Grenze zu Italien schliessen? Die Tessiner streiten mit dem Bundesrat

Die Aufregung war gross, diverse Medien schickten Push-Meldungen, als gestern Nachmittag die «Handelszeitung online» meldete: «Schweiz schliesst Grenze zu Italien.» Bundesratssprecher André Simonazzi dementierte umgehend via Twitter. Die Meldung sei falsch. Auch stimme es nicht, dass der Bundesrat am Abend eine Krisensitzung abhalte.

Befeuert wurden die Gerüchte durch einen Entscheid Österreichs. Bundeskanzler Sebastian Kurz verkündete an einer Pressekonferenz, dass ein Einreisestopp aus Italien verfügt worden sei. Nur Österreicher sollten zurückgeholt werden.

Recherchen der Redaktion CH Media zeigen, dass es gestern zwar keine Bundesratssitzung gab, dass aber diverse Bundesräte in Krisensitzungen über die Lage und die Ausweitung der Massnahmen gegen das Corona-Virus berieten. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga sagte deswegen kurzfristig einen lange geplanten Abendanlass mit der Schweizer Chefredaktorenkonferenz ab. Auffällig war auch, dass mehrere Bundesräte an den gestrigen Fraktionssitzungen ihrer Parteien fehlten. «Es finden laufend Sitzungen zur Corona-Krise statt», sagt eine bundesratsnahe Quelle. Eine ausserordentliche Bundesratssitzung sei aber nicht geplant.

 
Ein Grenzpolizist kontrolliert am Römer Bahnhof Termini die Papiere eines Reisenden.

Ein Grenzpolizist kontrolliert am Römer Bahnhof Termini die Papiere eines Reisenden.

© CH Media

Die nächste ordentliche Sitzung finde plangemäss am Freitag statt. Offenbar will der Bundesrat eine Art «Corona-Ausschuss» bilden, der wie ständige Ausschüsse (etwa der Sicherheitsausschuss) die Corona-Situation departementsübergreifend berät.

SVP fordert, dass Bundesrat Grenze zu Italien schliesst

Im Raum steht auch die Frage einer Grenzschliessung. Noch Anfang Woche wollten die Behörden eine solche nicht einmal in Erwägung ziehen. Gesundheitsminister Alain Berset (SP) hatte diese Option wiederholt ausgeschlossen. Inzwischen wächst aber der Druck. «Die SVP fordert, dass der Bundesrat die Grenze zu Italien schliesst», sagt Vizepräsidentin Magdalena Martullo. «Es kann nicht sein, dass Italien bestimmt, wer in die Schweiz kommen darf.»

Martullo hält es auch für denkbar, «dass es aus Italien zu Fluchtbewegungen vor dem Virus kommt und dass sich Leute aus Italien in der Schweiz behandeln lassen wollen», wie sie sagt. «Die Schweiz sollte handeln, bevor Frankreich und Deutschland allenfalls die Grenzen zur Schweiz schliessen.»

Grenzschliessungen auch für Mittepolitiker nicht mehr tabu

Die Tessiner Ständerätin Marina Carobbio erklärte gestern Abend auf «TeleTicino», es werde am Mittwoch ein Treffen der Tessiner Deputation im Parlament mit einer Delegation des Bundesrates geben, in dem auch über die Grenzschliessung gesprochen werde. Entsprechende Forderungen kommen inzwischen nicht mehr nur von der SVP und der rechtsgerichteten Lega dei Ticinesi.

 
Am Montagabend kam es zu panikartigen Hamsterkäufen.

Am Montagabend kam es zu panikartigen Hamsterkäufen.

© CH Media

«Der Bundesrat muss nun endlich alle Möglichkeiten prüfen und entscheiden, ob die Grenze zu Italien geschlossen werden muss», sagt der Tessiner CVP-Nationalrat Marco Romano. «Jetzt darf die Grenze kein Tabu mehr sein.» Dass Zehntausende Italiener weiterhin in die Schweiz einreisen können, sei angesichts der dramatischen Lage kaum vermittelbar.

Im Moment dürfen zwar ausschliesslich Grenzgänger aus Italien zur Arbeit ins Tessin kommen, sofern sie eine Grenzgängerbewilligung oder eine Arbeitsbescheinigung vorlegen. Doch am Montag hatte es kaum Kontrollen gegeben, weshalb sich der Tessiner Staatsrat in einem Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wandte. Er wollte Druck aufsetzen für eine Verstärkung der Kontrollen. «Andernfalls würde das Vertrauen der Tessiner in die Institutionen untergraben», steht in dem Schreiben, das die RSI gestern publik machte. Tatsächlich wurden die Kontrollen an der Grenze dann am Dienstag intensiviert.

Manche Tessiner hoffen auf FDP-Bundesrat Ignazio Cassis, der einst als Kantonsarzt tätig war. Doch gemäss gut informierten Kreisen ist Cassis zurzeit gegen eine Grenzschliessung, auch öffentlich sprach er sich gestern dagegen aus. SVP-Bundesrat Ueli Maurer soll dieser Option hingegen positiv gegenüberstehen. Als Finanzminister ist er zuständig für das Grenzwachtkorps.

Die Lega ihrerseits will, dass Grenzgänger, die im Gesundheitswesen tätig sind, von dem Einreiseverbot ausgeschlossen werden. Tatsächlich hängt das Gesundheitswesen im Tessin – Spitäler ebenso wie Alters- und Pflegeheime sowie Spitex-Dienste – von Grenzgängerinnen und Grenzgängern ab. Ohne diese droht ein Kollaps.