
Ist Stephan Keller Sandro Burkis letzte Patrone?
Sie haben vor fünf Tagen Ihren Freund Patrick Rahmen entlassen, den Sie in den vergangenen zwei Jahren durch alle Böden verteidigt haben – fühlt sich das an wie eine persönliche Niederlage?
Sandro Burki: Es ist schade und war nicht vorgesehen, dass wir uns vor dem Ende der laufenden Saison von Patrick trennen. Die Inkonstanz in den Leistungen seit der Coronapause haben uns zum früheren Wechsel bewogen. Ich konnte mich ein Stück weit auf den Moment der Trennung vorbereiten, denn es war seit einigen Wochen eine Option, dass wir ohne Patrick in die neue Saison gehen werden.
Ist Rahmen ein Opfer der schlechten Resultate oder passt er nicht zur neuen Jugendstrategie des Vereins?
Die Resultate der vergangenen Monate sind nicht zu seinem Vorteil ausgefallen. Patrick war mit Blick auf die nächste Saison nicht von Anfang an abgeschrieben, er hat bewiesen, mit jungen Spielern arbeiten zu können. Stephan Keller aber passt besser zum neuen Weg.
Am Tag des Trainerwechsels haben Sie den rätselhaften Satz gesagt: «Es wäre mir leichter gefallen, ich wäre an Patricks Stelle entlassen worden.» Meinen Sie das ernst? Sind Sie widerwillig im Amt geblieben?
Nein. Ich wollte damit sagen, dass es mir sehr schwerfällt, meine Mitmenschen zu enttäuschen. Ich habe mehr Mühe damit, mein Umfeld leiden zu sehen, als wenn es mir selber nicht gut geht.
Nehmen Sie die Verantwortung für die sportliche Krise auf sich? Sie haben auf die falschen (Spieler-)Pferde gesetzt.
Das Kader hat genug Qualität für einen Tabellenrang in den Top 4, sonst wären Leistungen wie jüngst beim 5:4 gegen Lausanne nicht möglich. Ich kann mit der Kritik umgehen, verändern wird sie mich indes nicht. Ich spüre das Vertrauen meiner Mitarbeiter und meiner Vorgesetzten.
Der FC Aarau blutet nun finanziell ein Jahr lang, sollte Rahmen in dieser Zeit keinen neuen Job antreten. Die Vertragsverlängerung mit Rahmen im August 2019 war einer der Fehler, von denen Sie im letzten Jahr zu viele gemacht haben für einen Sportchef – einverstanden?
Als Sportchef war es meine Aufgabe, den von der früheren Clubführung vorgegeben Weg mitzugehen. Die finanzielle Stabilität stand im Vordergrund. Mit der Barrage-Qualifikation im Frühling 2019 haben wir die Messlatte sehr hoch gelegt. Weil wir wegen höherer Versicherungsprämien weniger Geld für die Profimannschaft zur Verfügung hatten, hätte es ein Wunder gebraucht, um am letztjährigen Erfolg anzuknüpfen. Fünf Stammspieler gleichwertig zu ersetzen, konnten wir uns nicht leisten.
Welche Fehler werfen Sie sich konkret vor?
Wegen der Ungewissheit, ob das Stadionprojekt am Leben bleibt, und der Folgefrage, ob der FC Aarau eine Zukunft in der Super League hat, war in den vergangenen Jahren eine langfristige Planung unmöglich. Das Ziel lautete, mit den vorhandenen Mitteln kurzfristig maximalen Erfolg zu haben. Vielleicht haben wir zu wenig über die Hintergründe informiert.
Der FCA war zuletzt also ein Flickwerk.
Eine langfristige Perspektive war wegen des ungewissen Stadionentscheids nicht möglich. Das ist nun anders: Wir wissen, das Stadion kommt und der Profifussball am Standort Aarau hat Zukunft.
Beginnen Sie somit erst drei Jahre nach Ihrem Amtsantritt als Sportchef so richtig?
Ich hatte bisher den Auftrag, schnellstmöglich für Erfolg zu sorgen, und konnte innerhalb der finanziellen Leitplanken meine Handschrift einbringen. Jetzt aber lancieren wir eine Strategie, nach der sich von den Junioren, über die Geschäftsstelle bis zum Profiteam in den nächsten Jahren der ganze FC Aarau richtet.
Würden Sie es begrüssen, wenn der Verwaltungsrat des FC Aarau durch eine Person mit Fussballkompetenz erweitert würde? Als Unterstützung und Sparringspartner für Sie – zwei Köpfe denken mehr als einer.
Man sollte den Fussball-Sachverstand unseres Präsidenten und der anderen Verwaltungsräte nicht unterschätzen. Sie sind zwar keine ehemaligen Fussballer, haben aber ein feines Gespür für die Menschen und die Stimmung rund um den Verein.
Stimmt es, dass Sie im Brügglifeld im sportlichen Bereich widerstandslos schalten und walten?
Früher mit der alten, heute mir der neuen Führung stehe ich stets im engen Austausch. Ich erhalte wertvolle Inputs von Personen, die den Fussball anders beobachten als ich.
Hätten Sie Stephan Keller bereits vor zwei Jahren zum Cheftrainer gemacht, wenn er über die nötigen Diplome verfügt hätte?
Er wäre ein ernsthafter Kandidat gewesen. Wie er nach der Entlassung von Marinko Jurendic den Rollenwechsel vom Assistenz- zum Interimstrainer meisterte, hat mich beeindruckt. Die Vorgabe des Verwaltungsrats damals lautete, eine Mannschaft für den schnellen Erfolg zu bauen. Dafür war Patrick Rahmen mit seiner Erfahrung die ideale Besetzung.
