
Im Gehorchen sind wir vorbildlich: Das zeigt die geltende Masken-Tragepflicht
Hoch erfreut wurde gestern vermeldet, dass nun alle Pendler im öffentlichen Verkehr Masken tragen. Eine Erfolgsmeldung? Nun ja. Eigentlich macht es die lange Masken-Geschichte umso ernüchternder.
Fünf Monate lang haben die Deutschschweizer keine Masken getragen. Zuerst im Brustton der Überzeugung («Nützt nichts!»), dann aus Egoismus («Schützt nur die andern»), schliesslich aus Bequemlichkeit («Es gibt keine Maskentragepflicht»). Genau dies hatte noch vor einer Woche ein hustender Passagier patzig seinen stirnerunzelnden Mitfahrenden verkündet. Also dann, als die Fallzahlen bereits wieder am Steigen waren und das Masken-Tragen das Hauptthema war als zusätzlicher Schritt um die Pandemie einzudämmen.
Letzten Mittwoch wurde die Maskentragepflicht schliesslich angekündigt – und nichts änderte sich. In mit Ausflüglern überfüllten Zügen und Seilbahnen drängte sich noch am Sonntag die Mehrheit ohne Maske. Dabei müssen sie welche zuhause gehabt haben, denn zwölf Stunden später trugen anderntags alle eine. Warum also haben sie am Sonntag noch keine angezogen?
Die viel gepriesene Eigenverantwortung? Vielleicht ist sie ein schweizerischer Mythos wie der heldenhafte Tell. So brav wie nun Masken getragen werden, kommt der Verdacht auf, dass wir Sicherheitsregeln nur in Kombination mit der Androhungen von Konsequenzen beachten.
Einsichtig waren wir damals auch mit der Gurtentragepflicht nicht
Und denken Sie nicht, das betreffe nur das ÖV-Volk. Die Autos hatten schon länger Gurten, als der Bund 1981 endlich die Anschnall-Pflicht durchboxen konnte. Nochmal 13 Jahre vergingen, bis die Vorschrift auch auf dem Rücksitz akzeptiert wurde. Man glaubte zwar, dass damit das Verletzungsrisiko gesenkt werden kann. Aber es war so unangenehm, festgezurrt zu sein. Und warum sollte es gerade auf der nächsten Fahrt passieren?
Die Fatalisten sagten damals: «Irgendwie müssen wir ja sterben.» Und fanden nicht, dass die paar verhinderten Toten den Aufwand rechtfertigen würden.
Das Maskentragen schützt ebenfalls das eigene Leben. Dies ist inzwischen belegt durch «Feldversuche», die keine waren: In den USA erliessen manche Staaten die Masken-Tragepflicht und manche nicht. Amerikanische Forscher verglichen die Infektionszahlen und sahen, dass in den 15 Staaten mit Maskentragepflicht die Zahl der Neuansteckungen über die Wochen um Hundertausende geringer war.
Die Maske hat Signalwirkung
Lange schon belegt ist hingegen der Schutz der anderen, wenn wir sprechen und husten. Und statt als kontraproduktiv eingeschätzt (weil man sich mehr ins Gesicht fasse) wird dem Maskentragen nun eine Signalwirkung nachgesagt (weil man sich trotz Alltag an die Pandemie erinnert).
Aber wir hatten Mühe damit, uns einzuschränken, wenn es primär das Leben der anderen sicherer macht. Dabei gehört zur Eigenverantwortung auch die Verantwortung anderen gegenüber. Wir wären verpflichtet, die Folgen unseres Handelns auch auf das Leben anderer einzuschätzen. Eigenverantwortung ohne soziale Verantwortung das nennt sich Egoismus.
Nicht besser als Kinder? – Der Psychologe sieht weniger schwarz
Offenbar war davon zu wenig vorhanden. Wir funktionieren also tatsächlich jenseits der Volljährigkeit nicht vorbildlicher, sondern stellen den Eigennutzen vor Eigenverantwortung. Dieser Vorwurf ist nicht neu. Aber hinzu kommt die Ernüchterung, wie tief der Anteil der Eigenverantwortung der Bevölkerung offenbar ist.
Rainer Greifeneder, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Basel relativiert dieses negative Bild: Es würden uns einfach immer besonders jene auffallen, die sich nicht an die Regeln hielten und nicht die Vorbildlichen. Er beschreibt das Maskentragen als klassisches Dilemma: Wir sind beim Atmen und Sprechen behindert und können nicht mehr über die Mimik kommunizieren, was für Menschen sehr wichtig ist. Diese Einschränkung sind wir nicht bereit einfach so hinzunehmen, auch nicht für eine Stunde pro Tag – solange wir den Nutzen nicht klar vor Augen haben.
Hinzu kommt als starker Faktor der Gruppendruck. Greifeneder sagt: «Die Forschung zeigt, dass Menschen sich an anderen orientieren, wenn sie unsicher sind.»
«Soll ich im Zug eine Maske tragen? Wenn alle anderen eine Maske tragen, scheint dies das Richtige zu sein.» Wenn kaum jemand eine Maske trage, setzten neue Fahrgäste die Maske wieder ab oder erst gar nicht auf.
Die Politik habe mit dem Entscheid zur Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr die Mehrdeutigkeit der Situation klar reduziert, sagt Psychologe Greifeneder. «Damit ist nun auch gesagt: Masken sind Teil der gesellschaftlichen Verantwortung.» Er könne sich vorstellen, dass darauf auch eine höhere Akzeptanz von Masken in anderen Bereichen folgen werde. Stylishe Masken mit Pailletten für Clubs gibt es jedenfalls schon zu kaufen.
Die Maske wird zur Gewohnheit werden
Eine Vorschrift mehr im dicken Regelbuch der heutigen Zeit. Noch ist schwer vorstellbar, dass wir die Masken bald genau so gelassen aufsetzen, wie wir uns heute im Auto die Gurte umschnallen. Aber so sehr der Mensch neue Vorschriften hasst, er ist doch ein Gewohnheitstier. Wir werden den Umgang damit genauso lernen wie die Bedienung eines neuen Smartphones. Oder wann man sich besser warme Handschuhe anzieht.
Und trotz der Bevormundung durch den Staat darf man weiter selber denken. Oder was tun Sie, wenn Sie abends mit dem Velo durch leere Strassen fahren und vor Ihnen schaltet ein Lichtsignal auf Rot? Eben.