
Intensivmediziner redet Klartext: «Die Behandlungsqualität wird leiden»
Die 4. Welle. Das 4. Mal Alarm aus den Spitälern. Doch diesmal ist es anders, die Frage ist: Werden geimpfte Patienten, die Verschiebung ihres Operationstermins wieder genau so akzeptieren wie im Oktober 2020 als die Situation prekär wurde – und es die Impfung noch nicht gab?
Bereits seit dem 31. August empfiehlt der Bund den Spitälern «nicht dringende Eingriffe und Behandlungen mit anschliessendem Intensivaufenthalt vorerst zurückzustellen».
Wie ernst ist die Lage? Seitens der Intensivstationen heisst es erst einmal: «Es ist immer eng». Intensivbetten und medizinisches Personal kosten viel Geld, die Reserve kann nie gross gehalten werden. Und hoffnungslose Corona-Fälle behandle man dort nie. Solche Fälle gab es im letzten Jahr einige – nun sind sehr viele der Ältesten geimpft. Und die ungeimpften 50- und 60-Jährigen, die mit Corona ins Spital kommen und deren Zustand sich verschlechtert, haben mit der Behandlung auf einer Intensivstation meist gute Chancen zu überleben.

Hans Pargger, Leiter der Intensivstation am Unispital Basel.
Erzeugt das Unmut seitens der Geimpften? Hans Pargger, Chefarzt und Leiter der Intensivstation am Universitätsspital Basel, sagt: «Wir haben meines Wissens noch nie zum Nachteil irgendeines Patienten gehandelt. Wir behandeln unabhängig vom Impfstatus oder ob Covid oder Nicht-Covid.»
Unispital Zürich verschiebt Tumoroperationen
Kommt es also zur Triage, wenn der Platz knapper wird? Seitens des Universitätsspitals Zürich heisst es: «Je nach weiterer Entwicklung der Situation handelt es sich um ein realistisches Szenario.» Das Spital schreibt weiter: «Um für Covid-Patienten Betten zu erhalten, werden möglichst wenig Patienten operiert, die danach eine Intensivstation brauchen. Derzeit werden wieder Operationen verschoben auch von schwer kranken Non-Covid-Patienten, wie zum Beispiel Tumor-, Herz- oder Hirnoperationen.»
Soweit ist es in Basel noch nicht. Doch der Leiter der Intensivstation sagt, was in Spitälern im Kleinen passiert, lange bevor es zur Triage kommt: Das Pflegepersonal und die Ärztinnen und Ärzte entscheiden häufiger, dass ein Patient noch einen Tag länger auf der normalen Station bleiben kann.
«Andererseits wird dann auch niemand aus Sicherheit länger als nötig auf der Intensivstation gelassen. Stattdessen setzen wir vermehrt Sitzwachen ein, welche die Patienten nachts auf der normalen Station überwachen.»
Mehr Druckstellen, mehr Fehler
Und: «Die Behandlungsqualität wird leiden», sagt Pargger.
«Die Patienten werden mehr Druckstellen haben, weil sie weniger oft umgelagert werden können. Es wird eher mal ein Beatmungsschlauch rausrutschen, was zu einer Notsituation führt. Es werden mehr Leute sterben, je mehr Patienten auf eine Pflegefachkraft und die Ärzteschaft kommen.»
In Parggers Schublade liegen Pläne, gemäss denen Patienten auch im Aufwachraum und andernorts beatmet werden, wenn der Platz nicht mehr reicht. Und dass dann eine Pflegefachkraft für vier statt einen Patienten sorgen muss. «Es stimmt zwar, dass es schwierig für unser Personal ist. Absolut. Aber was ich eigentlich sagen will, ist: Es sind die Patienten die leiden und schliesslich sterben werden, wenn wir sie nicht behandeln können wie sonst. Beide, die Non-Covid-Patienten und die Covid-Patienten. Wer sich um keinen Preis impfen lassen will, muss schauen, dass er auf keinen Fall infiziert wird, bis die Lage sich beruhigt.»
Bevor es so extrem wird, kommt eine andere Lösung zum Zug. Pargger sagt:
«Wir kehren in den Zustand der ersten Welle zurück und sagen alle irgendwie möglichen Operationen ab.»
Damals hatte dies der Bundesrat verordnet. Aktuell aber versuchen die Spitäler den Betrieb so gut es geht aufrecht zu erhalten um die Non-Covid Patienten nicht zu benachteiligen. Auch seitens des Kantonsspitals St. Gallen heisst es: «Wir sind jetzt praktisch am Maximum, wenn wir weitere Kapazitäten freiräumen müssen, müssen wir die Operationen massiv herunterfahren.»