Grosser Rat nimmt mit 77 zu 50 Stimmen die Grenzgänger-Initiative an

Die knapp 14’000 Grenzgänger, die hier arbeiten, sind für den Kanton Aargau ein Thema. Ob sich der Grosse Rat mit ihnen wegen einer neuen EU-Regelung beschäftigen muss, darüber gingen am Dienstag im Kantonsparlament die Meinungen aber auseinander. Die SVP hatte einen Antrag auf Direktbeschluss für eine Standesinitiative gestellt, die sich gegen eine Änderung der Vergütungen von Arbeitslosengeldern für Grenzgänger stellt. Im Juni hatten die Arbeitsminister der EU beschlossen, dass in Zukunft Grenzgänger in jenem Land Anspruch auf Arbeitslosengelder haben sollen, in dem sie arbeiten und nicht, wie bisher, in ihrem Wohnsitzland.

Die SVP hatte die Ratsmehrheit auf ihrer Seite, schliesslich stimmten dem Vorhaben 77 Grossräte zu, 50 waren dagegen. Während sich die FDP geschlossen der SVP zur Seite stellten, sprachen sich SP, EVP, GLP und Grüne zum grössten Teil gegen die Standesinitiative aus. Relativ unentschlossen war die CVP, zehn ihrer Grossräte stimmten dem Vorhaben zu, fünf waren dagegen. Damit geht das Geschäft weiter an die Kommission Volkswirtschaft und Abgaben (VWA).

Kein kantonales Thema
Die Schweiz sei nicht verpflichtet, dieses Gesetz zu übernehmen, sagte die Sprecherin der SVP, Désirée Stutz. Das EU-Vorhaben würde es noch attraktiver machen, im nahen Ausland zu wohnen, aber in der Schweiz zu arbeiten. Arbeitslos gewordene Grenzgänger würden von relativ hohen

Arbeitslosengeldern profitieren, während die Lebenshaltungskosten im Wohnsitzland tiefer seien als in der Schweiz. Dadurch könnte ihnen auch der Anreiz fehlen, wieder eine Stelle anzunehmen. Ausserdemwäre es schwierig, zu kontrollieren, ob im Ausland wohnhafte Personen, die aber bei hiesigen Stellenvermittlungsbüros gemeldet sind, ihre Vorgaben erfüllten.

Insgesamt würde das System der Arbeitslosenversicherung aus den Fugen geraten, wenn sich das EU-Vorhaben durchsetzt, appellierte Stutz. Dabei sei klar, wer das am Schluss berappen würde: Die Steuerzahler in der Schweiz. Diese seien dann doppelt benachteiligt, weil es ihnen mit mehr Grenzgängern noch schwerer fallen würde, selber eine Arbeit zu finden.

Auch die Grenzgänger bezahlten in der Schweiz in die Arbeitslosenversicherung ein, also hätten sie auch Anspruch auf Leistungen und auf Beratungen durch die Stellenvermittlungsstellen, sagte Florian Vock (SP). Nur: Der Grosse Rat sei gar nicht befugt, über bundespolitische Themen zu bestimmen, das geschehe im nationalen Parlament. Wolle sich die SVP hier für Arbeitslose einsetzen, so solle sie das doch tun, indem sie helfe, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

Der Kanton Aargau sei gar nicht direkt von der EU-Regelung betroffen, sagte Kim Schweri (Grüne). Die Arbeitslosenversicherung sei eine nationale Angelegenheit, würden Mehrkosten entstehen, betreffe das den Kanton Aargau nicht. Also habe der Grosse Rat diesbezüglich auch nichts zu entscheiden. «Wir geben uns mit dieser Standesinitiative der Lächerlichkeit preis», warnte sie.

GLP und EVP unterstützten diese Argumentation, auch ihre Sprecher fanden, eine Standesinitiative wäre hier falsch. Das EU-Vorhaben sei zwar ein Thema, aber eines, das nach Bundesbern und allenfalls zu den Aargauer Nationalräten gehöre.

Ein SPler stimmte dafür
Die Standesinitiative sei eben gerade ein Instrument dafür, dass der Kanton bundesstaatliche Anliegen mitzugestalten könne, sagte Herbert Scholl für die FDP — das zum Formellen. Materiell finde die FDP das Vorhaben schwierig, weil es sich beim Systemwechsel um eine Teilrevision des Finanzausgleichs innerhalb der EU handle. Da müsse die Schweiz als Nicht-Mitglied nicht mitmachen. Nicht ganz so klar war das Votum der CVP für die Standesinitiative: Die Fraktion wolle diese an die VWA überweisen, sodass man sich dort detailliert damit befassen und von Experten beraten lassen können.

Das sagte auch Martin Brügger, der einzige SP-Grossrat, der für die Überweisung des Antrags stimmte. Die Fragestellung der SVP sei sehr wohl berechtigt, bemerkte er. Es sei sicher, dass mit dem EU-Gesetz Anpassungen anstehen würden, darum sei es in seinen Augen ein legitimer Weg, dass sich die Kommission mit diesen Fragen befasse.