«Ich habe mich in der Enttäuschung falsch verhalten»: Andreas Glarner entschuldigt sich für Angriffe – und verspricht anständigeren Ton

 23 Sitze hat die SVP bei den Gemeindewahlen im Aargau dieses Jahr eingebüsst, dies zeigte Anfang Oktober eine exklusive Auswertung der Wahlresultate durch die AZ. Die Volkspartei ist damit in den Gemeinden nicht mehr stärkste Kraft, neu stellen die Freisinnigen am meisten Mitglieder in den lokalen Exekutiven. «Wir nehmen diese Sitzverluste ernst, das können Sie mir glauben», sagte SVP-Aargau-Präsident Andreas Glarner am Mittwochabend am Parteitag in Lupfig.

Im Saal des Gasthofs Ochsen hatten sich knapp 100 Mitglieder eingefunden, um die Parolen für die Abstimmungen vom 28. November zu fassen. Überraschend sprach sich der SVP-Parteitag mit 48 zu 47 Stimmen für ein Ja zum Covid-Gesetz aus – doch diese Parole, die gegen Glarners Willen und gegen die Position der SVP Schweiz gefasst wurde, war nicht der einzige erstaunliche Moment des Abends.

Glarner räumt ein: Die schlechten Resultate haben mit dem Stil zu tun

Schon bei der Begrüssung gab sich Glarner – nach der fast obligaten Schelte der Medien, welche die Sitzverluste gross ausgebreitet und die guten Umfragewerte der SVP für die Wahlen 2023 nur klein vermeldet hätten – ungewohnt moderat. «Wir alle in der Geschäftsleitung und auch ich selber sind uns bewusst, dass die schlechten Resultate bei den letzten Wahlen auch mit dem Stil zu tun haben», sagte Glarner.

Der als Hardliner und Provokateur bekannte Glarner räumte ein: «Ich habe mich unmittelbar nach den Wahlen, in der Enttäuschung, falsch verhalten.» Er habe zu pauschal Kritik an den Ortsparteien und dem fehlenden Engagement im Wahlkampf geübt, bekannte der SVP-Aargau-Präsident. Seine Aussagen seien so verstanden worden, als hätte er alle Mitglieder in den Gemeinden, die sich für die SVP engagierten, für ein Amt kandidierten oder sich für die Partei einsetzten, als untätig bezeichnet.

SVP-Präsident bittet Ortsparteien um Entschuldigung für seine Angriffe

«Das war weiss Gott nicht so gemeint, aber es wurde so aufgenommen. Deshalb bitte ich Sie in aller Form um Entschuldigung», sagte Glarner. Thomas Burgherr, sein Vorgänger als SVP-Aargau-Präsident, habe ihm seinen Fehler gut erklärt, so Glarner: «Du hast deine Mannschaft, deine Büezer öffentlich kritisiert. – und das tut man nicht, sagte er zu mir.» Der Kantonalpräsident versprach, dies werde künftig nicht mehr vorkommen.

Dann kam Glarner auf den Ton und den Stil der SVP im Wahlkampf zu sprechen – dafür war er unter anderem von alt Kantonalpräsident Hansueli Mathys heftig kritisiert worden. Glarner sagte:

«Wenn verdiente Leute sagen, dass sie zwar unseren Kurs gutheissen, aber nicht die Art und Weise, wie wir uns äussern, dann müssen wir, und muss auch ich als Präsident, etwas ändern.»

Die SVP-Vertreter seien keine unanständigen Menschen, auch wenn sie immer so hingestellt würden, fuhr er fort. Glarner sagte, er habe die Wahlergebnisse in einer konstruktiven Sitzung mit der Wahlleitung analysiert. Er versprach, man werde bei der Aufarbeitung die Situation der SVPler in den Gemeinden und Bezirken berücksichtigen und diese anhören.

Andreas Glarner: «Die SVP soll nicht mehr Probleme bewirtschaften»

«Wenn wir Wahlen verlieren, dann machen wir etwas falsch – oder zumindest nicht so, wie unsere Wähler es möchten», sagte der SVP-Kantonalpräsident. Die Geschäftsleitung und er hätten verstanden, dass Veränderungen nötig seien, hielt Glarner fest. «Wir wollen und müssen in der Sache hart bleiben, aber im Ton offensichtlich freundlicher werden.» Die SVP müsse künftig als lösungsorientierte Partei in Erscheinung treten, und nicht mehr als Bewirtschafterin von Problemen, ergänzte er.

