Joël Mall: Stark wie nie, aber trotzdem nur Zuschauer

Joël Mall wollte doch nur eine Flanke erreichen im Meisterschaftsspiel gegen Paphos. Er ­erwischte den Ball und ein Ellenbogen ihn. Der des Gegenspielers, oder eines Mitspielers, Mall kann es nicht mehr sagen. Er selbst: bewusstlos. Das ­Gesicht: zertrümmert. Das Nasenbein dreifach, der Orbitalknochen rund um die Augen zweifach gebrochen. Ein eingeklemmter Nerv und ein Auge, das derart eingedrückt war, dass es ­während der Operation fixiert werden musste. Seither ist mehr als ein Monat vergangen. Mall ist zurück im Training. Die Schwellung ist weg, die Nase «zeigt nicht mehr in alle Richtungen», wie er sagt. Mall könnte spielen, das Problem ist nur: Er darf nicht.

Sein Verein Apollon Limassol hat ihn von der Kontingentsliste gestrichen. Auch für den Klub war es eine Überraschung, dass ihr Torhüter derart schnell zurückgekommen ist. Da man noch um die Qualifikation zur Europa League kämpfte, holte man Ersatz. Der Serbe Aleksandar Jovanovic vom spanischen Erstligisten SD Huesca kam. Doch in der zyprischen Liga ist die Zahl der Ausländer beschränkt, auf einmal war für Mall kein Platz mehr. Bis Ende Dezember muss er von der Tribüne aus zuschauen.

Mall hat gelernt: Hadern bringt ihn nicht weiter 

Es ist bitter für Mall, der sich mit 29 Jahren in der Form seines Lebens sieht. «So stark wie jetzt war ich noch nie», sagt er am Telefon. «Jetzt falle ich halt wegen der blöden Liste aus.» Doch Mall wäre nicht Mall, wenn er sich davon aus dem Konzept bringen liesse. Mall hat in den letzten Jahren gelernt, dass ihm hadern nicht weiterhilft. Dass er davon absieht, das zu beeinflussen, was sich partout nicht beeinflussen lässt. Er spricht von der «Reife im Kopf», davon, wie «Tiefs, die du durchmachst, dir enorm viel bringen». Auch wenn Fussballer derartige Worthülsen gerne bemühen: Man darf Mall glauben, dass ihn die Rückschläge haben stärker werden lassen. 

Denn sieht man einmal von der jetzigen Zwangspause ab, lief es eigentlich mehr als passabel für ihn auf Zypern. Vor zwei Jahren wechselte Mall auf die Insel am äusseren Rand des Mittelmeers. Der Aargauer, in Baden auf die Welt gekommen, nennt die ersten Tage und Wochen eine «Extremerfahrung». Das lag vor allem am FC Paphos, seinem neuen Arbeitgeber. Ein wildes Konstrukt, eine Wundertüte, mit temperamentvollen Fans und einem russischen Investor, der auf dem ganzen Globus Spieler einkaufte. Mall war von den makellosen Strukturen in Deutschland und der Schweiz verwöhnt. Jetzt erlebte er erstmals, was es hiess, sich in einem chaotischen Umfeld zurechtzufinden. Doch Mall nahm sich der Aufgabe an. Er machte sich gut im Tor von Paphos. So gut, dass er nach einer Spielzeit weiterzog, zu Apollon Limassol.

«Als würdest du von St. Gallen zu YB wechseln»

Geographisch gesehen war es ein Wechsel von der West- an die Südküste Zyperns, sportlich betrachtet ist es ein Schritt nach oben. «Als würdest du von St. Gallen zu den Young Boys wechseln», erklärt Mall. Der Verein mit dem melodischen Namen ist regelmässiger Gast in den europäischen Wettbewerben, 2018 schlug man den FC Basel in den Playoffs zur Europa League. Auch in Limassol gelang Mall ein Jahr mit vortrefflichen Leistungen. Die Mannschaft spielte oben mit, «es wäre viel möglich gewesen», sagt Mall. Dann kam der coronabedingte Meisterschaftsabbruch, der Auftakt der neuen Saison, der folgenschwere Zusammenprall im September. Das Aussitzen bis zum Jahresende. Ein halbes Jahr, in Stichworten zusammengefasst.

Glücklich ist Mall trotzdem. Was er mit den Jahren eben auch erfahren hat: Es gibt mehr als Fussball. Mall ist jetzt auch Vater, nicht mehr nur Torwart. Letztes Jahr wurde Sohn Lio geboren, diesen Juli kam Tochter Noë auf die Welt. Die Kinder wachsen mehrsprachig auf, Malls Verlobte Isabel ist Deutschspanierin, im Kindergarten werden sie auch ein paar Brocken Griechisch mitkriegen. «Aber ich hoffe doch sehr, ihre erste Sprache wird Schweizerdeutsch sein», sagt Mall, dem man das Grinsen übers Telefon zwar nicht ansehen, aber fast schon anhören kann.

Wie lange es ihn noch auf Zypern hält, weiss Mall nicht. «Es gefällt uns hier», stellt er im Gespräch immer wieder klar. Mall verdient gut mit seinem Job, doch er merkt, am Ende des Tages ist das nicht ausschlaggebend. Ihn treibt anderes an. «Ich habe den Wunsch, noch einmal etwas zu reissen», sagt Mall. Wo das sein wird, ist offen. Mall hat sich in der Super League in Aarau und bei den Grasshoppers bewiesen, in Darmstadt bekam er den ­Wahnsinn der 2. Bundesliga mit. ­Irgendwohin weit weg, da ist sich Mall sicher, zieht er mit der Familie nicht mehr. «Es wird kein exotisches Abenteuer mehr geben.»

Zurück zum FC Aarau? – Wenn alles stimmt, ja

Auch einer wie Mall kennt das Gefühl von Heimweh. Es plagt ihn nicht, doch es ist ein steter Begleiter. Klar kommen da auch einmal Fragen nach einer Rückkehr zum FC Aarau auf, dem Klub, bei dem Mall gross geworden ist. «Aarau ist mein Zuhause», sagt Mall. Sportchef Sandro Burki und er tauschen sich ab und an aus, auf unverbindlicher Basis. Auch zu den alten Kollegen unterhält er Kontakt. Mit Olivier ­Jäckle spricht oder schreibt Mall täglich, seit kurzem ist mit Marco Aratore ein weiterer enger Freund im Team. «Zu Aarau sage ich nie Nein», meint Mall. Doch es muss stimmen – für beide ­Seiten. Im Leben kommt es selten gut, wenn man etwas erzwingt. Joël Mall weiss das wohl am besten.