Das Erstaunlichste am Trainerwechsel ist, dass Keller gleich einen Dreijahresvertrag erhält. Als Chefcoach-Neuling hätte er doch auch für eine Saison unterschrieben …
Wer weiss! Wir haben ihm von Anfang an einen langfristigen Vertrag angeboten, wir wollen Nachhaltigkeit auf allen Positionen.
Sie wissen doch gar nicht, wie Keller als Cheftrainer funktioniert?
Gegenfrage: Sind die unzähligen Titel von Pep Guardiola eine Garantie dafür, dass er auch beim FC Aarau funktioniert? Meriten sind sekundär – wir haben uns gefragt: Welche Person passt am besten zu unserer Strategie? Die Antwort: Stephan Keller.
Keller ist seit drei Jahren beim FCA, einer aus dem «Chlüngel». Warum keinen unbefangenen Trainer, der hemmungslos aufräumt?
Er beurteilt die Spieler nach Leistung, nicht nach Sympathie. Dass er die Mannschaft haargenau kennt, ist ein Vorteil für die Zukunftsplanung.
Haben Sie mit anderen Trainern gesprochen?
Nein.
Ist es nicht ein Risiko, dass Keller früh Schlagseite droht, wenn sich der FC Aarau bis zum Saisonende in der Tabelle nicht verbessert?
Die Resultate sind immer der Hauptindikator für die Stimmungslage rund um einen Fussballclub. Wenn wir die nächsten sechs Spiele gewinnen sollten, aber die ersten drei in der neuen Saison verlieren, ist die Stimmung trotzdem schlecht. Wir wollen erreichen, dass die Leute nach dem Spiel heimgehen und begeistert sind davon, wie der FC Aarau gespielt hat. Ein Stück weit unabhängig vom Resultat.
Es gibt das geflügelte Wort: «Der Trainer ist Träger, nicht Präger der Clubphilosophie». Wenn Sie Keller einen Dreijahresvertrag geben, wirkt das, als könne die neue Strategie nur mit ihm umgesetzt werden. Und wenn es mit ihm nicht klappt, wird alles über Bord geworfen.
Der Verwaltungsrat hat das langfristige Konzept abgesegnet. Jetzt geht es darum, die Mannschaft und den Verein so aufzustellen, dass das Konzept unabhängig von Einzelpersonen funktioniert.
Ist der FCA vertraglich und finanziell abgesichert, falls Sie Keller vor 2023 entlassen müssen?
Zu Vertragsinhalten äussern wir uns nicht.
Ist Ihr Schicksal beim FC Aarau an jenes von Stephan Keller gebunden – ist er Ihre letzte Patrone?
Das denke ich nicht. Hinter meinem Job steckt mehr als die Resultate der Profimannschaft. Über mein Schicksal beim FCA entscheidet der Verwaltungsrat.
Sie sagen, Sie möchten mit Beginn der nächsten Saison nachhaltig etwas aufbauen. Heisst das, künftig sind nicht mehr die Resultate, sondern andere Parameter die wichtigste Währung beim FCA?
Die Entwicklung steht über allem. Dazu gehört die positive Entwicklung der Resultate. Solange ich hier bin, wird der FC Aarau immer ein ambitionierter Verein sein.
Mit Markus Neumayr ist der erste Starspieler weg. Ist das der Anfang einer grossen Räumungsaktion?
Wir haben in der 1. Mannschaft zwölf Spieler mit Vergangenheit im Team Aargau – das ist die Basis der Zukunft. Wir haben mit Donat Rrudhani und Liridon Balaj zwei grosse ausländische Talente, die Zeit brauchen. Auf unsere erfahrenen Spieler lasse ich nichts kommen, sie sind charakterlich einwandfrei. Dennoch werden uns einige verlassen müssen. Welche, werden wir diese Woche kommunizieren.
Sechs Verträge laufen aus, doch auch hinter vielen Spielern mit weiterlaufendem Vertrag stellt sich das (Qualitäts-)Fragezeichen.
Mich stört es, wenn Spieler hochgejubelt werden, ein paar Monate später aber sollen sie plötzlich keine Qualität mehr haben. Wir werden jede Position diskutieren. Doch der FC Aarau kann es sich nicht leisten, einen Spieler mit Vertrag auszuzahlen und einen neuen zu holen. Auch werden wir nicht vier Topspieler vom Format eines Markus Neumayr verpflichten können. Kleine Veränderungen im Kader liegen drin, Stephan Keller hat jedoch vor allem die Aufgabe, aus dem vorhandenen Spielermaterial das Maximum rauszuholen.
Sandro Burki
Der Oftringer wurde 2002 mit der Schweiz U17-Europameister. Nach Stationen bei Bayern München, YB, Wil, FCZ und Vaduz landete er 2006 beim FC Aarau, mit dem er in 373 Spielen (die meisten als Captain) zwei Mal ab- und ein Mal aufstieg. 2017 wurde er nach der Entlassung von Raimondo Ponte über Nacht von der Spielerlegende zum Sportchef. Seither war das sportliche Highlight die Barrage-Qualifikation im Frühjahr 2019, kurz danach lehnte Burki ein Angebot von GC ab. Nun will der 34-Jährige den FCA mit einem Jugendkonzept in die Zukunft führen.