«Wir müssen kompromissbereit auftreten, aber dürfen unsere Ziele dabei nicht aus den Augen verlieren», fasste Glarner zusammen. Schon vor einem Monat hatte er im «TalkTäglich» bei Tele M1 gesagt: «Vielleicht muss ich im Ton eine Stufe zurückfahren, wenn das unseren Politikern in den Gemeinden hilft.» Ganz auf provokative Voten und zugespitzte Aussagen verzichten mochte der SVP-Aargau-Präsident am Parteitag aber doch nicht, obwohl er einräumte, dass die Coronapolitik für seine Partei eine Gratwanderung sei.

Ganz auf Provokation verzichtete Glarner dann doch nicht

Wo er in der Diskussion um das Zertifikat steht – auf der Nein-Seite, die bei der Abstimmung zur Parole ganz knapp unterlag – machte Glarner mit einem Vergleich klar: «Sie dürfen heute mit Krankheiten wie Aids, Hepatitis, Dengue-Fieber, Ebola, Diphtherie und Tuberkulose jedes Lokal besuchen. Aber sie dürfen das Lokal als gesunder Mensch ohne Zertifikat nicht betreten, das ist doch absurd», sagte er unter Applaus im Saal. Glarner betonte, er und seine Partei kämpften nicht gegen die Impfung, sondern gegen die Zertifikatspflicht.

Er prophezeite: «Die SVP wird gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, weil wir als Einzige für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger kämpfen und auch dann noch zu unserer Meinung stehen, wenn uns alle verspotten.» Es werde herauskommen wie beim Energiegesetz, das die SVP als einzige Partei bekämpft habe. «Als wir von der Strommangellage, höheren Energiepreisen und einem drohenden Blackout redeten, hat man uns ausgelacht, jetzt warnt sogar der Bundesrat davor», sagte Glarner.

Der Kantonalpräsident schloss mit einem Satz, der an Parteitagen oft zu hören ist: «Sie sehen, es braucht mehr SVP.» Eine starke Volkspartei sei nötig, «um Sachen zu sagen, die heute unangenehm sind, aber später oft wahr werden». Schliesslich forderte Glarner die Parteibasis auf, ihm und der Leitung der SVP zu sagen, «wenn Sie uns nicht so wahrnehmen, wie wir künftig auftreten wollen».

Urs Winzenried: «Die Covid-Taskforce ist kein Panikorchester»

Genau dies tat Urs Winzenried, der ehemalige Kriminalpolizei-Chef im Aargau, sitzt seit zwei Jahren für die SVP im Grossen Rat. Winzenried ergriff am Schluss des Parteitags das Wort und kritisierte Glarner, weil dieser die Covid-Taskforce des Bundes als «Panikorchester» bezeichnet hatte. Er sehe dies nicht als Beleidigung oder Gehässigkeit, ein solcher Ausdruck käme in seinem Wortschatz aber sicher nicht vor, sagte der Grossrat.

Urs Winzenried, ehemaliger Chef der Kriminalpolizei im Aargau und heute SVP-Grossrat, mahnte zu Respekt und Höflichkeit im Umgang mit dem politischen Gegner.

Urs Winzenried, ehemaliger Chef der Kriminalpolizei im Aargau und heute SVP-Grossrat, mahnte zu Respekt und Höflichkeit im Umgang mit dem politischen Gegner.

Alex Spichale

Früher sei es ein Markenzeichen der SVP gewesen, dass man in der Sache hart diskutiert habe, dies aber respektvoll und höflich. Winzenried freute sich, dass bei der kontroversen Diskussion über das Covid-Gesetz die Meinungen ausgetauscht wurden, es aber keine Pfiffe und Buhrufe gab. Das solle auch im Umgang mit dem politischen Gegner der Fall sein, hier seien Respekt und Anstand gefragt.

Winzenried sagte, mit bald 72 Jahren bringe er genügend Lebenserfahrung mit, um zu wissen, dass dies zum Erfolg führe. «Wenn wir uns so verhalten, wie wir auch selber gerne behandelt werden möchten, dann werden wir in Zukunft auch wieder Wahlen gewinnen», schloss er.