
«Irrationale Massnahmen, verheerende Folgen»: Experten sagen, der Lockdown sei unnötig gewesen
Querdenker 1: John Ioannidis, Medizinprofessor, Stanford-Universität, USA
John Ioannidis, Epidemiologe.
© Stanford University
Die halbe Welt wegen des Coronavirus stillzulegen: Das sei unverhältnismässig und irrational, denn die sozialen und finanziellen Folgen seien verheerend. Das sagt John Ioannidis – und macht einen Vergleich. Es sei, als würde ein Elefant von einer Hauskatze angegriffen: «Der Elefant möchte die Katze abschütteln, stürzt dabei versehentlich über eine Klippe und stirbt.»
Ioannidis ist nicht etwa Wirtschaftslobbyist, sondern ein preisgekrönter Epidemiologe. Er ist Professor an der medizinischen Fakultät der Elite-Universität Stanford in Kalifornien, mit Spezialgebiet klinische Medizin, Daten und Metaforschung. Gemäss Google Scholar gehört er zu den weltweit 100 meistzitierten Wissenschaftern.
In seiner Erforschung von Wissenschaftsstudien ist Ioannidis zum Schluss gekommen, dass diese oft einen «Bias» – eine Schlagseite – hätten. Der grösste «Bias» sei: Wissenschafter möchten «möglichst bedeutsame, spektakuläre, faszinierende Resultate vorweisen können», wie Ioannidis dem «Wall Street Journal» erklärte. Insbesondere bei der Erforschung neuer Dinge – zu denen das Coronavirus gehört – neige die Wissenschaft zu Übertreibungen.
Gemäss den Berechnungen von Ioannidis ist Covid-19 weit weniger tödlich, als erste Untersuchungen behauptet hätten. Er sagt, diese seien «gewaltig übertrieben» gewesen, wie sich schon bald gezeigt habe. Doch bis dahin hätten die Regierungen ihre Lockdown-Massnahmen schon verfügt.
Querdenkerin 2: Regula Stämpfli, Politikwissenschafterin, Bern/München
Regula Stämpfli, Politikwissenschafterin.
© Dominik Wunderli
Die Politologin kritisiert, dass die westlichen Demokratien auf das «chinesische Virus», wie sie es nennt, so reagiert hätten wie Chinas Diktatur: Mit nahezu totalitären Massnahmen. Selbst die Schweizer Demokratie habe «widerstandslos und über Nacht Hunderttausende von Existenzen ins Unglück stürzen können», schrieb Stämpfli in der NZZ.
Sie zitiert die Totalitarismus-Studie von Hannah Arendt. Die deutsche Philosophin und Kämpferin gegen den Nationalsozialismus (1906 bis 1975) wies nach, wie Ideologien darauf abzielen, die «nicht mehr gültigen Regeln des gesunden Menschenverstandes zu ersetzen». Stämpfli sieht Parallelen im Corona-Regime: «Die aktuelle Politik führt dazu, dass wir letztlich trainiert werden, alles und jeden zu opfern.»
Denn diese Politik mache «aus Menschen isolierte Individuen, die sich weder an Familie, Freundinnen, Bekannte noch an Arbeitsplätze, Vereine oder Parteien binden können, sondern zum eigenen und kollektiven biologischen Überleben gezwungen werden».
Querdenker 3: Stefan Homburg, Ökonom, Universität Hannover
Stefan Homburg, Ökonom.
© Wikpedia
In den deutschen Medien wird er wahlweise als Mahner oder als Verschwörungsmystiker bezeichnet. Stefan Homburg, Professor für Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover, sagt, es wäre in Deutschland ganz gut ohne Lockdown gegangen.
Homburg argumentiert mit Zahlen des Robert-Koch-Instituts: Die sogenannte Reproduktionszahl R, die angibt, wie schnell sich das Virus ausbreitet, sei bereits unter 1 gesunken, bevor in Deutschland am 23. März der Lockdown verfügt worden sei. So weit, so unpolemisch – doch Homburg wirft der Regierung vor, im vollen Wissen um die verlangsamte Ausbreitung die Wirtschaft unnötig stillgelegt zu haben: «Die Eliten wussten um den wahren Sachverhalt.»
Die Behörden weisen diesen Vorwurf zurück. Verlässliche Berechnungen der R-Zahl seien erst mit Verzögerung möglich, darum sei im Zeitpunkt der Lockdown-Bekanntgabe die Lage noch unklar gewesen.
Die «Süddeutsche Zeitung» schreibt Homburg – der über Youtube Millionen von Zuschauern erreicht – grossen Einfluss zu: «Homburg ist kein ungehobelter Covidiot, keiner von denen, die die ganze Corona-Krise für eine irre Verschwörung halten. Aber er tritt vor ihnen auf, sie applaudieren ihm.»
Querdenker 4: Anders Tegnell, Chef-Epidemiologe der schwedischen Regierung
Anders Tegnell, Staatsepidemiologe.
© Anders Wiklund / EPA
Er ist nicht nur Theoretiker, sondern Teil der Behörde, die über die Coronamassnahmen entscheidet: Anders Tegnell, Schwedens Staatsepidemiologe. Darum kann er nicht nur kritisieren, sondern den Kurs bestimmen – und dieser Kurs macht weltweit Schlagzeilen. Der Skandinavien-Korrespondent von CH Media hat Tegnell hier kürzlich porträtiert.
Nicht zuletzt wegen Tegnell verzichtete Schwedens rot-grüne Regierung auf die Schliessung von Restaurants und Läden. Grossveranstaltungen sind zwar auch in Schweden verboten, aber Gruppen bis 50 Leute weiterhin erlaubt. Tegnells Sonderweg ist auch in Schweden umstritten. 2000 Gesundheitsexperten hatten in einem offenen Brief an die Regierung gefordert, sofort strengere Massnahmen zu verhängen, doch diese stützte Tegnell.
Die Zahl der Covid-19-Toten ist in Schweden, umgerechnet auf die Bevölkerungszahl, deutlich höher als in anderen nordischen Ländern. Davon lässt sich Tegnell nicht beirren, im Gegenteil: Langfristig werde sich der schwedische Sonderweg auszahlen. Der sagt: «Im Herbst wird es eine zweite Welle geben. Schweden wird eine hohe Immunität haben.»
Sein Land werde deswegen weniger stark getroffen werden als andere europäische Länder, sagte Tegnell der «Financial Times». Tegnell schätzt, dass Ende Mai rund 40 Prozent der Menschen in Schwedens Hauptstadt Stockholm immun sein werden.