
Jetzt werden auch Menschen ohne Corona-Symptome getestet: Der Bund stellt seine Teststrategie auf den Kopf
1. Am Mittwoch möchte der Bundesrat die Test-Strategie ändern. Was ändert sich?
Bis anhin hat der Bund Tests von Menschen ohne Corona-Symptome nicht bezahlt. Nur wer Symptome hat, sollte sich testen lassen. Nun fördert und finanziert er in bestimmten Situationen auch Tests an Menschen ohne Symptomen.
Zudem wird der Kreis der autorisierten Testinstitutionen und Personen erweitert: neu dürfen gemäss dem BAG neben Arztpraxen, Apotheken, Spitälern und kantonalen Testzentren auch Alters- und Pflegeheime, sozialmedizinische Institutionen, Organisationen der Krankenpflege zu Hause Antigen-Schnelltests durchführen.
2. Warum wird die Strategie auf den Kopf gestellt?
Mehr als die Hälfte der Übertragungen findet durch asymptomatische Personen statt. Also von Menschen, die gar nicht merken, dass sie infiziert sind. Mit gezielten und allenfalls wiederholten Testungen von asymptomatischen Personen will man die Fallzahlen senken.
Dort wo besonders gefährdete Menschen geschützt werden können oder bei einem regionalen Hotspot, wo die Kontrolle der Übertragungsketten nicht mehr möglich ist. So wie in Wengen Mitte Januar oder vergangene Woche in St.Moritz. Dort wurden innert 24 Stunden 70 Prozent der 5200 Einwohner durchgetestet und damit 53 Infektionsketten unterbrochen.
3. Wo sollen Menschen ohne Symptome getestet werden?
In sozialmedizinischen Institutionen und vor allem in Alters- und Pflegeheimen, weil dort gut die Hälfte der Todesfälle verzeichnet wird. Um das Verfahren zu erleichtern, soll das Personal für Schnelltests geschult werden.
Damit können nicht nur das Personal, sondern auch Besucherinnen und Besucher beim Betreten getestet werden, um potenziell ansteckende Personen zu erkennen. Eine Testung erfolge dabei immer freiwillig, schreibt das BAG.
4. Dürfen auch Schulen und Firmen testen?
Ja, und nicht nur die, sondern überall, wo ein höheres Übertragungsrisiko besteht. Wenn ein Hotspot erkannt wird, soll auch in einem regionalen Umfeld getestet werden, also in Dörfern oder in der Umgebung von Hotels und Firmen. Der Bund übernimmt die Kosten für wiederholte Testungen inklusive Arbeitszeit.
5. Finanziert der Bund auch grossräumigere Massentests?
Nein. Das BAG verzichtet darauf, dem Bundesrat die Finanzierung von flächendeckenden Massentests zu beantragen. Erstens wegen der hohen Kosten und zweitens weil der Nutzen solcher Massentests wissenschaftlich noch nicht genügend belegt sei.
6. Gibt es einen wissenschaftlichen Beleg für die Wirkung der Massentests?
Für wenig erfolgreich hält das BAG die grossen Massentests im Ausland zum Beispiel in Österreich. Zwar konnten die Fallzahlen kurzfristig reduziert werden, langfristig war der Erfolg der Massentests aber gering. Die Massentests in der Bernina-Region im Kanton Graubünden hält das BAG aber für einen Erfolg. Vor allem weil mit den Nachtestungen die Fallzahlen regional beinahe auf Null zurückgegangen sind.
Die Covid-19-Taskforce will sich erst heute in Bern dazu äussern. Taskforce-Mitglied Marcel Tanner hat nach den ersten Massentests in Südbünden gewarnt, dass die Tests zu einer falschen Sicherheit führen könnten. Denn unter den Tausenden von Getesteten gibt es auch solche, die erst kurz vor dem Massentest angesteckt worden sind.
Bei denen können trotz Infektion noch keine Viren nachgewiesen werden. Um diese zu erkennen, müssten alle Getesteten fünf Tage später wieder zum Nachtest. Dazu gibt es bei Schnelltests trotz guter Verlässlichkeit etwa 10 Prozent, die falsch negativ getestet sind. Diese verteilen zusammen mit den präsymptomatischen Menschen das Virus somit weiterhin. Der Kosten-Nutzen-Verhältnis stimme nicht.
In Österreich haben sich zu wenige an den Massentests beteiligt. In urbanen Gebieten sind solche Massentest schwieriger durchzuführen als in ländlichen. In Uruguay führt man die niedrigen Corona-Todeszahlen dagegen auf die landesweiten Massentests zurück und in Asien hält man die häufigen Tests für sehr hilfreich.
7. Sind Speichel- und Gurgeltests gleichwertig mit den herkömmlichen Nasen-Rachen-Abstrichen?
Im Kanton Graubünden sind 20’000 Tests pro Woche geplant. Um das Verfahren zu beschleunigen, wird auf Spucktests mit Speichel in Teströhrchen gesetzt. Gemäss dem BAG sind PCR-Tests, die auf Speichel basieren, gleichwertig mit Nasen-Rachen-Abstrich-Test. Das bestätigt auch eine Studie der Universität Zürich.
Schnelltests auf der Basis von Speichel gibt es aber noch nicht, weil bei diesen gemäss BAG und Swissmedic die Virenkonzentration im Speichel zu tief ist. Das heisst auch Speichel- und Spucktests müssen für die PCR-Analyse ins Labor. Die Probenentnahme kann aber auch ausserhalb stattfinden. Möglicherweise kommen bald Spuck- und Gurgeltests auf den Markt, die das Resultat sofort anzeigen und nicht ins Labor müssen.
8. Können Arbeitgeber in Pflegeheimen, Schulen, Firmen Tests obligatorisch machen?
Diese Frage ist nach Sicht des Zürcher Staatsrechtsprofessort Felix Uhlmann nicht geklärt. Die Zulässigkeit des Testobligatoriums sollte mindestens dort gegeben sein, wo auch eine Impfung verlangt werden könnte. Also etwa für das Pflegepersonal für das Uhlmann eine Impfpflicht bejaht. In anderen Bereichen sei es eine Abwägung zwischen den berechtigten Gesundheitsinteressen des Arbeitgebers und dem Persönlichkeitsschutz der Mitarbeitenden.
Die Praxis erlaubt etwa Alkoholtests für Personen in besonders sensiblen Berufen wie zum Beispiel bei Piloten, nicht aber HIV-Tests. «Zwang dürfte in keinem Fall angewendet werden, aber es dürfte eine Kündigung ausgesprochen werden, wenn sich jemand einer berechtigten Anordnung zum Test entzieht», sagt Uhlmann. Das Personal und die Berufsverbände sollten aber angehört werden.