag, also drei Tage nach dem Parteitag, erste Symptome zeigte, spricht eher dagegen.
Heimgartner und Hürzeler erhielten keine Meldung und sind symptomfrei
Nationalrätin Stefanie Heimgartner, die zwei Plätze rechts von Gallati sass, hat die Covid-App auf ihrem Handy installiert. Sie habe bis jetzt keine Meldung bekommen, sagt Heimgartner auf Nachfrage der AZ. Und sie ergänzt: «Ich bin geimpft und habe bis jetzt auch keine Symptome. Mir geht es tipptopp.» Offenbar sass Heimgartner weit genug entfernt von Gallati, dass die App die Situation nicht als engen Kontakt einstufte.
Bildungsdirektor Alex Hürzeler, der gegenüber von Gallati sass, lässt über Regierungssprecher Peter Buri ausrichten, er weise keine Symptome auf und sei, wie alle anderen Regierungsratsmitglieder auch, gegen Corona geimpft. «Sollten bei ihm Symptome auftreten, würde er sich sofort testen lassen – dies gilt auch für die anderen Mitglieder des Regierungsrates», teilt Buri weiter mit. Hürzeler verfüge über eine aktivierte Covid-19-App, habe aber keine Meldung über eine mögliche Ansteckung erhalten.
Nur rund fünf Prozent der Ansteckungen sind Impfdurchbrüche
Zur Frage, ob schon klar sei, wie viele Personen aufgrund der Infektion von Gallati in Quarantäne geschickt werden, äussert sich das Aargauer Gesundheitsdepartement nicht. «Zu Einzelfällen im Contact Tracing geben wir keine Auskünfte», teilt Sprecher Hassler mit. Er hält grundsätzlich fest, eine Impfung biete keine Garantie, dass man sich nicht anstecke. «Aber sie bietet einen sehr hohen Schutz von 93 und mehr Prozent vor einem schweren Verlauf mit Hospitalisierung.»
Bei den Infektionen von Jean-Pierre Gallati und Désirée Stutz handelt es sich um sogenannte Impfdurchbrüche, also Ansteckungen von Personen, die doppelt geimpft sind. Diese sind im Aargau bisher sehr selten, laut Angaben des Gesundheitsdepartements beläuft sich der Anteil der Impfdurchbrüche von Anfang Jahr bis Ende Oktober auf rund 5 Prozent. Von den total 32’435 angesteckten Personen in diesem Zeitraum waren demnach nur gut 1620 doppelt geimpft.
Ähnlich niedrig ist der Anteil von doppelt geimpften Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen der Aargauer Spitäler. Seit dem 21. August wurden dort insgesamt 50 Personen behandelt, davon waren lediglich zwei doppelt geimpft – das ergibt eine Quote von vier Prozent.
Gesundheitsdepartement empfiehlt Coronatest bei Erkältungssymptomen
Nach den möglichen Ansteckungen am SVP-Parteitag stellen sich weitere Fragen. So zum Beispiel, ob auch geimpfte Personen bei Anlässen mit Zertifikatspflicht, aber vielen Leuten auf relativ engem Raum, drinnen eine Maske tragen sollten. «Bei solchen Veranstaltungen herrscht keine Maskenpflicht», hält das Gesundheitsdepartement fest.
Weiter teilt Sprecher Hassler mit: «Hygienemasken schützen bei korrekter Anwendung vor allem andere Personen vor einer Ansteckung, sie gewährleisten also Fremdschutz.» Zu einem gewissen Masse bestehe bei solchen Masken auch eine Schutzwirkung für die Trägerin oder für den Träger selbst, also ein Eigenschutz. Wenn jemand diesen zusätzlichen Schutz will, könne diese Person bei solchen Anlässen eine Maske tragen.
Und was empfehlen Andrée Friedl, Infektiologin am Kantonsspital Baden und Christoph Fux, Infektiologe am Kantonsspital Aarau, die den Regierungsrat seit dem Abgang von Kantonsärztin Yvonne Hummel zu Coronamassnahmen beraten, bei Erkältungssymptomen? Soll man sich derzeit sofort auf Covid testen lassen, wenn man etwas Halsweh, einen leichten Schnupfen oder ein bisschen Husten hat? «Ja, bei solchen Symptomen soll man sich testen lassen», teilt das Aargauer Gesundheitsdepartement mit.