In Grossbritannien übernimmt die indische Corona-Variante das Kommando – und sie heisst jetzt «Delta»

In Grossbritannien breitet sich der Stamm B.1.617, die sogenannte «indische» Variante, stark aus. Die Untervariante B.1.617.2, neu «Delta» genannt, hat offenbar bereits die bisher dominante «britische» Variante (B.1.1.7) verdrängt. Allerdings ist das Ausmass der Ausbrüche lokal ziemlich verschieden. Man versucht zwar Fälle, die durch Einreisende aus Indien eingeschleppt werden, herauszurechnen, um besser sehen zu können, wie sich das Infektionsgeschehen in Zukunft entwickeln wird, aber Experten befürchten schon die nächste Welle im Anrollen. In steigenden Zahlen – auch wenn sie klein sind – kann immer eine Welle, ein exponentieller Anstieg, lauern.

Die durchschnittliche In­zidenz – das Auftreten neuer Fälle – liegt durch den hohen Impf­anteil bei den Erwachsenen (um die 50 Prozent) allerdings recht tief; lokale Neuausbrüche können sich deshalb unverhältnismässig stark abzeichnen. Und der Anstieg findet vor allem bei Teenagern und jüngeren Personen statt, die noch nicht zwei Mal geimpft worden sind.

Neue Variationen könnten eine Welle auslösen

Die aktuelle Situation ist wieder ähnlich wie damals, als man sich vor B.1.1.7, der britischen Variante, fürchtete. Hinter einer absinkenden Fall-Kurve sah man die nächste Welle. Obwohl die neue Variante deutlich ansteckender war als die ursprüngliche «wilde», explodierten die Zahlen damals aber nicht. Auch bei der indischen Variante befürchtet man höhere Infektiosität, um wieviel höher sie aber wirklich ist, lässt sich an den Zahlen aus Indien nur schwer und auch aus denen aus Grossbritannien nicht sicher ablesen.

Tanja Stadler modelliert die Verbreitung des Virus.

Tanja Stadler modelliert die Verbreitung des Virus.

Bild: ZVG

Auch in der Schweiz ist die indische Variante vorhanden. Die Forschungsgruppe von ETH-Professorin Tanja Stadler verfolgt das Infektionsgeschehen und hat die Verbreitung der neuen Variante in Grossbritannien abgeschätzt: Ende Juni dürfte der Anteil der indischen Variante bei 84 Prozent liegen.

In der Schweiz tritt B.1.617.2, die laut WHO jetzt «Delta» heisst, noch nicht oft genug auf, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit zuverlässig zu berechnen. Weniger als 70 Mal wurde B.1.617.2 in den letzten sieben Wochen nachgewiesen, wovon wohl viele Fälle Einschleppungen von aussen sind. Falls die lokale Zirkulation zunimmt, kann die zukünftige Ausbreitung der Variante abgeschätzt werden.

Wie sich B.1.617.2 dann auf das wirkliche Infektionsgeschehen in der Schweiz auswirken wird, hängt unter anderem davon ab, wie gut die Impfungen gegen die indische Variante schützen (mit zwei Dosen recht gut, sagen die Experten) und wie hoch der Anteil der Geimpften unter der Bevölkerung dann sein wird. Und nicht zuletzt von unserem Verhalten. Wenn wir alle Vorsichtsmassnahmen ausser Acht lassen, machen wir es dem Virus leicht.

Ein spannendes Rennen Virus gegen Spritze

In Grossbritannien wird schon gemahnt, dass die auf Mitte Juni vorgesehenen Lockerungen der Massnahmen nicht vorgenommen werden sollten. Einige warnen bereits vor dem nächsten Lockdown.

«Es scheint, dass B.1.617.2 einen Übertragungsvorteil hat gegenüber B.1.1.7. Das bedeutet dass B.1.617.2 an Häufigkeit mit der Zeit zunehmen wird. Diese Zunahme der Häufigkeit kann generell durch eine S-Kurve beschrieben werden. Der Vorteil von B.1.617.2 kann jedoch von der Durchimpfungsrate ab­hängen und somit kann die Kurve sich mit der Durch­impfung ändern», sagt ETH-Professorin Tanja Stadler.

Im Moment beobachten wir, wie Virus-Varianten mit höherer Ansteckungsfähigkeit einer immer besser durchgeimpften Population gegen­über stehen. Wie dieses Rennen weiter geht, ist schwer vorauszusagen. Die jüngsten Erfahrungen haben gezeigt, dass neue Varianten bisher im Infektions­geschehen den absteigenden Trend zwar kurzfristig umkehren, aber nicht völlig drehen konnten.