
Investitionen bis zu 400 Millionen: Erzo lanciert das Mega-Projekt «Enphor»
Ursprünglich wollte die Erzo die bestehende Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) aufgrund ihres Alters und der damit notwendigen Ersatzinvestitionen per 2027 abschalten. Aufgeweckt durch aktuelle Projekte der Wirtschaft und nationale Strategien im Zusammenhang mit der Klimawende beschloss der Erzo-Vorstand am 5. Mai einen Strategiewechsel: Um die Bedürfnisse der umweltschonenden Energieversorgung in der Region zu decken, «werden Abfälle künftig als wertvolle Ressourcen behandelt, energetisch genutzt und weiterverwendet», teilte der Entsorgungsverband am Dienstag mit. In Workshops sei das innovative Vorhaben geschärft und mit dem Projektnamen «Enphor» versehen worden.
An der Delegiertenversammlung vom Dienstagabend wurde das Projekt den Vertretern der elf Verbandsgemeinden präsentiert.
«Um die Klimawende zu schaffen, braucht die Schweiz Pioniere. Der Vorstand der Erzo lanciert mit ‹Enphor› ein enkeltaugliches Projekt», sagt Erzo-Vizepräsident Bruno Aecherli. «Enphor» steht für die Begriffe «Energie», «Phosphor» und «Recycling».
Was heisst das im Detail? Einerseits will die Erzo den Bau einer neuen KVA prüfen – das Kürzel steht jetzt für Kehrichtverwertungsanlage. Andererseits soll der Phosphor – der Hauptbestandteil von Düngemitteln – aus dem Klärschlamm der Abwasserreinigungsanlage verwertet werden.
Angepeilt wird ein Neubau, der gesamte Potenzial des Erzo-Standorts und der Region Wiggertal nutzt. «Die Eigentümergemeinden werden in die neue Firmenstruktur eingebunden sein. Die Aufteilung des Erzo-Verbandes in zwei Gesellschaften und die Umwandlung des Aufgabenbereichs Kehrichtverwertungsanlage in eine AG schaffen die nötigen Strukturen hierfür. Das mutmasslich in den nächsten acht Jahren zu realisierende Generationenprojekt wird stufenweise umgesetzt», heisst es weiter.
Die Produktion von umweltfreundlicher Energie – sei es für Prozesswärme, für das Heizen privater Liegenschaften oder auch für neue Energieformen wie etwa Wasserstoff – wird das Herzstück des Projekts «Enphor». Punkto potenzieller Abnehmer für ein regionales Fernwärmenetz stehe die Erzo bereits im engen Austausch mit den regionalen Energieversorgern. Diese haben bereits angekündigt, dass sie die Erzo-Pläne prüfen wollen.
Machbarkeitsstudiebis Mitte 2022
In einer Machbarkeitsstudie lässt die Erzo nun genau analysieren, welche Abfallfraktionen und Wertstoffe sich für eine mögliche Verwertung eignen. Ebenso wird der Verband prüfen, welche Kehricht- und Klärschlammmengen zur Phosphorrückgewinnung am Standort Oftringen verarbeitet werden können. Gleichzeitig will er die Eckwerte für die Produktion von Strom und Wärme festlegen und die Schnittstellen zu den Energie-Abnehmern definieren. Die Erzo hat auf Basis der bisherigen Abklärungen folgende Potenziale identifiziert:
Produktion von jährlich rund 100 Gigawattstunden (GWh) Ökostrom (Bedarf von 22 000 Haushalten oder minus 9000 Tonnen CO2).
Produktion von jährlich rund 150 GWh Fernwärme (Bedarf von 10 000 Haushalten oder minus 30 000 Tonnen CO2).
Phosphor-Recycling oder Düngerproduktion im Ausmass von 25 Prozent des heutigen Phosphor-Imports.
Rückstand von Sand aus der Klärschlammverwertung. Damit können umgerechnet 60 Einfamilienhäuser gebaut werden.
Abwasser aus Haushalten und Industrie reinigen, in der Grössenordnung von 2000 Schwimmbecken der Badi Zofingen.
Ebenso eindrücklich ist das geplante Investitionsvolumen, das von diesem Projekt ausgelöst würde: Die Erstellung einer neuen KVA schlägt mit 180 bis 200 Millionen Franken zu Buche, das Phosphor-Recycling mit 70 bis 100 Millionen und das Fernwärmenetz mit 50 bis 100 Millionen. Vorstandsmitglied Bruno Aecherli spricht vom «wohl grössten Projekt in der Region».
Die Erzo sehe sich als eine zuverlässige Partnerin der Eigentümergemeinden sowie als attraktive Arbeitgeberin in der Region – beides könne mit «Enphor» noch gesteigert werden. «Der Vorstand ist überzeugt, dass er mit diesem Projekt der Region einen wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen bringen kann. ‹Enphor› wird der Region eine Marktstellung und einen Ruf geben, die zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Standortvorteil führt», ist Erzo-Präsident Hanspeter Schläfli überzeugt.
Ein Hintergrund des Projekts ist die Tatsache, dass das Recycling von Phosphor aus Klärschlamm per 2026 gesetzlich verankert wird. Aus diesem Grund hatte sich die Erzo schon vor einiger Zeit für ein Klärschlamm-Kompetenzzentrum stark gemacht. Dazu wurden verschiedene Verfahren geprüft und getestet. Der Bund hat die Erzo mit einem Millionenbetrag unterstützt.
An der Abgeordnetenversammlung gab es auch kritische Stimmen zu «Enphor». Es sei nicht Aufgabe der Gemeinden, eine AG zu gründen und unternehmerisch tätig zu werden, meinte etwa ein Abgeordneter. Die Verbandsgemeinden seien zu wenig in die Pläne involviert worden, meinte die Vertreterin von Vordemwald. Sehr skeptisch ist Max Schärer, der Gemeindeammann von Murgenthal.«Das können die Gemeinden alleine nicht stemmen», sagt er, das Projekt sei «eine Schuhnummer zu gross». Wenn Partner an Bord kämen, stehe das Mitspracherecht der Gemeinden auf dem Spiel. Safenwils Gemeindeammann Daniel Zünd zeigte sich in seinem Votum von den Plänen überrumpelt; gewisse Gemeinden seien vorinformiert worden, andere nicht.
Zu einigen Diskussionen Anlass gab auch die Kreditabrechnung Trockenaustrag, die zurückgewiesen wurde. Grund: Mehrkosten von rund 670 000 Franken. Welche Konsequenzen die Rückweisung hat, konnte Verbandspräsident Hanspeter Schläfli am Dienstag noch nicht genau sagen.
Problemlos über die Bühne ging die Senkung der Gebühren für Kehricht: Ab Januar 2022 stellt die Erzo den Gemeinden pro Tonne 115 statt wie bis jetzt 135 Franken in Rechnung. Auch der Jahresbericht und die Rechnungen 2020 wurden einstimmig genehmigt.